Die Römer auf dem Schöckl
Manfred Lehner
Archäologische Gedanken vor, während und nach der Ausstellungseröffnung am Hageldonnerstagabend, 23. Juli 2020, im Archäologiemuseum des Universalmuseums Joanneum, Schloß Eggenberg Graz
Tag der Ausstellungseröffnung, frühmorgens, Schöcklkopf (1423 m ü. M.)
Schon länger nicht gesehen, aber heute schaut die Donačka gora[1] wieder einmal aus wie die kleine Schwester vom Schöckl, zumindest von Weitem. Etwas näher bemüht sich darum – mit weniger Erfolg – auch der Buchkogel vulgo Wildoner Berg, hinter dem man an diesem Tag den Turm der Leibnitzer Frauenbergkirche erahnen kann. Die Stadt Graz im Mittelgrund zeigt sich in rosaweißer Vogelperspektive. Um dem Ganzen einen akustischen Reiz hinzuzufügen, grüßt neben der Glocke der Leitkalbin am Ostplateau auch der freundliche Passailer Morgenschrat in seinem nicht so auf Anhieb allgemeinverständlichen Idiom. Aber wir wissen schon, was er sagt, täglich.
Während die anderen unter der Leitung von Levente Horváth und Robert Pritz mit der Arbeit beginnen, muss ich wieder einmal zum Mautstraßenschranken (dessen Schlüssel wir uns am Forstamt Gutenberg alle Jahre wieder abholen dürfen – ein echter Vertrauensbeweis!) um mein armes rotes, von den Kalbinnen geliebtes Auto der Gefahr einer weiteren Reifenpanne auszusetzen und um den Videomann unseres Kooperationspartners Universalmuseum Joanneum abzuholen. Er hat sich nur leicht auf einem falschen Forstweg verirrt, schenkt uns dafür aber ein schönes Drohnenfoto unserer Grabungsfläche. Das Video steht übrigens auf https://www.youtube.com/watch?v=nA6-wH3bynU.
Die geballte Kraft der Öffentlichkeitsarbeitsmaschine des UMJ, die im Zusammenhang mit der heute Abend daselbst zu eröffnenden Ausstellung von der Kette gelassen worden ist, beschert uns in den Medien und auch vor Ort auf der Grabung ungewohnte Tätigkeiten wie Vor-der-Kamera-Stehen und Social-Media-Posten, aber auch eine ungewohnte Aufmerksamkeit. Die Fragen der Wanderergruppen an das Grabungsteam werden immer sachkundiger, das Durchschnittsniveau ist vom Gewohnten „Was wird denn da gebaut?“ und „Habt ihr schon Gold gefunden?“ um mehrere Stufen auf „Wo ist denn jetzt die Tempelmauer?“, „Ihr grabt ja schon seit ein paar Jahren, gell?“ und „Kenn ich dich irgendwoher?“ gehoben worden. Und offensichtlich kommen einige speziell wegen der Ausgrabung auf den Ostgipfel, also selbst dann, wenn von dort keine Drachen und Gleitschirme starten.
Solcherart befeuert, ist der Schöckl geeignet, das Potenzial einer gut kommunizierten Regionalarchäologie zu offenbaren, und zeigt vielleicht beispielhaft, was alles geht, wenn die nötigen Faktoren glücklich zusammenkommen:
- ein prominenter, identitätsstiftender Ort als Fundplatz, der noch nicht präjudizierend (kaputt-)erforscht ist,
- ein weißes Schaf unter den metallsondenbewehrten Hobbyarchäologen, das mit seinen Funden ohne Umwege den Weg zu den Professionisten findet (Heimo Siegert),
- ein freundlich gesinnter Grundbesitzer (Ulrich Stubenberg),
- ein fixangestellter Kümmerer mit Infrastruktur und Netzwerk (ich), der seine Dienstzeit am Berg verbringen und zusätzliche AssistentInnendienstzeit (Levente Horváth, Iris Koch) verwenden darf, weil den Chef (Peter Scherrer) die Sache interessiert,
- für einen Zeugniszettel brav und hart, zum Teil auch über das Notwendige hinaus engagiert arbeitende Studierende, ohne die die größeren Grabungen 2017 und 2019 nicht möglich gewesen wären (bisher fast 40 Studierende!),
- ein verlässlicher Mindestsicherungs‑/Drittmittelgeber, in diesem Falle das Bundesdenkmalamt, mit gewogenen AmtsarchäologInnen (Bernhard Hebert, Eva Steigberger und Jörg Fürnholzer), die reine Forschungsgrabungen fördern, obwohl sie das nicht müssten,
- ein zum Glück für zwei Jahre angestellter Dissertant, der im Schatten des Berges geboren wurde, nun die Funde bearbeitet und der daher die damit zusammenhängende zeitliche Selbstausbeutung als Tugend und nicht als Laster sieht (Robert Pritz),
- und am Wichtigsten: ein fachkundiger Partner mit Budget, Infrastruktur und Netzwerk (UMJ), der mit den Ausstellungskuratoren Karl Peitler und Daniel Modl darauf bedacht ist, die auf den ersten Blick wirre Informationsmenge und die oft nur assoziativen Hypothesen der Uni-Archäologen so herunterzubrechen, dass sich daraus jenseits der scientific community auch ein didaktisch-volksbildnerischer Wert ergibt. Schön, mit Experten zusammenzuarbeiten, die die Dinge einmal nicht verkomplizieren, sondern vereinfachen.
Insgesamt: BEST PRACTICE![2]
Tag der Ausstellungseröffnung, mittlerer Nachmittag, Mautstraße (ca. 1300 bis 1120 m ü. M.)
Wir sind heute früher aufgebrochen, man muss sich später ja noch fein machen können für den Abend. Außerdem wurde es im Nordwesten eh schon ganz schwarz. Jupiter wehrt sich wohl dagegen, dass wir sein Heiligtum am Schöckl-Ostgipfel ausgraben, obwohl der Erhaltungszustand der ziemlich sicher in den 270er-Jahren nach Christus errichteten „Tempelmauern“ erbärmlich ist. Aber die Opfermünzen liegen noch da, und die nehmen wir ihm ja weg. Jupiter? Nicht nur, dass der Wettergott perfekt auf den Schöckl passen würde, lassen auch die Münzreverse des späten 3. und frühen 4. Jhs., nachdem sie am UMJ restauriert und von Karl Peitler bestimmt worden waren, eine leichte Überrepräsentanz des „IOVI CONSERVATORI“-Typs erkennen (normal ca. 12,5 %, am Schöckl fast doppelt so hoher Anteil). Zufall?
Eigentlich sollte ich mich, anstatt zu spekulieren, lieber schon auf die Rede heute Abend konzentrieren. Soll ich dabei anmerken, dass es schön gewesen wäre, den gesamten Kultbau am Ostgipfel in einem Zuge ausgraben und einheitlich dokumentieren zu können und nicht umständehalber in kleinen Teilflächen über vier Jahre hinweg? Soll ich sagen, dass es schön wäre, wenn Regionalarchäologie, auch wenn sie weniger Showcharakter hat als der Glücksfall Schöckl, auf der Universität gleichberechtigt zur Auslandsfeldforschung betrieben werden sollte?[3] – Nein, Jammern kommt nicht gut, schon gar nicht ein solches auf hohem Niveau.
Tag der Ausstellungseröffnung, Abend, Eggenberg (372 m ü. M.)
Während der Rede, in der ich die offenen Fragen, die bei Ausgrabungen immer entstehen, und die den Ausstellungsmachern sogar eine eigene Tafel im ohnehin beschränkten Raum wert waren, andeutungsweise thematisiere, wird mir klar, dass (m)ein Leben zu kurz ist, um die kultischen Rätsel, die uns der Schöckl aufgibt, zu lösen. Aber – das hat mein früherer Professor Thuri Lorenz immer gesagt – Wissenschaft besteht auch darin, neue Fragen aufzuwerfen und nicht nur Lösungen anzubieten. Soll heißen: Solange er oder sie Fragen stellt, braucht sie oder er kein schlechtes Gewissen zu haben! Gänzlich in die Realität zurück holt mich die Schöcklhexe höchstpersönlich, denn während der ersten von drei Kuratorenführungen im Ausstellungsraum, genau als Daniel Modl draußen vor den auf die Führung Wartenden von ihr spricht, schickt sie ein tadelloses, lärmendes Hagelwetter, dessen Wassermassen sogar das Museumsfoyer erreichen. Ich aber denke mir: Schon morgen früh müssen wir wieder auf die Grabung, soll es sich lieber heute aushageln...
Mittlerweile ist das geflutete Foyer längst wieder trocken gelegt. Also bitte hingehen, die Ausstellung anschauen und sich so selbst ein Bild machen von den Funden und den offenen Fragen zu den „Römern auf dem Schöckl“: https://www.museum-joanneum.at/archaeologiemuseum-schloss-eggenberg/ausstellungen/ausstellungen/events/event/8868/die-roemer-auf-dem-schoeckl-2!
Literatur und Quellenverzeichnis
Manfred Lehner, Eine ausgewählte Fundstelle: Das römerzeitliche Höhenheiligtum am Schöckl bei Graz. In: Bernhard Hebert (Hg.), Urgeschichte und Römerzeit in der Steiermark I (= Geschichte der Steiermark 1, Wien–Köln–Weimar ²2018), 718–722.
Manfred Lehner/Robert Pritz, Das römerzeitlich-spätantike Höhenheiligtum am Schöckl bei Graz. Bericht zur vierten Grabungskampagne im Sommer 2019: Das Sakralgebäude am Ostgipfel (Schöcklkopf, 1423 m) [URL: https://www.academia.edu (31. 7. 2020)].
Manfred Lehner, Neues vom römerzeitlichen Höhenheiligtum am Berg Schöckl bei Graz. In: Lydia Berger/Lisa Huber u. a., Akten des 17. Österreichischen Archäologentages in Salzburg 2018, ArchaeoPlus 11 (Salzburg 2020), 285–295.
Manfred Lehner/Daniel Modl u. a., Die Römer auf dem Schöckl – Eine Sonderausstellung im Archäologiemuseum des Universalmuseums Joanneum, Forum Archaeologiae 95/VI/2020 [URL: http://farch.net (31. 7. 2020)].
Die einzelnen amtlichen Berichte der archäologischen Maßnahmen von 2015 bis 2018, die bereits in der E-Book Version der Fundberichte aus Österreich veröffentlicht sind, finden sich auf: https://antike.uni-graz.at/de/forschen/projekte/laufende-projekte/ausgrabungen-des-instituts-nach-regionen/schoeckl/
Anmerkungen
[1] Vormals Donatiberg, in Slowenien zwischen Ptuj und Celje gelegen, Seehöhe 884 m, Entfernung 106 km Luftlinie.
[2] Noch besser wäre es, wenn man den Studierenden, die den Löwenanteil der Arbeitsstunden im Gelände leisten, wie früher vor der Jahrtausendwende etwas zahlen könnte, das über ein paar Biere am letzten Grabungstag hinausgeht, denn das würde es erleichtern, diese Studierenden und JungabsolventInnen als angehende WissenschaftlerInnen für die Zukunft wahrzunehmen, anstatt ihre (naturgemäß) noch mangelnde Perfektion zu beklagen und sie daher bloß als Dokumentationsroboter zu sehen, wie das – sogar öffentlich – in letzter Zeit von Personen bekundet wurde, die schon weit hinter den Linien stehen.
[3] Das Institut für Antike der Universität Graz setzt aktuell mit einer neuen Professur einen Forschungsschwerpunkt in den Hochkulturen des 2. Jahrtausends v. Chr. im östlichen Mittelmeerraum.
Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Manfred Lehner, geb. in Leoben, Studium der Klassischen Archäologie und Kunstgeschichte an der Universität Graz, 2010 Habilitation zum Thema Siedlungskontinuität Binnennoricum/Karantanien. Seit 2010 Dozent am Institut für Antike der Universität Graz und seit 2011 Mitglied der HLK. Zahlreiche Grabungstätigkeiten im In- und Ausland.