Memorabilia conventus Pettoviensis
Sabine Kaspar
Seit Ende Dezember 2020 ist mein Beitrag „Memorabilia conventus Pettoviensis. Papsturkunden aus einer Sammelhandschrift der Dominikaner zu Pettau/Ptuj“ auf der Website der Historischen Landeskommission für Steiermark online zugänglich. Diese Veröffentlichung stellt zugleich den „Startschuss“ für die Online-Stellung der Ergebnisse des – von O.Univ.-Prof.i.R. Dr. Reinhard Härtel geleiteten, seit 2013 von der HLK finanzierten – Projekts zur Neubearbeitung des zweiten Bandes des „Urkundenbuchs des Herzogtums Steiermark“ (StUB 2) dar. Die ersten Teil- und Sonderreihen des Urkundenbuchs sollen im Frühling 2021 auf eben jener Website folgen.[1]
Eine Pettauer Handschrift mit unerwartetem Anhang
Im Zuge meiner Arbeit am Urkundenbuch stieß ich auf die Handschrift Pars Ima memorabilium conventus Pettoviensis ordinis praedicatorum[2] (Graz, StLA, Pettau-Stadt, K. 32, H. 94 [olim Hs. 2191]). Diese enthält neben einem kurzen Abriss zur Geschichte des Pettauer Dominikanerklosters, einem Inhaltsverzeichnis und einem Vorwort vier Hauptteile: Pars prima (S. 6–17), Pars altera (S. 18–59), Dritter Theil (S. 60–107) und Vierter Theill (S. 108–162). Letzterer ist weiter in folgende Abschnitte untergliedert: Verlohrne gütter (S. 109–127), Benennung deren güteren (S. 128–134) und Incipiunt modo privilegia quædam (S. 135–162). Dieser letzte, aufgrund des Titels in Folge als „Privilegiensammlung“ bezeichnete, Abschnitt erweist sich bereits bei einem flüchtigen Durchblättern der Handschrift aufgrund des eindeutigen Formatunterschieds als eine nachträgliche Anfügung und muss wohl einige Zeit ein eigenständiges Heft gebildet haben.[3] Aufgrund der Überlieferung im Verbund mit der Pettauer Handschrift war bislang allerdings davon ausgegangen worden, dass auch dieser Abschnitt aus dem dortigen Dominikanerkloster stammt.
Die nähere Untersuchung des Inhalts der „Privilegiensammlung“ hat jedoch gezeigt, dass keine einzige darin verzeichnete Urkunde einen Bezug zu Pettau hat. Stattdessen finden sich (neben hauptsächlich Urkunden für den Dominikanerorden per se)[4] acht Urkunden[5] mit eindeutigem Bezug zu dem Dominikanerkloster in Friesach sowie zwei weitere Stücke,[6] die vermutlich ebenfalls spezifisch die Friesacher Dominikaner betreffen. Außerdem sind zwei Urkunden nicht nur in dieser „Privilegiensammlung“, sondern auch in den beiden Friesacher Kopialbüchern aus dem 15. Jahrhundert verzeichnet.[7] Wann genau, wo und warum dieser „Friesacher Anhang“ der Pettauer Handschrift beigefügt wurde, lässt sich allerdings nicht mehr eindeutig feststellen. Auch die Vorlage der „Privilegiensammlung“ ist nicht mehr auffindbar.[8] Offenbar enthält somit die Pettauer Handschrift die einzige (unvollständige)[9] Überlieferung dieser „Privilegiensammlung“, welche wiederum die einzige Überlieferung einiger Urkunden der Friesacher Dominikaner bietet.
Die spezifischen Problemfelder der „Privilegiensammlung“
Nach der ausführlichen Behandlung dieser spezifischen Überlieferungssituation im ersten Teil der nun vorliegenden Arbeit, widmet sich der zweite Teil den speziellen inhaltlichen Problemfeldern, vor die die „Privilegiensammlung“ ihre BenutzerInnen stellt. Zu irrigen Ausstellerangaben, Datierungen und Querverweisen zwischen den einzelnen Einträgen kommen Regesten, die so knapp gehalten sind bzw. den eigentlichen Inhalt so verfremdend zusammenfassen, dass eine Identifizierung der zugrunde liegenden Urkunden kaum oder gar nicht möglich ist. Ein besonders prägnantes Beispiel, bei dem gleich zwei dieser Problemfelder kombiniert auftreten, findet sich etwa auf Seite 160 unter n° 102: Laut diesem Regest hätte ein Erzbischof Heinric[us] von Salzburg im Jahr 1200.6 (sic) eine Urkunde für die Dominikaner ausgestellt.[10] Weder der Aussteller noch die Datierung kann korrekt sein, denn bekanntlich hatte 1206 Eberhard II. das Amt des Erzbischofs von Salzburg inne und auch dieser kann nicht rund 10 Jahre vor Gründung des Ordens eine Urkunde für die Dominikaner ausgestellt haben.
Dabei handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall: Ebenso wenig wie ein Salzburger Erzbischof schon 1206 für den Dominikanerorden urkunden konnte, konnte dies der bereits 1187 verstorbene Papst Gregor VIII., dem zwei Urkunden Gregors IX. fälschlicherweise zugeschrieben werden (S. 145 n° 59 und S. 153 n° 71)[11]. Während diese Verwechslung der Aussteller noch relativ einfach – als Flüchtigkeitsfehler bei der Abschrift der Ordnungszahlen – nachvollziehbar ist, ist in anderen Fällen die Verwechslung jedoch deutlich weniger einfach erklär- und richtigstellbar, wie etwa im Fall der Nennung eines Erzbischofs Heinrich statt Eberhard II., oder wenn ein Papst namens Clemens anstelle von Innozenz IV. (S. 138 ohne eigene Nummer im Anschluss an n° 28 und S. 140 n° 16)[12] angeführt wird. Dass die Datierungen nicht nur oftmals falsch, sondern in diversen Fällen auch schlicht unvollständig sind, fällt z. B. durch das Fehlen der Monatsangabe bei VII idibus, pontificatus nostri anno 3° (S. 154 n° 78) oder das Fehlen der Jahresangabe bei IX kal. septembris, pontificatus nostri anno (S. 155 n° 82)[13] besonders leicht ins Auge. In anderen Fällen ist eine diesbezügliche endgültige Klärung nur möglich, insofern entweder das Itinerar des Ausstellers entsprechende Rückschlüsse erlaubt oder sich die dem Eintrag zugrundeliegende Urkunde eindeutig identifizieren lässt. Als besonders problematisch hierbei (sowie generell) erweist sich, dass es diverse Regesten gibt, die den Inhalt der ihnen zugrundeliegenden Urkunden stark verfremdend zusammenfassen. Etwa heißt es auf Seite 159 unter privilegium n° 100.8, Papst Gregor IX. hätte den Dominikanern erlaubt, weltlichen Personen die Beichte abzunehmen, sie loszusprechen und ihnen Bußen aufzuerlegen.[14] Einzig anhand der (hier korrekt übernommenen) Datierung und der Erwähnung der Tataren ist feststellbar, dass es sich bei der zugrunde liegenden Urkunde in Wirklichkeit um den Auftrag zur Kreuzzugspredigt gegen die Tataren gehandelt hat. Dass darüber hinaus Querverweise zwischen einzelnen Einträgen in die Irre führen können, wird z. B. offensichtlich, wenn es gleich darauf unter n° 100.9 heißt, Papst Alexander IV. würde hiermit erlauben, was auch schon Gregor IX. in n° 100.8 erlaubt habe. Tatsächlich geht es in der Urkunde Alexanders jedoch weder um die Tataren noch um eine allgemeine Predigterlaubnis, sondern es wird die von Papst Innozenz IV. erlassene Verfügung, wonach es Ordenspersonen verboten war, für fremde Pfarrangehörige an Sonn- und Feiertagen Gottesdienste abzuhalten, für ungültig erklärt.
In der nun vorliegenden Online-Publikation werden all diese Problemfelder detailliert (primär) anhand der 34 Papsturkunden aus dem Zeitraum 1192–1246 untersucht. Diese sollten ursprünglich in einer eigenen Sonderreihe von StUB 2 behandelt werden, aus verschiedenen Gründen wurde jedoch die Veröffentlichung als selbstständige, das Urkundenbuch ergänzende Arbeit vorgezogen. Im Urkundenbuch selbst werden – an jeweils passender Stelle – nur jene Stücke aufgenommen, die entweder durch die Überlieferung im „Pettauer Teil“ der Handschrift oder aufgrund ihrer Thematik als steirisch gelten können.[15]
Weiterführende Publikationen
Aus der Beschäftigung mit der Handschrift sind darüber hinaus zwei weitere Arbeiten hervorgegangen. Die in der „Privilegiensammlung“ verzeichneten „kärntnerischen“ Urkunden sind ediert in: Sabine Kaspar, Ein „trojanisches Pferd“ im Steiermärkischen Landesarchiv. Ein Friesacher Anhang zu einer Sammelhandschrift aus Pettau. In: Carinthia I 209 (2019), 79–127. Dazu kam 2020 folgende Spezialstudie: Sabine Kaspar, Die Übersiedelung der Zisterzienserinnen von Greith nach Friesach im Licht einer neuen Quelle. In: Carinthia I 210 (2020), 183–197.
Anmerkungen
[1] Ausführliche Informationen zum Urkundenbuch-Projekt finden sich auf der spezifischen Unterseite „Urkundenbuch des Herzogtums Steiermark“.
[2] Dieser Titel, der mindestens einen weiteren Teil erwarten lässt, steht explizit auf dem Buchdeckel.
[3] Dies zeigt sich schon daran, dass nur hier die Blattränder durchgängig stark beschädigt und wohl durch Feuchtigkeitseinwirkung gewellt sind.
[4] Es handelt sich überwiegend um Papsturkunden, welche die innere Ordensdisziplin, seelsorgerische Befugnisse und ähnliche Themen betreffen.
[5] Sabine Kaspar, Ein „trojanisches Pferd“ im Steiermärkischen Landesarchiv. Ein Friesacher Anhang zu einer Sammelhandschrift aus Pettau. In: Carinthia I 209 (2019), 79–127 [in Folge: Kaspar, Trojanisches Pferd], hier: Nr. 5, 6, 8, 10, 11, 13, 14, 15.
[6] Kaspar, Trojanisches Pferd Nr. 7, 9.
[7] Dabei handelt es sich um eine Ausfertigung der (ursprünglich am 3. Juli 1234 ausgestellten) Heiligsprechungsurkunde des Dominikus vom 24. August 1234 ( Sabine Kaspar, Memorabilia conventus Pettoviensis. Papsturkunden aus einer Sammelhandschrift der Dominikaner zu Pettau/Ptuj [Version 1, Graz 2020] [in Folge: Kaspar, Memorabilia], hier: Nr. 10) und um die Bestätigungsurkunde Papst Alexanders IV. über die Verlegung des Friesacher Dominikanerklosters vom 10. März 1259 (Kaspar, Trojanisches Pferd Nr. 6).
[8] Bereits die auffällige – nicht fortlaufende und unvollständige – Nummerierung der einzelnen Einträge in der „Privilegiensammlung“ weist klar darauf hin, dass hier nicht aufgrund von Originalurkunden bzw. Einzelstücken gearbeitet wurde. Eine Handschrift, die als Vorlage gedient haben könnte, findet sich jedoch weder im Archiv der Diözese Gurk (wo unter den rund 80 mittelalterlichen Urkunden aus dem Friesacher Dominikanerkloster auch keine einzige Papsturkunde vorhanden ist) noch im Kärntner Landesarchiv. Die beiden dort verwahrten Friesacher Kopialbücher aus dem 15. Jahrhundert scheiden ebenfalls als Vorlage für die „Privilegiensammlung“ aus.
[9] Auch wenn die nachträglich eingefügte Paginierung dies nicht anzeigt, muss, wie am unmittelbar abbrechenden Text erkennbar ist, an zwei Stellen eine unbekannte Anzahl an Blättern verloren gegangen sein. Dazu kommt, dass aufgrund der nicht fortlaufenden und unvollständigen Nummerierung nicht mehr feststellbar ist, ob diverse Nummern bereits von Anfang an gefehlt haben oder erst durch diesen Blattverlust entfallen sind. Die wenigen vorhandenen Stücke ohne eigene Nummer können nicht als Erklärung für das Fehlen so vieler Nummern dienen, und es ist keineswegs auszuschließen, dass diese bereits auch in der Vorlage ohne eigene Nummer an die jeweiligen Einträge angefügt waren.
[10] Kaspar, Trojanisches Pferd Nr. 1.
[11] Kaspar, Memorabilia Nr. 8 und Nr. 1 (die Einträge sind in der „Privilegiensammlung“ nicht chronologisch geordnet).
[12] Kaspar, Memorabilia Nr. 17 (n° 16 ist hier nicht ediert, da die Urkunde erst vom 13. Jänner 1247 stammt).
[13] Kaspar, Memorabilia Nr. 10.
[14] Kaspar, Memorabilia Nr. 12.
[15] Konkret bedeutet dies, dass vier Nummern in der – in erster Linie allgemeine Anordnungen umfassenden – Sonderreihe 1 behandelt werden (= Nr. A 47, A 66, A 68, A 71). Diese soll (gemeinsam mit den ersten Teilreihen der Hauptreihe) ab Frühling 2021 auf der HLK-Website frei zugänglich sein. In der Sonderreihe 2, die jene Urkunden umfasst, die in der handschriftlichen Überlieferung, in Editionen oder im Schrifttum bereits irrtümlich als Styriaca bzw. als zeitlich einschlägig (1192–1246) angesehen worden sind, folgt eine Urkunde Papst Innozenz' IV. vom 3. April 1247, die auf S. 7 in der Pars prima zu 1246 geführt wird. Drei weitere Urkunden werden schließlich in der Teilreihe Pettau behandelt, nämlich zwei Urkunden Erzbischof Eberhards II. von Salzburg vom 11. Oktober 1231 (Pars Prima, S. 6–7) und von 1235 (Pars prima, S. 7) sowie eine Urkunde des Patriarchen Berthold von Aquileia vom 14. Februar 1244 (Pars prima, S. 7).
Mag.a Dr.in Sabine Kaspar, geb. in Salzburg, promovierte 2013 an der Karl-Franzens-Universität Graz. Freischaffende Historikerin mit Schwerpunkt Mediävistik und Diplomatik. Seit 2013 Mitarbeit an der Neubearbeitung von Band 2 des Urkundenbuchs des Herzogtums Steiermark, seit August 2020 auch im Steiermärkischen Landesarchiv tätig.