Der Theaterdirektor Joseph von Zambiasi, genannt Bellomo
Christian Neuhuber
Als Vorgänger Goethes im Direktorat des Weimarer Theaters und Wegbereiter der Opern Mozarts auf Grazer Bühnen ist Joseph Zambiasi zumindest in Fachkreisen noch heute bekannt, wenn auch in seinem Wirken zu wenig gewürdigt.
Anfänge in Südtirol, Wien und Graz
Geboren wurde Johann Joseph Augustin Gabriel Edler von Zambiasi im südtirolerischen Taio (Predaia, Provinz Trient) am 28. März 1754 als dritter Sohn des 1747 nobilitierten Seidenhändlers und Milizkommandanten Francesco Zambiasi und seiner Frau Franziska (geborene Fuchshuber). Nach dem Tod des Vaters 1772 soll er sich laut dem (unbelegten) Zeugnis Martin Wielands als „einer der Secretarien in der Italien. Canzley zu Wien“ verdingt haben, schloss sich aber bald einer italienischen Singspielgesellschaft unter Giuseppe della Tavola an, wo er wohl die Sängerin Teresa Nicolini kennenlernte.
1776 wurde die Truppe vom steirischen Adel – als Ergänzung zum deutschen Schauspiel – nach Graz an das neuerrichtete Landständische Theater berufen, wo Zambiasi unter dem Künstlernamen Bellomo bald auch Leitungsaufgaben übernahm. 1777 heiratete er Nicolini, die – wie die Heiratsmatrikel der Stadtpfarrkirche belegt – eine Tochter von Giuseppe Nicolini und seiner Frau Anna, geborene Gardini, war, also nicht (wie allgemein behauptet) den berühmten Kindertruppenprinzipal Nicolini Grimaldi zum Vater hatte. Sie sang zweite, später auch erste Sopranrollen, während Bellomo nur in Nebenrollen auftrat, da er – so Wieland – zwar ein „feiner, sehr schöner Mensch, wiewohl ganz und gar kein Acteur“ war. Besonders beliebt waren in Graz zu dieser Zeit kürzere komische Opern, beinahe ausschließlich italienische ‚dramme giocose‘ wie Antonio Salieris La fiera di Venezia oder Giovanni Paisiellos La Frascatana, die in der Originalsprache gespielt wurden.
Wanderjahre
Während der Impresa Francesco Guerrieris verließ das bei Publikum und Kritik beliebte Ehepaar Bellomo 1779 Graz und ging zurück nach Wien, wo am Hoftheater nach dem Tod Marianne Langes eine Sopranistinnenstelle vakant war. Teresas Debut als Hannchen in einer deutschen Adaption von Antonio Sacchinis Il finto pazzo per amore brachte ihr eine harsche Kritik Kaiser Josephs II. ein, der sie in einem Brief an seinen Bruder Leopold als hässlich mit schwacher, nasaler Stimme und italienischem Akzent abqualifizierte. Was das verwöhnte Publikum der theaterbegeisterten Residenzstadt nicht überzeugen konnte, sollte jedoch in nördlicheren Gefilden durchaus Anklang finden.[1] 1781 ging das Ehepaar zunächst an das Stadttheater nach Münster unter Hermann Adolf Nagel zu Vornholz (wo Bellomo seine Libretto-Übersetzung von Salieris L'amore innocente drucken ließ), nach dessen Tod 1782 dann weiter an das Dresdener Hoftheater unter Pasquale Bondini, der Teresa Bellomo erste Rollen übertrug.
1783 bewarb sich Bellomo um die Direktion des Sommertheaters im Linkischen Bad bei Dresden. Seine Truppe, die zunächst vor allem aus Akteuren aus dem oberdeutschen Sprachraum bestand, wusste bei Probegastspielen in Weimar zu gefallen, sodass Bellomo von Herzog Carl August die Leitung des dortigen Theaters übertragen bekam, das bis dahin als Liebhaberbühne um Johann Wolfgang Goethe geführt worden war.
Weimarer Direktion 1784–1791
Bellomos Ensemble agierte ab 1784 nicht als Hoftheatertruppe, unterstand aber in künstlerischen und ökonomischen Belangen dem Hofmarschallamt und hatte seine Stärke „in Operetten, besonders Italienischen, die sie uns nach teutschen Übersetzungen (zum besten derer, die kein welsch verstehen) sehr genießbar vortragen“, so Wieland. Gespielt wurde dienstags, donnerstags und samstags während der Saison zwischen Oktober/November und Ostern, bis 1791 an über 700 Abenden; in den übrigen Monaten gastierte man in Altenburg, Dessau, Eisenach, Erfurt, Gotha, Merseburg, Magdeburg und anderswo, vor allem aber in Lauchstädt, wo Bellomo mit Konzession eine einträgliche, auf eigene Kosten errichtete Sommerbühne betrieb.
Das Weimarer Ensemble zeigte eine starke Fluktuation: Ohne Gastspielrollen einzurechnen, listet ein Chronist 1797 nicht weniger als 60 zeitweilige Mitglieder auf, darunter zahlreiche Könner ihres Fachs. Unbestrittene Stars waren im Sprechtheater Sophie Ackermann und Teresa Bellomo im Musikfach – nach dem Urteil eines wohlwollenden Kritikers des ‚Neuen Theater-Journals‘ eine „vorzüglich gute Sängerin“ mit weitem Stimmumfang. Die Einschätzung in Gerbers ‚Lexicon der Tonkünstler‘ von 1790 als „eine der vorzüglichsten in Deutschland“ basiert allerdings wohl ebenso wie die irreführende Biographie auf (selbstgestreuten?) Gerüchten.
Das Repertoire, mit dem man in diesen Weimarer Jahren das Publikum unterhielt, unterschied sich nicht wesentlich von dem größerer deutschsprachiger Bühnen dieser Zeit: Gut ein Viertel bestand aus musikalischen Produktionen: Singspiele, Ballette, eingedeutschte Opere buffe u. a. von Pasquale Anfossi, Domenico Cimarosa, Paisiello, Niccolò Piccini, Salieri und Giuseppe Sarti; aber auch Werke von Georg Anton Benda, Karl Ditter von Dittersdorf, Christoph Gluck und Wolfgang Amadé Mozart standen auf dem Programm, dazu Vertonungen von heute vergessenen Hauskomponisten wie August Burgmüller, Ernst Wilhelm Wolf oder Benedikt Kraus (der u. a. Bellomos Libretto Amors Zufälle vertonte). Im Sprechtheater dominierten populäre Stücke von Joseph Marius Babo, Christoph Friedrich Bretzner, August Wilhelm Iffland, August Kotzebue oder Friedrich Ludwig Schröder; an österreichischen Autoren finden sich Cornelius von Ayrenhoff, Philipp Hafner, Johann Rautenstrauch und Johann Gottlieb Stephanie. Aber auch Bleibendes wurde gespielt, neben – natürlich – Goethe auch Lessing, Schiller und Shakespeare. Goethes wertschätzendes Urteil in seinen Annalen von 1791, „Bellomos Repertorium war schon von Bedeutung“, ist nicht zuletzt pro domo zu verstehen, übernahm er doch – als ihm in diesem Jahr die Leitung übertragen wurde – immerhin 84 Stücke für seine Programmierung der kommenden Saisonen.
Schon 1790 hatte sich der Herzog entschlossen, die Weimarische Schaubühne als Hoftheater neu zu organisieren und ästhetisch zu heben. Die Forschung begründete diese Entscheidung lange mit künstlerischen Unzulänglichkeiten der Intendanz Bellomos, die schon von zeitgenössischen Kritikern ambivalent beurteilt wurde. Doch sind abschätzige Äußerungen nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund ausgeprägter Ressentiments gegenüber dem Kulturtransfer aus katholischen Gebieten zu sehen und fanden schon damals Widerspruch. Das ‚Neue Theater-Journal‘ etwa gab Bellomo aufgrund seiner „Einsicht und Kunstliebe [...] den ersten Plaz unter den deutschen Direkteurs“.
Grazer Direktion 1791–1797
Letztlich kündigte Bellomo selbst den Vertrag auf, nachdem er aus Graz das Angebot erhalten hatte, die Nachfolge des Direktors Roman Waizhofer am Ständischen Schauspielhaus anzutreten. Zum Abschied gab er in Weimar am 5. April 1791 das Kotzebue-Stück Das Kind der Liebe, dann machte er sich mit einem Teil seines Ensembles (darunter das Ehepaar Ackermann) auf in die Steiermark, wo er seine Spielzeit (ganzjährig, 5–6 Aufführungen wöchentlich) am 25. April mit Lessings Emilia Galotti eröffnete. Auch seine Frau war mit nach Graz gekommen, trennte sich aber später von ihm und spielte nachweislich bis 1799 bei anderen Truppen in Galizien und Schlesien. Die gemeinsame Tochter Caroline Friederike (geboren 1789) blieb offenbar beim Vater, ein von Bellomo nicht anerkannter Sohn reiste mit der Mutter.
Das Grazer Repertoire war in den ersten Jahren durchaus vergleichbar mit der Weimarer Zeit, wurde aber mit Novitäten (auch von Lokalautoren wie Johann Kalchberg) ständig erweitert, während die heutigen deutschen Klassiker immer seltener gespielt wurden. Ein Fokus auf Opernproduktionen, vor allem Mozart (dessen Werke letztlich ein Zehntel aller Aufführungen ausmachten), fand beim Publikum großen Anklang. 1793 wurde etwa die Zauberflöte in Graz erstaufgeführt – mit dem Tenor Benedikt Schack, für den Mozart die Rolle des Tamino geschrieben hatte und der selbst als Komponist in diesen Jahren die Grazer Bühne mit Singspielen aus der Feder Emanuel Schikaneders belieferte. Weitere Schikaneder-Stücke in den Vertonungen des gebürtigen Grazers Peter Jakob Haibel (v.a. Der Tyroler Wastel) oder Johann Baptist Hennebergs zählten neben den – deutsch aufgeführten – Mozart-Opern zu den größten Theatererfolgen dieser Zeit. Ökonomisches Geschick bewies Bellomo auch mit anderen Angeboten wie Redouten, Bällen, Faschingsveranstaltungen und Gastspielen internationaler Stars wie des Tänzerehepaars Viganò.
Eine zweite Vertragsverlängerung des beliebten Direktors auf weitere drei Jahre kam trotz Fürsprache der Stände nicht zustande, da Anstößigkeiten bei der Operninszenierung der Waldmänner von Schikaneder/Henneberg den Gouverneur Franz Joseph von Wurmbrand-Stuppach schon 1794 verärgert hatten. Am 8. April 1797 musste auch die Abschiedsvorstellung entfallen, da Teile des Ensembles vor den heranrückenden Truppen Napoleons geflohen waren. Mit Karl Friedrich Domaratius wurde ein ehemaliges Mitglied der Weimarer Truppe sein glückloser Nachfolger.
Bellomo blieb als vermögender Mann in Graz und wurde Handelsagent. 1809 erwarb er den Panoramahof am Rosenhain, für den er 1811 nach dem Staatsbankrott und dem Verlust eines Teils seines Vermögens um eine Konzession zur Weinschank ansuchte. Die Gastwirtschaft sollte einer der beliebtesten Grazer Naherholungsorte werden, an dem u. a. auch Franz Schubert weilte. Zum Theater fand Bellomo nicht mehr zurück; Bewerbungen um die Direktion in Brünn (1803) und Graz (1806, 1819) blieben erfolglos oder wurden zurückgezogen. Den verheerenden Brand seiner ersten Grazer Wirkungsstätte in der Christnacht 1823 musste er noch miterleben. Am 18. Oktober 1833 starb er, der sich nun wieder Zambiasi nannte, weitgehend vergessen an seinem letzten Wohnort in der Grabenstraße 914 (heute 35).
Literatur- und Quellenverzeichnis
- [Anon.], Chronologisches Verzeichniß der Bellamoischen Gesellschaft. In: Neues Theater-Journal 2 (Leipzig 1789), 43–77.
- Robert Baravalle, Joseph Bellomo. Ein Grazer Theaterdirektor der klassischen Zeit. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 1 (1968), 59–80.
- Robert Baravalle, Josef Bellomo. In: Blätter für Heimatkunde 4/9-10 (Graz 1926), 65–71.
- Barbara Boisits, Bellomo (Edler von Zambiasi), Joseph. In: Oesterreichisches Musiklexikon, Bd. 1 (Wien 2002), 129.
- Krista Fleischmann, Das steirische Berufstheater im 18. Jahrhundert (Wien 1974).
- Hubert Fussy, Als Graz zu einer Mozartstadt wurde. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 16/17 (1986), 93–132.
- Rudolf Flotzinger, Die Anfänge des deutschsprachigen Musiktheaters in Graz. In: Muzikološki zbornik XVIII (1982), 23–41.
- Graz, Hl. Blut, Trauungsbuch XV (1772–1785), 354.
- Graz, Grabenkirche, Sterbebuch II (1825–1866), 85.
- Christian Neuhuber, Nicolini und die Anfänge der ‚Piccoli Hollandesi‘ – Revision einer fabulösen Künstlerbiographie. In: Nestroyana 40/3-4 (2020), 125–147.
- Christian Neuhuber, Zambiasi, Giuseppe (in arte Joseph Bellomo). In: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 100 (Roma 2020) [im Druck].
- Norbert Öllers, Bemerkungen über Joseph Bellomo und seine Leitung des Grazer Theaters. In: Christoph Fackelmann/Wynfried Kriegleder (Hgg.), Literatur – Geschichte – Österreich (Wien 2011), 271–277.
- Hilde Orthofer, Josef Bellomo und das Grazer Theater (Diss. Graz 1931).
- Christine Pollerus/Harald Haslmayr, Die Grätzerische Pallas. Zum Musikleben in Graz im 18. Jahrhundert. In: Harald Heppner/Nikolaus Reisinger (Hgg.), Steiermark – Wandel einer Landschaft im langen 18. Jahrhundert (Wien 2006), 345–373.
- John A. Rice: Antonio Salieri and Viennese Opera (Chicago 1998).
- Lothar Schirmer: Die Frühzeit des Weimarischen Hoftheaters unter Goethes Leitung (1791–1798). Nach den Quellen bearbeitet von Bruno Th. Satori-Neumann, Kommentar (Berlin 2013).
- Annerose Schneider (Hg.), Wielands Briefwechsel, Bd. 8/1 (Berlin 1992).
- Marino Zambiasi, Giuseppe Bellomo – un precursore di Volfgango Goethe, 2 Tle. In: Studi Trentini di scienze storiche XVI (1935), 42–60, 187–202.
Anmerkungen
[1] So konstatiert etwa Wieland in einem Brief an Johann Heinrich Merck vom 3. Jänner 1784: „Die Madame Bellomo soll eine gebohrne Nicolini seyn, und scheint zu Wien teutsch gelernt zu haben, singt aber sehr artig. Die teutsche Sprache hat mir noch aus keiner singenden Kehle so gut gefallen als aus der ihrigen; sie verliert das Wiehernde und Polternde, und wird eine Art von Mittelding von Italienisch und Tudesk, das mir wenigstens 1000mal besser behagt, als wenn sie wie eine geborne Tedesca sänge“.
Assoz. Prof. Mag. Dr. Christian Neuhuber, geb. 1970 in Gmunden; studierte in Graz Germanistik, Medien und Kunstgeschichte sowie Deutsch als Fremdsprache; 2008 Habilitation als Dozent für Neuere deutsche Literatur an der Universität Graz; Arbeitsschwerpunkte von der Literatur des Barock bis zur Gegenwart unter besonderer Berücksichtigung intermedialer Fragestellungen, der Editionsphilologie, Theaterwissenschaft und bairisch-österreichischen Dialektkultur. Assoziierter Professor am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung der Universität Graz.