Steirische Geschichtsforschung im Hörsaal
Wernfried Hofmeister
Seit diesem Semester gibt es sie wieder: die öffentliche Ringvorlesung auf der Uni Graz im Verbund mit der Historischen Landeskommission. Auf „Mythos.Macht.Geschichte. Historische Konstruktionen des Erinnerungsraumes Steiermark und Innerösterreich“ – die erste kooperative Vorlesung dieser Art im Sommersemester 2018 – folgt nun das Thema „Fälschung! Eine fächerübergreifende Spurensuche in der steirisch-innerösterreichischen Landesgeschichte“. Ehe dazu etwas mehr verraten wird, sei kurz auf die Genese des gesamten Joint Venture zwischen Forschung und Lehre zurückgeblickt.
Wie kam es zu diesem Ringvorlesungsprojekt? Der HLK war es seit jeher ein Anliegen, ihre fächerübergreifende regionalgeschichtliche Expertise in gebündelter Form auch in die universitäre Lehre einfließen zu lassen. Da ihre eigenen Mittel nur Forschungszwecken zugedacht sind, bedurfte es einer Lehrpartnerschaft. Gefunden wurde diese 2017 auf der Rektoratsebene der Universität Graz, namentlich beim vormaligen Vizerektor für Lehre (und nunmehrigen Rektor sowie HLK-Mitglied), Martin Polaschek. Ganz vereinfacht gesagt, bestand die ideale Partnerschaftsformel darin, dass die Finanzierung der Lehre von der Uni Graz kommt und die HLK eine daraus erwachsende Buchpublikation bedeckt, um mit beidem zusammen eine nachhaltige Bewusstseinsbildung in Sachen regionaler, jedoch überregional reflektierter Geschichtsforschung zu fördern. Erstmals umgesetzt wurde dieses Konzept im Jahr 2018: Der fakultätsübergreifenden Lehre von sechs Vortragenden[1] folgte wenig später die Veröffentlichung ihrer Beiträge in dem Sammelband „Mythos.Macht.Geschichte“; er wurde in die neu begründete Reihe „Memoranda Styriaca“ (wörtlich ‚Erinnerungswürdiges aus der Steiermark‘) eingebettet. Die Präsentation des Bandes am 24. Oktober 2019 bot die Gelegenheit, die somit erfolgreich gestartete Zusammenarbeit durch einen Kooperationsvertrag zwischen der HLK und der Uni Graz zu besiegeln, damit von nun an alle zwei Jahre gemeinsam ein neues Thema angepackt werden kann.[2]
Warum für heuer das Schlagwort „Fälschung“ gewählt wurde, noch dazu mit einem Ausrufezeichen, liegt (fast) auf der Hand: Es sucht den zeitaktuellen kritischen Anschluss an unsere sog. Fake-Debatte, aber auch an andere allgegenwärtige Täuschungen. Die steirische Geschichte bietet dafür zwar nicht unbedingt mehr Anknüpfungspunkte als die historischen Ereignisse in vergleichbaren Regionen. Doch es finden sich hier durchaus spezifische, oft überraschende und spannende Beispiele, durch die sich die ewige Aktualität von Wahrheits‑ und Echtheitsvorspiegelungen paradigmatisch sichtbar machen lässt. Freilich, das Aufdecken allein genügt nicht. Fast wichtiger noch ist es zu erkennen, ob wirklich einfache Schwarz-Weiß-Verhältnisse zwischen ‚wahr‘ und ‚falsch‘, ‚echt‘ und ‚vorgetäuscht‘, ‚Spiel‘ und ‚Ernst‘ (etc.) vorliegen oder nicht eher Grauschattierungen, abhängig z. B. vom jeweiligen Betrachtungswinkel. Das wurde bereits bei der Aufarbeitung des teilweise ähnlich gelagerten Mythos-Aspekts in der ersten Ringvorlesung erkennbar; die zweite Ringvorlesung baut insofern synergetisch auf ihrer Vorgängerin auf.
Wer nun neugierig geworden sein sollte und hinter die Kulissen historischer Scheinwelten blicken möchte, findet im Folder zur Ringvorlesung „Fälschung!“ nähere Hinweise dazu, wann genau und wo sich auch diesmal wieder sechs führende Fachleute diesem Lehrveranstaltungsthema widmen. Zu ihren Lehrinhalten haben sie in der 1. Einheit am 4. März – nach kollegialen Grußworten durch Herrn Rektor Polaschek – schon einiges angedeutet. Im Spiegel der daraus erwachsenen Medienmeldung von Gerhild Leljak liest sich das kurz und knackig, also ohne zu viel preiszugeben, so:
- Der Historiker und Geheimdienstexperte Siegfried Beer berichtet über Täuschung und Desinformation im Zweiten Weltkrieg.
- Elke Hammer-Luza vom Steiermärkischen Landesarchiv widmet sich der Kunst des Fälschens und der Manipulation.
- Der Geschichtswissenschafter Reinhard Härtel nimmt das Publikum mit in die Welt des Mittelalters und betrachtet dort besonders Urkundenfälschungen im Südostalpenraum.
- Der Theologe [und Kirchenmusiker] Franz Karl Prassl deckt Kuriosa in kirchenmusikalischen Archiven auf und zeigt, wie alte Gesangsbücher „christlich gebessert“ wurden.
- Die Kunsthistorikerin Margit Stadlober analysiert Sein und Schein in exemplarischen Bildwelten der historischen Steiermark.
- Anpassen, Umdeuten, Fälschen: wie diese Schlagworte Denkmalschutz und museale Aufbereitungen betreffen, untersucht die Archäologin Astrid Steinegger.[3]
Nun wird es also gelten, für die ab 11. März 2020 jeweils um 17 Uhr folgenden Termine möglichst viele der bereits rund 100 eingeschriebenen Studierenden in den Uni-Hörsaal bzw. in den Wartingersaal des Steiermärkischen Landesarchivs zu locken. Denn nur dort wird man live miterleben können, wie aus Forschungen zu bislang wenig bekannte Facetten der steirisch-innerösterreichischen Landesgeschichte eine sicher packende Lehre wird. Und da es sich bei dieser Ringvorlesung nicht nur um ein Lehrangebot für fortgeschrittene Studierende, sondern zugleich um eine bewusst offen angelegte Lehrveranstaltung zur Horizonterweiterung handelt, sind ebenso alle nicht inskribierten Gäste jederzeit willkommen!
Der nächste Blogeintrag zu diesem Thema folgt spätestens dann, wenn es den zweiten Memoranda Styriaca-Sammelband zu präsentieren gilt, also voraussichtlich im Herbst 2021. Bis dahin dürfte sich auch schon ein neues zeitgemäßes Thema für die Fortsetzung der Lehrkooperation im Sommersemester 2022 herauskristallisiert haben.
Literatur- und Quellenverzeichnis
Wernfried Hofmeister (Hg.), Mythos.Macht.Geschichte. Historische Konstruktionen des Erinnerungsraumes Steiermark und Innerösterreich (= Memoranda Styriaca. Lehrkooperationsbeiträge Uni Graz – Historische Landeskommission für Steiermark 1, Graz 2019); Verlagsseite zum Buch: https://universitaetsverlag.uni-graz.at/de/neuigkeiten/detail/article/mythosmachtgeschichte-historische-konstruktionen-des-erinnerungsraumes-steiermark-und-inneroesterr/.
Lehrveranstaltungsbeschreibung zur Ringvorlesung „Mythos.Macht.Geschichte“ im Sommersemester 2018: https://online.uni-graz.at/kfu_online/wbLv.wbShowLVDetail?pStpSpNr=504872&pSpracheNr=1.
Lehrveranstaltungsbeschreibung zur Ringvorlesung „Fälschung!“ im Sommersemester 2020: https://online.uni-graz.at/kfu_online/wbLv.wbShowLVDetail?pStpSpNr=585188&pSpracheNr=1.
Folder zur Ringvorlesung „Fälschung!“: [Link]
Folder zur Ringvorlesung „Mythos.Macht.Geschichte“: [Link]
Pressemeldung zum Start der Ringvorlesung „Mythos.Macht.Geschichte“ (Dagmar Eklaude, 28. 2. 2018): https://news.uni-graz.at/de/detail/article/mythos-und-macht/.
Pressemeldung zur Präsentation des Sammelbandes „Mythos.Macht.Geschichte“ und zur Unterzeichnung der Kooperationsvertrags (Gurdrun Pichler, 29. 10. 2019): https://news.uni-graz.at/de/detail/article/wahr-machen/.
Pressemeldung zum Beginn der Ringvorlesung „Fälschung!“ im Sommersemester 2020 (Gerhild Leljak, 5. 3. 2020): https://news.uni-graz.at/de/detail/article/faelschung/.
[1] Theresia Heimerl (Religionswissenschaft), Wernfried Hofmeister (Germanistische Mediävistik), Gernot Kocher (Rechtswissenschaft), Manfred Lehner (Archäologie), Manfred Prisching (Sozialwissenschaft) und Peter Wiesflecker (Geschichtswissenschft). Details zu Themen und Ablauf ist dem Folder zu dieser Vorlesung zu entnehmen. Die ‚historische‘ Pressemeldung der Uni Graz zu dieser ‚Ur-Ringvorlesung‘ findet sich hier.
[2] Mehr zu diesem Ereignis berichtet diese Pressemeldung: https://news.uni-graz.at/de/detail/article/wahr-machen/.
[3] Gerhild Leljak: Fälschung! Neue Ringvorlesung widmet sich Tarnung und Täuschung in der steirisch‐innerösterreichischen Landesgeschichte. (Pressemeldung vom 5. 3. 2020, online unter https://news.uni-graz.at/de/detail/article/faelschung/)
Ao. Univ.-Prof. Dr. Wernfried Hofmeister, Studium der Germanistik und Anglistik in Graz, nach Habilitation 1995 Ao. Univ.-Prof. für Deutsche Sprache und Ältere Deutsche Literatur am Institut für Germanistik der Universität Graz, seit 1. Jänner 2019 Geschäftsführender Sekretär der Historischen Landeskommission für Steiermark. Forschungsschwerpunkte: Editionswisschenschaft, historische Metaphern- und Phraseologieforschung, spätmittelalterliche Dichtung, Vermittlung mediävistischer Fachinhalte an eine breitere Öffentlichkeit.