Archäologie in Österreich 1938–1945 – Eine Buchneuerscheinung
Daniel Modl
„Zu den bedeutungsvollsten kulturellen Aufgaben des Dritten Reiches gehört insbesondere die Pflege, Erhaltung und Erforschung der vorgeschichtlichen Altertümer. Die junge Wissenschaft der Vor- und Frühgeschichte nimmt im geistigen Leben des neuen Deutschland eine hervorragende Stellung ein, sie ist eine nationale Wissenschaft geworden; man setzt alle Kräfte daran, zu den lange verschütteten Quellen des Volkstums vorzudringen.“[1]
So beginnt eine Denkschrift, die der steirische Landesarchäologe Walter Schmid (1875–1951) am 30. September 1940 an die Unterabteilung II der Reichsstatthalterei übermittelte, um damit die Errichtung eines steirischen Landesamtes für Vor- und Frühgeschichte am Landesmuseum Joanneum zu erwirken. In seinem Einleitungssatz nimmt er Bezug auf ein populäres Buch des national gesinnten und völkisch geprägten Prähistorikers Gustaf Kossinna (1858–1931) mit dem Titel „Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft“, das erstmals 1912 erschien und in dem der Autor die germanische Ethnogenese von der jüngsten Steinzeit bis zur Römischen Kaiserzeit darstellte.[2]
Kossinas Lehre basierte auf der Annahme, dass sich geschlossene archäologische Kulturkreise mit bestimmten Völkern und Völkerstämmen decken würden. Damit konstruierte er einen „Link“ zwischen materieller Kultur und Rasse, der in weiterer Folge ein wichtiges Fundament für die Geschichts- und Rassenideologie der Nationalsozialisten bildete. Diese wollten territoriale Ansprüche wie auch die angebliche rassische Überlegenheit der Deutschen gegenüber anderen Völkern durch entsprechende Interpretation archäologischer, vor allem ur- und frühgeschichtlicher Funde und Verhältnisse legitimieren. So verkam das Fach in diesen dunklen Jahren zu einer ideologischen Zweckwissenschaft.
Die Archäologie selbst profitierte von den unbegrenzt scheinenden finanziellen Mitteln des NS-Regimes, die zur Gründung neuer Lehrstühle an den Universitäten, zur Schaffung zahlreicher Stellen an Museen und in der staatlichen Bodendenkmalpflege und zur Durchführung großangelegter Grabungs- und Forschungsprojekte führte. Mit der raschen Expansion des Deutschen Reiches zwischen 1939 und 1942 eröffneten sich für die „Spatenwissenschaftler“ aber auch neue Forschungsgebiete.[3]
So führte beispielsweise der im Dienst des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg (ERR) stehende Walter Modrijan (1911–1981), später Nachfolger von Schmid als Landesarchäologe am Joanneum, zum Zeitpunkt der Übersendung der obigen Denkschrift gerade Vermessungen der Megalithdenkmäler rund um Carnac in der Bretagne durch. Im Mai 1942 ist Modrijan erstmals in der Ukraine tätig, wo er die archäologischen Sammlungen von Museen in Kiew oder auf der Krim besichtigte. Wenige Monate später wird er nach Dnepropetrowsk abkommandiert, um das dortige Museum wiederzueröffnen. Seine Aufgabe besteht darin, die dortige Schausammlung im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie umzugestalten. Die Geschichte des Landes sollte als Abfolge von germanischen Einwanderungswellen dargestellt werden, um damit die Ukraine als uraltes deutsches Siedlungsland zu charakterisieren und deren Eroberung und Besetzung durch die Wehrmacht wissenschaftlich zu legitimieren.[4]
Eine vermutlich im April 1943 entstandene Fotografie zeigt Modrijan über eine Karte Osteuropas gebeugt, die er gerade für einen – kriegsbedingt nie erschienenen – Beitrag in der Zeitschrift „Germanen-Erbe“ zeichnet. Sie wird bei ihrer Fertigstellung die griechische und germanische Kolonisation des Schwarzmeerraumes veranschaulichen. Während er hier noch den Verbreitungsraum der ostgermanischen Bastarnen mit Bleistift skizziert, sind es einige Wochen später die Ostgoten, die ihn beschäftigen werden, als er den Kartentisch mit einem Boot tauscht und entlang des Dnepr-Bogens nach deren Gräbern am Ufer Ausschau hält.
Während Modrijan bei brütender Hitze im Gelände arbeitet, laufen 1500 km weiter westlich in Marburg/Maribor gerade die Vorbereitungen zu einer Ausstellung, die sich ebenfalls mit den Goten auseinandersetzen wird. Es handelt sich um die Ausstellung „Deutsche Kultur in der Untersteiermark“, die vom 25. September bis 3. Oktober 1943 vom Steirischen Heimatbund veranstaltet werden soll.[5] Dabei handelte es sich um die erste größere Propagandaschau mit archäologischem Inhalt im CdZ-Gebiet Untersteiermark. Zu sehen waren u. a. eine Kopie des Wiener „Harigasthelmes“, der als ältestes germanisches Sprachdenkmal galt, und Fotografien von den Ausgrabungen in der vorgeblich „ostgotischen“, in Wirklichkeit romanisch-spätantiken Siedlung von Reichenegg/Rifnik. Zweck der Ausstellung war es, den Nachweis zu erbringen, „dass die Kultur der Untersteiermark im weitesten Sinne immer eine deutsche war, oder unter stärkstem deutschen Einfluss stand.“[6] Damit fügt sich die Ausstellung in die radikale Germanisierungspolitik der Besatzer ein, die von der Einführung des Deutschen als Amts- und Unterrichtssprache bis zur Verfolgung, Vertreibung, Umsiedlung oder Ermordung tausender Sloweninnen und Slowenen reichte.
Die Klärung der Fragen, wie Ideologie, Politik und Propaganda des NS-Staates die archäologische Forschung vereinnahmten bzw. wie die Archäologinnen und Archäologen dem NS-Regime überhaupt so willfährig zuarbeiten konnten, war auch Ziel eines internationalen Symposiums, das vor fünf Jahren am Universalmuseum Joanneum stattfand und vom Bundesdenkmalamt mitorganisiert wurde. Unter dem Titel „Archäologie in Österreich 1938–1945“ wurden damals 31 Vorträge gehalten, darunter auch mehrere mit Bezug zur Steiermark. Vor wenigen Wochen, am 17. September 2020, wurde nun der vom Universalmuseum Joanneum zusammen mit der Historischen Landeskommission für Steiermark herausgegebene Tagungsband im Beisein von Kulturlandesrat Christopher Drexler im Archäologiemuseum in Schloss Eggenberg der Öffentlichkeit präsentiert.
Die Leserin bzw. der Leser werden sich bei einem „Beiheft“ der Reihe „Schild von Steier“ wohl kein 800-seitiges Buch erwarten, doch ist der Umfang des Bandes der Ambition geschuldet, einen möglichst breiten Überblick über die damalige Forschungslandschaft zu geben, der u. a. Biographien, Institutionsgeschichten und Überblicksdarstellungen zu den einzelnen Bundesländern bzw. Reichsgauen einschließt. Trotzdem ist dieser Tagungsband keinesfalls der Abschluss der Forschungen. Er ist vielmehr nur ein weiterer Schritt, die Verstrickungen der archäologischen und althistorischen Fächer mit dem Nationalismus transparenter zu machen, und er bringt die Verpflichtung mit sich, die Geschichte des Faches auch in Zukunft weiter aufzuarbeiten.
Anmerkungen
[1] Universalmuseum Joanneum, Direktionsakten, Akt.-Nr. 83/1940, Denkschrift betreffend die Errichtung eines steirischen Landesamtes für Vor- und Frühgeschichte am Joanneum von Walter Schmid, 30. 9. 1940.
[2] Gustaf Kossinna, Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft (Leipzig 1912).
[3] Allg. Focke-Museum (Hg.), Graben für Germanien – Archäologie unterm Hakenkreuz. Begleitband zur Ausstellung im Focke-Museum, 10. März bis 8. September 2013 (Stuttgart 2013).
[4] Vgl. Daniel Modl, Von den Menhiren der Bretagne zu den gotischen Gräbern im Dnjeprbogen – Walter Modrijan (1911–1981) und die archäologischen Unternehmungen des „Amtes Rosenberg“ in Frankreich, der Ukraine und Italien zwischen 1940 und 1944 (= Schild von Steier 25, = Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 58, Graz 2012), 62–93.
[5] Vgl. Daniel Modl, Archäologie zwischen Mur und Save im Dritten Reich (1938–1945). Eine Studie zur ideologisch-politischen Vereinnahmung der Archäologie im Reichsgau Steiermark und im CdZ-Gebiet Untersteiermark. In: Daniel Modl/Karl Peitler (Hgg.), Archäologie in Österreich 1938–1945. Beiträge zum internationalen Symposium vom 27. bis 29. April 2015 am Universalmuseum Joanneum in Graz (= Schild von Steier, Beiheft 8, = Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 79, Graz 2020), 664–748, hier 690.
[6] Zgodovinski arhiv Ptuj, ZMD-MD-I-8/1 (Mestni Muzej v Ptuju 1941–1944, Dopisi A–K), Nr. 011090, Walter Taufar an Balduin Saria, 31. 7. 1943.
Neuerscheinung:
Daniel Modl/Karl Peitler (Hgg.), Archäologie in Österreich 1938–1945. Beiträge zum internationalen Symposium vom 27. bis 29. April 2015 am Universalmuseum Joanneum in Graz (= Schild von Steier, Beiheft 8/2020, = Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 79, Graz 2020), 800 Seiten
Das Buch ist am Universalmuseum Joanneum sowie über den Phoibos-Verlag um € 90 erhältlich.
Mag. Daniel Modl, geb. 1980 in Graz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Archäologie & Münzkabinett am Universalmuseum Joanneum in Graz und Doktorand im Fach Archäologie an der Universität Graz mit Forschungsschwerpunkten u. a. im Bereich der Experimentellen Archäologie, Archäometallurgie und archäologischen Forschungsgeschichte.