Archäologie in der Steiermark 2020+ – Potenziale und Perspektiven: Resümee zu einem nicht abgehaltenen Fachgespräch
Bernhard Hebert
Das archäologische Fachgespräch hätte Ende Juni stattgefunden: Die auswärtigen TeilnehmerInnen wären inzwischen schon wieder zu Hause. Der eine oder die andere würde vielleicht noch über ein abgegebenes Statement grübeln oder sich über eine Wortmeldung ärgern. Im Universalmuseum Joanneum wären die Sessel und die unvermeidlichen Tagungsrückstände weggeräumt worden. Die Historische Landeskommission für Steiermark würde soeben mit dem Bundesdenkmalamt eine geeignete Publikationsform überlegen.
Nichts da, Corona hat alles gekippt. Na ja, nicht alles: Eine von vornherein in das Fachgespräch eingetaktete Lehrveranstaltung an der Karl-Franzens-Universität Graz lief unter dem Titel Archäologie in der Steiermark 2020+ – Potenziale und Perspektiven trotz aller notwendigen Restriktionen (fast) wie geplant und fand am 3. Juli 2020 ihren Abschluss.
Die Studierenden haben einige der ReferentInnen des abgesagten Fachgesprächs interviewt, sich eigene Gedanken gemacht und herauszufinden versucht, was die in der Steiermark – besonders außerhalb der Institutionen – tätigen ArchäologInnen und Archäologieaffinen bewegt. Dabei ging es nicht um eine Nabelschau des Fachs, sondern um seine Einbindung in die Gesellschaft und um die Perspektiven einer jungen Generation von im weitesten Sinne steirischen ArchäologInnen.
Ein erfreuliches Ergebnis vorweg: „Die Jungen“ sind keineswegs mutlos, sondern sehen ganz persönlich Chancen in der und für die Archäologie, auch wenn man ihnen zu Studienbeginn sagt, dass sie sich keine Hoffnung auf einen Berufserfolg machen sollen. Das hatte man übrigens schon seinerzeit vor mehr als 40 Jahren dem unterzeichneten Lehrveranstaltungsleiter so gesagt. Trotzdem leben viele KollegInnen oft seit Jahren und Jahrzehnten von ihren archäologischen Tätigkeiten, und das meistens außerhalb der wenigen Stellen an öffentlichen Institutionen.
Die Archäologie ist auch in der Steiermark in hohem Maße eine sich selbst organisierende Sache geworden, und die Player sind nicht nur ArchäologInnen und AuftraggeberInnen (hauptsächlich von Rettungsgrabungen), sondern „Archäologieaffine“, Vereine wie der Arbeitskreis Falkenberg mit seinem neuen archäologischen Museum Murtal in Judenburg oder der HLK-Korrespondent Ernst Lasnik in seinem jahrzehntelangen Bemühen um regionale Archäologie mit Grabungen, Ausstellungen und spezialisierten Museen und damit implizit auch den Kulturtourismus.
In ebendieser Regionalisierung liegt eines der öfter angesprochenen Potenziale: Nur eine nachhaltige Präsenz wird die erwünschte positive Rückkoppelung ermöglichen, nur eine konsequente Öffentlichkeitsarbeit wird Wirkung erzielen. Und hier hapert es gewaltig, wie viele der InterviewpartnerInnen angegeben haben und was die ArchäologInnen selbst auch wissen. Es mangelt an Ressourcen dafür, aber vielleicht auch an Kenntnissen.
Damit sind wir bei einem weiteren häufig genannten Thema: Die universitäre Ausbildung nimmt zu wenig Rücksicht auf das vielfältige Berufsbild der heutigen ArchäologInnen; das beginnt bei der Technik und endet bei Management und Vermittlung. Die Lücken bestehen jedoch auch im Fachlichen, da die in der Steiermark „im Boden“ vorhandenen archäologischen Ressourcen offenbar im Lehrangebot zu kurz kommen. Darüber wäre bei der geplanten Podiumsdiskussion sicher ordentlich gestritten worden.
Sind das zugleich internationale Themen? Ja, zumindest europäische. Besonders auch das berechtigte Gefühl, dass die weiterführende wissenschaftliche Auswertung mit der enorm gesteigerten Grabungstätigkeit und deren ausführlich vorliegenden Dokumentationen lange nicht mehr Schritt hält. Es fehlen Publikationsmöglichkeiten, niemand weiß mehr, wohin mit dem gigantischen Fundanfall, der selbst gut aufgestellte Museen überfordert.
Speziell Steirisches? Ja: Vieles ist hier noch nicht so recht beackert, man soll – und kann erfreulicherweise! – immer noch Neuland betreten. Das hebt die für Beruf und Forschung erforderliche Begeisterung. In einzelnen Abschnitten der Urgeschichte oder im Frühmittelalter zeichnet sich erst allmählich ein stabiles Gerüst ab. Von vornherein auf ein Thema, eine Periode fixiert darf man nicht sein: Wer hätte noch vor wenigen Jahren den Boom der Archäologie des 20. Jahrhunderts mit den daraus resultierenden Aufträgen und wissenschaftlichen Herausforderungen vorausgesehen? „Reine“ Wissenschaft wird generell schwierig sein und bleiben, angewandte Archäologie kann sehr wohl ihren Mann und ihre Frau ernähren, wobei die Entscheidung zwischen EinzelkämpferInnentum oder größerer Firma für den Erfolg offenbar eine geringere Rolle spielt, denn beides kann nachweislich funktionieren.
Unter Mitarbeit der Studierenden der Lehrveranstaltung „Archäologie in der Steiermark 2020+ – Potenziale und Perspektiven“: Christian Greiner, Jessica Joy Haring, Björk Kosir, Clemens-Karl Peyrer, Sandra Schwartz
„Archäologieaffine“ Vereine in der Steiermark (Auswahl):
- AGST (Archäologische Gesellschaft Steiermark)
- ANISA (Verein für alpine Forschung)
- Arbeitskreis Falkenberg / Museum Murtal
- Archäologie im Vulkanland
- Archäologischer Verein Flavia Solva
- ASIST (Archäologisch Soziale Initiative Steiermark)
- FIALE (Forschungsgruppe zur interdisziplinären Aufarbeitung landeskulturellen Erbes)
- Historischer Arbeitskreis Neumarkter Hochtal
- ISBE (Institut für südostalpine Bronze- und Eisenzeitforschung)
- Kulturpark Hengist / Hengist-Archäologie
HR Univ.-Doz. Dr. Bernhard Hebert, Studium der Klassischen Archäologie und Klassische Philologie in Graz und Wien. Promotion zum Doktor der Philosophie 1984 sub auspiciis praesidentis. 1992 Habilitation für das Fach Klassische Archäologie in Graz. Von 1986 bis 2011 Archäologe im Landeskonservatorat für Steiermark, seit 2011 Leiter der Abteilung für Archäologie des Bundesdenkmalamts. Seit 1985 Lehrtätigkeit an den Universitäten Graz, Innsbruck und Wien. Ab 1988 Korrespondent, seit 1999 Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark (HLK), von 2007 bis 2019 Mitglied im Ständigen Ausschuss der HLK.