Ein Archivalienfund in Schloss Thinnfeld
Bernhard Hebert
Das Haus des Ferdinand von Thinnfeld in Deutschfeistritz, ein gut erhaltenes Gesamtkunstwerk der 1760er Jahre, beschäftigte in den letzten Jahren mehrfach die Historische Landeskommission: Da gab es ein Projekt mit der Karl-Franzens-Universität, eine daraus entstandene Publikation[1] und deren Präsentation, aber auch die abschließende Erna-Diez-Preisverleihung und sommerliche Sitzungen des Ständigen Ausschusses der Historischen Landeskommission fanden hier statt.
Ferdinand von Thinnfeld, erfolgreicher Hammerherr und Kaiserlicher Geheimer Rat – als Jurist Mitverfasser des Codex Theresianus – hatte das Landhaus[2] für seine junge zweite Frau nach dem Vorbild einer Villa bei Padua errichten lassen, wo er einen Teil seiner Studien absolvierte. So berichtet zumindest die Familientradition; das venezianische Vorbild mag allgemein für die angestrebte villeggiatura und die reiche Ausstattung, besonders mit den Wand- und Deckenmalereien,[3] gelten, weniger für Architektur und Gesamtanlage. Letztere, besonders das komplizierte Dach mit seinen Mansardformen, spiegelt vielmehr französische und deutsche Einflüsse.[4]
Und dieses komplizierte Dach erwartet auch komplizierte Pflege. 2020 wurden umfangreiche Reparaturen, großteils von einem mächtigen Kran aus, durchgeführt. Dabei wurde auch eine arg in Mitleidenschaft gezogene Gaube eines Turmzimmers, des ehemaligen „Laqueyzimmers“ bzw. Knechtzimmers[5], wiederhergestellt. Als man die Holzbretter des Fenstersturzes abnahm, kamen einige darauf liegende, stark verschmutzte Papierblätter zum Vorschein, die von den aufmerksamen Mitarbeitern der Baufirma in Wahrnehmung ihres offensichtlichen Alters den Eigentümern übergeben wurden. Wie kamen sie dorthin? Man kann sie vom schwer erreichbaren Dachboden des Turmes aus in den Zwischenraum zwischen der Dachhaut und der Holzkonstruktion der Turmzimmerwände geworfen haben; zur Not wären sie auch wieder herausholbar gewesen. Aber wozu dieses Versteck? Funktion hatten sie auf dem Fenstersturz gar keine. Wollte man sie an dieser mühsam zugänglichen Stelle entsorgen? Oder versteckt lagern?
Was sind denn das nun für Papiere? Es handelt sich um 15 offensichtlich aus einem gebundenen Konvolut herausgerissene oder eher herausgeschnittene Seiten mit fortlaufender Paginierung. Eine Durchsicht macht schnell klar, worum es sich genau handelt: um die Seiten eines „Cassa-Jounals“, in dem die Ausgaben und Einnahmen des Hammerwerks verzeichnet waren. Bekannte Namen von Geschäftspartnern tauchen darin auf, wie Anton Körösi oder C. Greinitz Neffen. Derartige Cassabücher der Thinnfeldschen Hammerwerke sind im wohl bestückten Haus-, Werks- und Familienarchiv[6] etliche erhalten.
Also nichts Besonderes? Oh ja, doch. Es handelt sich nämlich nach den verzeichneten Daten aus den Jahren 1870 und 1871 um das Kassabuch aus der allerletzten Zeit des Deutschfeistritzer Werkes, das damals gar nicht mehr der Familie Thinnfeld gehörte.[7] 1866 hatte es nämlich ein Ausgleichsverfahren über Betriebe und Privatvermögen des Ministers Ferdinand von Thinnfeld – das ist der Enkel des Erbauers – gegeben. Dessen Schwiegersohn Antonio Servadio kaufte Schloss und Hammerwerk aus der Konkursmasse; das ging aber nicht lange gut. 1871 flüchtete Servadio vor seinen Schulden – „...um alle dem zu entgehen, kniff der Feigling einfach aus...“[8] und hinterließ Chaos: Die Frage, wer seine Erben sind, führt heute noch zu den seltsamsten grundbuchrechtlichen Juristereien. Die Familie wollte dem Herrn Servadio, der 1866 als angeblicher österreichischer Spion auch seine Heimat Veneto – so schließt sich der Kreis zu der angeblich venezianischen villa – verlassen hatte müssen, gar kein gutes Andenken bewahren. Aber irgendjemand hat die herausgetrennten Seiten des letzten „Cassa-Jounals“ des Pleitebetriebes in der geschilderten besonderen Art für die nächsten fast 150 Jahre bewahrt – honi soit qui mal y pense. Und mit dem geldknappen Antonio Servadio haben die bei der Dachreparatur entdeckten Blätter auch ganz direkt zu tun: Seite 38 vermerkt „Baarzalung an Hrn. Servadio am 12. März 1870 /:vom Chef bestatgt:/ - 40 f“.
Anmerkungen
[1] Eva Klein/Margit Stadlober (Hgg.), Schloss Thinnfeld. Ein Gesamtkunstwerk des 18. Jahrhunderts (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 69, Graz 2015).
[2] Vgl. die von der Korrespondentin der HLK Wilma Schmidt-Högl verfasste Darstellung: Wie entstand Schloss Thinnfeld? Wirtschaftlicher Erfolg – Gesellschaftlicher Aufstieg. In: Wilma Schmidt-Högl/Johannes Pötscher, Deutschfeistritz, Bd. 2: Vergangenheit (Deutschfeistritz 2014), 444–464.
[3] Bernhard Hebert, Antike Mythen in einem steirischen Hammerherrenhaus. Dokumente und Deutungen zu den Wand- und Deckenbildern in Schloß Thinnfeld. In: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark 76 (1985), 213–233.
[4] So spricht schon der Ururenkel des Erbauers Moriz Heider Schloss Thinnfeld als „petit hôtel entre cour et jardin“ an: Moriz Heider, Das Hammerherrenhaus zu Deutsch-Feistritz in Steiermark. In: Der Architekt. Wiener Monatshefte für Bauwesen und dekorative Kunst 3/6 (1897), 23f.
[5] Bernhard Hebert/Ulla Steinklauber, Zur Ausstattung und Möblierung von Schloss Thinnfeld nach dem Verlassenschaftsinventar von 1770. In: Eva Klein/Margit Stadlober (Hgg.), Schloss Thinnfeld. Ein Gesamtkunstwerk des 18. Jahrhunderts (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 69, Graz 2015), 33–40.
[6] Bernhard Hebert/Ulla Steinklauber, Berührungen. In: Denkmal heute 51 (8/2016), 8ff.
[7] Hierzu und zum Folgenden: Wilma Schmidt-Högl, Ferdinand von Thinnfeld – Peter Tunner – Victor Franz Hess. Drei „Deutschfeistritzer“ Persönlichkeiten. In: Wilma Schmidt-Högl/Johannes Pötscher, Deutschfeistritz, Bd. 2: Vergangenheit (Deutschfeistriz 2014), 474–499, bes. 492f.
[8] Josefine von Wimbersky geb. Freiin von Thinnfeld, Familiengeschichte (Maschin. Manuskr., 1913, Archiv Schloss Thinnfeld), 38.
HR Univ.-Doz. Dr. Bernhard Hebert, Studium der Klassischen Archäologie und Klassische Philologie in Graz und Wien. Promotion zum Doktor der Philosophie 1984 sub auspiciis praesidentis. 1992 Habilitation für das Fach Klassische Archäologie in Graz. Von 1986 bis 2011 Archäologe im Landeskonservatorat für Steiermark, seit 2011 Leiter der Abteilung für Archäologie des Bundesdenkmalamts. Seit 1985 Lehrtätigkeit an den Universitäten Graz, Innsbruck und Wien. Ab 1988 Korrespondent, seit 1999 Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark (HLK), von 2007 bis 2019 Mitglied im Ständigen Ausschuss der HLK.