Ein keltisches Schlachtfeld an der mittleren Mur?
Georg Tiefengraber, Bernhard Hebert
Blickt man, wie das auch der Ständige Ausschuss der HLK in den letzten Jahren mehrfach im Zuge von Sitzungen und Veranstaltungen vermochte, vom kunsthistorisch überaus bedeutenden Rokoko-Schloss Thinnfeld, dem unlängst eine Publikation der HLK gewidmet war,[1] nach Norden, fällt der die markante Murenge zwischen Deutschfeistritz und Frohnleiten beherrschende Kugelstein ins Auge: Hier erforschten die damaligen Bewohner*innen von Schloss Thinnfeld schon im 19. Jahrhundert eine römische und spätantike Siedlung, womit sich eine Korrespondentin der HLK und ein (damaliger) Korrespondent mehrfach auseinandergesetzt haben.[2] Vom Kugelstein nach Südwesten zu erstreckt sich über dem Steilabfall zur Mur ein teilweise bewaldetes und bergiges, teilweise plateauartiges und landwirtschaftlich genutztes Gelände. Eben hier sei es gut und glückbringend für jung verheiratete Paare spazieren zu gehen, wurde der genannten Korrespondentin seinerzeit von einer Altbäuerin empfohlen ...
Ebendieses Gelände hat aber auch noch andere Besonderheiten aufzuweisen: Seit geraumer Zeit werden im ArcheoNorico Burgmuseum Deutschlandsberg von hier stammende, unautorisiert geborgene Funde der keltischen La Tène-Zeit aufbewahrt, zum überwiegenden Teil hochwertige Schutz- und Angriffswaffen aus Eisen oder besser gesagt Stahl, vielfach zerstückelt, oft recht weit verstreut. In einer ersten Bearbeitung[3] wurde bereits die Vermutung ausgesprochen, dass dieser bedeutendste Fundkomplex an keltischen Waffen der gesamten Steiermark (!) als Überbleibsel einer Schlacht anzusprechen sei, die, entgegen sonstiger Gewohnheiten, nicht von den Siegern „abgeräumt“ worden wären.
Der unterzeichnete Blogger stand dieser Interpretation, auch wegen des Fehlens jeglicher menschlichen Überreste, skeptisch gegenüber und versuchte Deutungen der Fundsituationen als später zerstreute Tropaia (Siegesdenkmale aus Waffen) oder bewusst abgeräumte Opferplätze.
2021 war es endlich soweit, dass ein Archäolog*innenteam unter der Leitung von Georg Tiefengraber, einem der Hauptautoren von Band 1 der „Landesgeschichte der Steiermark“[4], mit maßgeblicher Beteiligung des ArcheoNorico Burgmuseum Deutschlandsberg eine Feststellungsgrabung mit freundlichem Einverständnis der Grundeigentümer*innen durchführen konnte, über die im Folgenden zu berichten ist.
(Bernhard Hebert)
Die archäologische Auseinandersetzung mit historischen und auch prähistorischen Schlachtfeldern – vielleicht sollten wir aber besonders in letzteren Fällen besser den neutralen Begriff Kampfplatz bevorzugen – lässt sich aufgrund der Faszination der Thematik bis in die „Kinderzeit“ der Archäologie im 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Nicht immer freilich standen hierbei ausschließlich forschungsgeleitete Fragestellungen im Vordergrund, stattdessen diktierten oftmals gerade in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nationalpolitische Begehrlichkeiten den Verlauf dieser Unternehmungen. Als ein Paradebeispiel dafür können die vom französischen Kaiser Napoleon III. angestoßenen und forcierten Ausgrabungen im Umfeld von Alise-Sainte-Reine im Burgund, dem vermutlichen keltischen Oppidum und Zentralort des gallischen Stammes der Mandubier Alesia, genannt werden. Die einschlägigen und lebendigen Schilderungen Gaius Iulius Cäsars in seinem bekannten Werk „De bello Gallico“ über die Belagerung des Oppidums im Jahr 52 v. Chr. dürften den geneigten Leser*innen wohl hinlänglich bekannt sein.[5] Der schon Napoleon III. geglückte archäologische Nachweis der ausgedehnten römischen Belagerungswerke wird aus heutiger Sicht und nach mehrfacher Verifikation im Rahmen einer Reihe von Projekten des 20. Jahrhunderts nicht mehr angezweifelt, zumal die mit verschiedensten Methoden der Archäologie und zerstörungsfreier Prospektion mittlerweile belegten weitläufigen Graben- und Befestigungsanlagen sowie die zahlreichen Waffen- und Rüstungsteilfunde diesbezüglich eine unmissverständliche Sprache sprechen.[6]
Sieht man von den nicht wenigen in den letzten Jahrzehnten nachgewiesenen und in einigen Fällen auch archäologisch untersuchten historischen Kampfplätzen[7] und von den Schlachtfeldern der Kriege des 20. Jahrhunderts mit ihren oftmals landschaftsverändernden Auswirkungen einmal ab, so ist insbesondere die archäologische Beschäftigung mit antiken oder gar prähistorischen Kampfplätzen alleine schon aufgrund des lange zurückliegenden Zeitpunktes des Geschehens und potenzieller jüngerer Überprägungen des Ortes der gewalttätigen Auseinandersetzungen mit einigen methodischen Schwierigkeiten verbunden.
Tatsächlich lässt sich eigentlich erst seit den letzten beiden Jahrzehnten eine ernsthafte methodisch-theoretische Auseinandersetzung mit dieser Thematik erkennen, was einigen spektakulären Funden zu verdanken ist. Anzuführen wären etwa die zahlreichen römischen Militariafunde im Umfeld von Kalkriese, das als Ort der berühmten sog. Varus-Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9. n. Chr. in Erwägung gezogen wird,[8] das erst unlängst entdeckte germanisch-römische Schlachtfeld der Zeit um 235 n. Chr. beim Harzhorn in Niedersachsen[9] oder aber – ganz besonders – der spektakuläre spätbronzezeitliche Kampfplatz von Tollense in Mecklenburg-Vorpommern.[10] Dank dieser jüngsten Entdeckungen, die in ihren spezifischen Interpretationen freilich noch nicht abschließend beurteilbar sind, wurde zuletzt gezielt der Frage nachgegangen, wie ein derartiger Kampfplatz aus archäologisch-empirischer Sicht überhaupt nachzuweisen sei. Es stellt sich hierbei die Frage nach den anzuwendenden Kriterien, mit deren Hilfe der materielle Niederschlag, d. h. die Phänomenologie eines Kampfgeschehens erst beurteilt, kontextualisiert und interpretiert werden kann. Nur selten ist die Sachlage eindeutig und unzweifelhaft, vor allem natürlich dann, wenn an menschlichen Resten bzw. Skelettelementen Spuren gewalttätiger Einwirkungen offenkundig sind. Davon haben etwa die drei eben angeführten Beispiele zahlreiche Nachweise erbracht. Wie stellt sich nun aber die Situation dar, wenn keine menschlichen Knochenreste (mehr) erhalten sind, wenn etwa nur mehr Waffen- oder Rüstungsteile vorliegen, die durchaus auch andere Interpretationen in Erwägung ziehen lassen könnten?
Genau mit diesem Fall ist man nun in Hinblick auf den uns hier interessierenden, potenziellen Kampfplatz beim Kugelstein bei Deutschfeistritz konfrontiert. Vor über 30 Jahren wurden auf diesem markanten Hügelzug auf einer Länge von rund 2 km und einer Breite von etwa 800 m mehrere Hundert eiserne Waffen aus der frühen Latènezeit (Stufe Lt B2), d. h. aus der Zeit um ca. 300–280/70 v. Chr., durch das ArcheoNorico Burgmuseum Deutschlandsberg geborgen und in ihrer Lage – soweit dies ohne Vermessungsinstrumente möglich war – dokumentiert. Demzufolge lassen sich ganz klar zwei (ausgedehnte) Konzentrationen erkennen, die auch als „Schlachtfeld Ost“ und „Schlachtfeld West“ bezeichnet worden waren. In erster Linie handelte es sich bei den Funden um Teile von eisernen Schwertern, Schwertscheiden, unterschiedlichen Schwertgürtelketten, Koppelringen, Lanzenspitzen und sog. Lanzenschuhen, Schildbuckeln und zugehörenden Schildfesseln sowie Schildnägeln und rinnenförmigen Schildrandbeschlägen, Streitwagen- und Zaumzeugteilen, einzelnen Beilen, Eisenfibeln und vereinzelten potenziell medizinischen Geräten.
Was an all diesen Funden auffiel, war ihre feinchronologische Homogenität sowie die augenscheinliche funktionelle Selektion. Von den Findern wurden die Stücke sehr bald als materieller Niederschlag eines Kampfgeschehens interpretiert, eine Deutung, die bis vor wenigen Jahren mangels Mitteilung bzw. Kenntnis des tatsächlichen Auffindungsortes schlichtweg nicht veri- oder falsifizierbar war. In Zuge eines nun seit einigen Jahren von Bundesdenkmalamt und dem ArcheoNorico Burgmuseum Deutschlandsberg unter der wissenschaftlichen Leitung und Betreuung des ausgewiesenen und renommierten Kenners der keltischen Archäologie Mitja Guštin, Ljubljana, betriebenen Projektes wurden (und werden) die bis dato vorhandenen Funde dokumentiert und wissenschaftlich bearbeitet sowie zur Publikation vorbereitet.
Im Rahmen dieser Forschungsarbeiten stellte die archäologische Überprüfung der Lage des kolportierten Kampfplatzes am Kugelstein ein dringendes Desiderat dar. Dank einer finanziellen Förderung des Bundesdenkmalamtes und mit Eigenmitteln des ArcheoNorico Burgmuseums Deutschlandsberg waren nun im Frühjahr 2021 gezielte Ausgrabungen in den als „Schlachtfelder“ bezeichneten Arealen am Kugelstein möglich. Betrachtet man vorweg die topographische Lage dieser kolportierten Kampfplätze, so schließt sich an den Kugelstein nach Südwesten ein annähernd in Ost-West-Richtung verlaufender Hügelzug an, der im Westen durch den Parmaseggkogel und im Osten durch den steilen Felsabbruch zur Murengstelle bei Peggau hin begrenzt wird. Der langgestreckte mittlere Bereich des nämlichen Areals bildet eine merklich sattelartig eingeschnittene Senke, über die auch heute noch Wegverbindungen in Nord-Süd-Richtung verlaufen. Zahlreiche tief eingeschnittene Hohlwege an den nördlich und südlich in das Mur- bzw. Übelbachtal herabführenden Hängen vermögen zu belegen, dass diese Wegverbindung wohl seit geraumer Zeit genutzt wurde – und auch heute noch benutzt wird. Große Bereiche im zu beiden Seiten sanft ansteigenden Umfeld dieser Senke werden heute als landwirtschaftliche Nutzfläche verwendet und sind dementsprechend überprägt sowie in ihrem Paläorelief verändert.
Die frühlatènezeitlichen Waffen und Rüstungsteile fanden sich im Osten primär in den bewaldeten Randbereichen sowie bei den Felsabbrüchen und auch auf den darunterliegenden Felsschutthalden, die Wiesen- und ehemaligen Ackerflächen blieben indes beinahe fundleer. Im Westen konzentrierten sich die Funde im Bereich rund um sowie auf dem Parmaseggkogel. Eindeutige Konzentrationen an Funden bzw. von einzelnen Fundtypen waren nicht erkennbar, vielmehr zeichnete sich eine indifferente Streuung ab. Die kolportierte Lage und typenmäßige Zusammensetzung des Fundmaterials ließ – so man ihr vor Beginn der heurigen Ausgrabungen Glauben schenken durfte – nur drei Interpretationen zu: Erstens wäre eine Herkunft aus einer dann wohl ungeahnt ausgedehnten frühlatènezeitlichen Höhensiedlung denkbar. Dagegen sprach sowohl die selektierte Zusammensetzung des Fundmaterials sowie vor allem das vollständige Fehlen von eigentlichen Siedlungsfunden (z. B. Keramikbruchstücken, Tierknochen, Hüttenlehm etc.) oder aber auch von Bestandteilen der Frauentracht. Sämtliche überlieferten Funde sind bislang mit Männern bzw. Kriegern in Verbindung zu bringen. Als zweite Möglichkeit wäre eine Interpretation anzudenken, der zufolge es sich um verstreute Reste eines oder mehrerer Heiligtümer bzw. Kultplätze oder zahlreicher einzelner Tropaia handeln könnte, wie sie uns mittlerweile ja nicht mehr nur aus dem westlichen keltischen Bereich bekannt, sondern sogar aus Österreich hinlänglich belegt sind (z. B. die insgesamt sechs Heiligtümer in Roseldorf/Niederösterreich oder das Heiligtum bzw. der Kultplatz auf dem Frauenberg bei Leibnitz). Gegen diese Interpretation sprach erneut vor allem die ungemein weite Streuung der Funde. Möchte man in Hinblick auf diese Deutungsvariante die Möglichkeit ins Kalkül ziehen, dass die Fundstreuung mit unzähligen separat errichteten Tropaia (o. ä.) in Verbindung stehen könnte, so kann dem entgegengehalten werden, dass in diesem Fall umgekehrt jeweils mit kleinflächigen Konzentrationen von zusammengehörenden Waffen- und Rüstungsteilen gerechnet werden müsste. Diese sind im Verbreitungsbild jedoch nicht erkennbar, auch fehlen beispielsweise die für solche latènezeitliche Tropaia charakteristischen und zu erwartenden gefalteten und vielfach deformierten sowie manipulierten und gelegentlich mit Nägeln fixierten Waffen. Somit blieb – gleichsam im Ausschlussverfahren – vor Beginn der Ausgrabungen nur mehr eine Interpretation als Kampfplatz über. Das diese selbstredend nicht unwidersprochen blieb, liegt auf der Hand.
Zur Abklärung der Sachlage wurden im heurigen Frühjahr in den beiden erwähnten Abschnitten des potenziellen Kampfplatzes von einem Team des Institutes für südostalpine Bronze- und Eisenzeitforschung ISBE und Mitarbeitern des ArcheoNorico Burgmuseums Deutschlandsberg insgesamt 14 Grabungsschnitte im Umfeld kolportierter Fundpunkte bzw. Fundzonen angelegt, untersucht und dokumentiert. Darüber hinaus wurde (und wird noch immer) parallel zu den Ausgrabungen eine großflächige Prospektion mit Metalldetektor durchgeführt, die weitere Metallfunde erbringen sollte und eine Verifikation der Herkunft der vorliegenden Funde ermöglicht. Die archäologischen Untersuchungen erbrachten erstaunlicherweise bereits am ersten Tag für den Berichterstatter zugegebenermaßen unerwartete, dafür umso willkommenere Ergebnisse: Bereits nach kurzer Zeit wurden weitere frühlatènezeitliche Waffen- und Rüstungsteile sowie Bruchstücke eiserner Wagenteile geortet, mit akribischer Sorgfalt freigelegt, dokumentiert und geborgen! Ein Teil dieser Funde war hierbei richtiggehend in das Wurzelwerk eingewachsen, sodass damit die Herkunft der schon vorhandenen Funde aus diesem Bereich eindeutig belegt werden konnte. Die neu entdeckten Funde entsprachen den schon vorliegenden sowohl in Hinblick auf ihren Erhaltungszustand als auch in ihrer typenmäßigen Zusammensetzung und ihres engen feinchronologischen Datierungsrahmens. Auch sind sämtliche neu geborgenen Funde in die Stufe Lt B2, also in das 1. Drittel des 3. Jahrhunderts v. Chr. zu datieren. Hinsichtlich ihrer taphonomischen Verteilung lässt sich anhand der neuen Funde ebenso keine Struktur erkennen, vielmehr begegnet eine regellose Streuung und mitunter erhebliche Fragmentierung der einzelnen Stücke. Bemerkenswerterweise befanden sich sämtliche Neufunde entweder im eher dünnen Humus oder aber in einer unmittelbar darunterliegenden, gelbbraunen, schluffigen Lehmschicht unterschiedlicher Mächtigkeit, deren Stratogenese bislang noch nicht abschließend beurteilbar ist.
Mit diesen Neufunden alleine war in Hinblick auf die Interpretation jedoch noch keine weitere Beurteilung möglich. Im Ostbereich bzw. im Bereich des „Schlachtfeldes Ost“ wurden deshalb an verschiedenen Stellen insgesamt neun Ausgrabungsschnitte angelegt, mit denen primär abgeklärt werden sollte, ob die getätigten Funde aus einem zeitgleichen Siedlungsareal stammen. In keinem einzigen dieser Grabungsschnitte wurde jedoch ein Hinweis auf eine frühlatènezeitliche Siedlung gefunden, stattdessen gelang der Nachweis einer spätbronzezeitlichen Siedlung, die diesen östlichen Rand- und Kuppenbereich einnahm. An mehreren Stellen im Gelände vage zu erkennende und stark verschliffene Terrassierungen sind nunmehr mit Sicherheit dieser Siedlung des 13. Jahrhunderts v. Chr. zuzuweisen. Insbesondere im Bereich der von den Mitarbeitern des ArcheoNorico Burgmuseums Deutschlandsberg als „Steinwiese“ bezeichneten Fundzone konnten spätbronzezeitliche Befunde, wie etwa Gruben, Feuerstellen, Pfostengruben und möglicherweise ein Grubenhaus, in Ausschnitten freigelegt und dokumentiert werden, in anderen Grabungsschnitten waren die spätbronzezeitlichen Befunde schlechter erhalten und offenkundig ausgedünnter. An sämtlichen untersuchten Stellen war evident, dass die spätbronzezeitlichen Siedlungsterrassen in späterer Zeit nicht mehr als solche verwendet worden waren, erst die neuzeitliche bzw. rezente land- und forstwirtschaftliche Nutzung hat Veränderungen und Überprägungen des Geländes verursacht.
Als Ergebnis der archäologischen Untersuchung gilt es ein weiteres, für die Interpretation der frühlatènezeitlichen Funde nicht unwichtiges Detail anzuführen: In keinem einzigen Grabungsschnitt und auch nicht im Umfeld der im Zuge der Detektorprospektion freigelegten Funde fand sich auch nur ein einziger Knochen. Zumindest eine gewisse Anzahl an Tierknochen wären im spätbronzezeitlichen Siedlungskontext als Speise-, Schlacht- oder Produktionsabfälle etc. unbedingt zu erwarten gewesen. Das vollständige Fehlen von Knochenfunden wird vorerst mit dem hohen Säuregehalt des Bodens erklärt, eingehende Messungen des ph-Wertes sind in Vorbereitung. Die offensichtlich ungünstigen Erhaltungsbedingungen für jegliches osteologische Fundmaterial könnten somit auch das Fehlen von menschlichen Skelettresten, wie sie im Zuge eines Kampfgeschehens wohl anfallen würden, plausibel erklären, oder anders formuliert: Die „Smoking Gun“, welche durch lanzengespickte Skelette und durch Schwerthiebe abgetrennte Arme und Köpfe die Interpretation als Kampfplatz unmissverständlich belegen würde, kann es schon aufgrund der Bodenverhältnisse gar nicht geben. Damit entfällt gleichzeitig aber auch die zweifelsohne eindeutigste Möglichkeit des Nachweises eines Kampfplatzes, sodass andere Parameter zur Interpretation herangezogen werden müssen. Bevor diesbezüglich weitere Überlegungen angestellt werden, darf in gebotener Kürze noch auf die Ergebnisse der Ausgrabungen im Westbereich des „Schlachtfeldes“ auf der Gipfelkuppe des Parmaseggkogels eingegangen werden: Auf dieser kleinen, topographisch exponierten Kuppe wurden drei Ausgrabungsschnitte im Bereich einer offenkundig künstlich angelegten Geländestufe bzw. Terrasse angelegt. Erneut fanden sich keinerlei Hinweise oder Belege für eine frühlatènezeitliche Besiedlung dieser Kuppe, stattdessen werden die Siedlungsterrassen nach Ausweis der wenigen und – zumindest im ungereinigten Zustand – eher unspezifischen Keramikfunde wohl in die (mittlere?) Kupferzeit zu datieren sein. Diese chronologische Einstufung würde auch gut mit der topographischen Lage der Siedlungsstelle korrespondieren, zumal derartige exponierte Kuppenlagen eine bevorzugte, gleichermaßen geschützte Position für kupferzeitliche Siedlungen im Südostalpenraum darstellen. Somit ergibt sich auch für den Westbereich des „Schlachtfeldes“ auf dem und um den Parmaseggkogel dieselbe Befundsituation wie im oben geschilderten Ostteil. Anzumerken bleibt, dass auch in diesen Grabungsschnitten in den kupferzeitlichen Befunden überhaupt keine Reste von Knochen vorhanden waren, der „saure“ Boden hat in dieser Hinsicht seine destruktive Arbeit gründlich getan ...
Bevor wir unsere oben bereits ausgesprochene Interpretation im Detail begründen wollen, seien die wichtigsten Erkenntnisse der Ausgrabungen und der bislang laufenden Detektorprospektion noch einmal stichwortartig zusammengefasst:
- Die frühlatènezeitlichen Funde von Waffen- und Rüstungsteilen etc. stammen tatsächlich aus dem Untersuchungsgebiet beim Kugelstein aus dem Bereich der beiden kolportierten „Schlachtfeldzonen“.
- Die Streuung der Funde ist strukturlos, es gibt keine erkennbaren größeren Konzentrationen, die auf spezifische Aktivitäten hindeuten.
- Die Funde liegen oberflächennah entweder im Humus oder in einer unmittelbar darunterliegenden, sehr einheitlichen Lehmschicht. Es gibt keine frühlatènezeitlichen Siedlungsspuren im Streuungsbereich der Funde, die diese als (eine Art) Siedlungsfunde determinieren würden. Sowohl im West- als auch im Ostbereich des Kampfplatzes stehen unmittelbar unter dem Humus und der gelben Lehmschicht ältere (kupfer- und spätbronzezeitliche) Siedlungsbefunde an.
- Die ungünstigen bzw. „sauren“ Bodenbedingungen verhindern die Erhaltung von Knochen. Mit menschlichen Skelettresten kann demzufolge (leider) nicht gerechnet werden.
- In keinem einzigen Grabungsschnitt und in keiner der im Zuge der Detektorprospektion zur Funddokumentation freigelegten Flächen waren Hinweise auf die Errichtung bzw. Existenz von Tropaia o. ä. festzustellen. Relativierend gilt es hier jedoch festzuhalten, dass der Nachweis von einfachen, mit Waffen etc. behängten Pfählen archäologisch durchaus schwierig ist. Als eindeutiger Hinweis darauf wären Pfostengruben mit umliegenden Konzentrationen von größeren Waffen- und Rüstungsteilen zu werten, die im Optimalfall mit Nägeln fixiert gewesen wären. Kein einziger Fund weist m. W. bislang derartige Modifikationen auf.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte bleibt schlussendlich lediglich eine Interpretation der Funde als Niederschlag eines oder mehrerer sehr zeitnaher Kampfgeschehen möglich. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass das überlieferte Fundbild das Resultat eines mehrphasigen Prozesses und möglicherweise auch späterer Überprägungen und Veränderungen ist. Bereits der „Kampf“ selbst weist mehrere Phasen auf, die allesamt Spuren in der Verbreitung und Erhaltung der Artefakte bedingen. Will man dieses Kampfgeschehen nicht einfach nur als wildes, ungestümes und konzeptloses Aufeinandertreffen zweier bewaffneter Parteien ansehen, so gehen dem eigentlichen Kampf eine Wahl und gegebenenfalls Vorbereitung des Kampfplatzes sowie der Anmarsch bzw. das Sammeln der Kombattanten und eventuell kollektive oder individuelle, auf das Schlachtgeschehen und den damit verbundenen potenziellen Exitus vorbereitende Rituale voraus. Bereits diese Vorstufen können einen materiellen, freilich schwer zu definierenden oder gar archäologisch zu fassenden Niederschlag finden. Der eigentliche Kampf, also das gewalttätige Aufeinandertreffen der Kombattanten, durchläuft zweifelsohne mehrere Phasen und Verlagerungen bzw. Bewegungen, die sich im Fundverteilungsbild niederschlagen können, aber nicht müssen. In erster Linie sollte sich dieses mehrstufige Kampfgeschehen in den sich gesichert in situ befindenden Waffen und Rüstungsteilen widerspiegeln. Dies betrifft vor allem kleinteilige Fundstücke, Bruchstücke von Waffen und Ausrüstung oder beispielsweise Fernwaffen, die nach dem Kampf schwer auffindbar waren und die auch nicht wieder aufgesammelt worden sind (z. B. Wurflanzen) oder beschädigte Waffen (z. B. zerbrochene Lanzen, von denen nur der abgebrochene Schaftteil mit der Spitze geborgen wurden, nicht aber der Teil mit dem unscheinbaren Lanzenschuh). Gebrauchsspuren an Waffen, wie sie im Untersuchungsgebiet beim Kugelstein regelhaft erkennbar sind, können als unmittelbare Auswirkung des Kampfes betrachtet werden, doch gilt es hier erst jede einzelne derartige Modifikation im Detail zu untersuchen. In manchen Fällen deutet sich eine nachträgliche Manipulation von Artefakten an, wie etwa das Einrollen von Lanzenspitzen, das Zerschlagen von Schwertklingen oder das „Zerkleinern“ von Schildbuckeln – Vorgänge also, die sich durch den Zweikampf selbst nicht begründen lassen. Regelrechte Artefaktansammlungen können einerseits als Niederschlag eines engen und intensiven Kampfgeschehens gedeutet werden, andererseits könnte sich darin allerdings auch bereits ein (temporäres) Sammeln von Waffen und Beutegut im Anschluss an den Kampf zu erkennen geben. Bei diesen Fundkonzentrationen gilt es zu berücksichtigen, ob hier gewisse Selektionen erkennbar werden bzw. ob bestimmte Objektgruppen überhaupt fehlen, was auf Plünderungen, die Entnahme für bestimmte spätere Opferhandlungen oder die Verwendung als Trophäe hinweisen könnte. Dies lässt sich im Untersuchungsgebiet beim Kugelstein derzeit nicht endgültig nachvollziehen, ist aber zweifelsohne auch der Ausdehnung und der nur punktuellen Untersuchung des Kampfplatzes geschuldet. Ferner darf nicht vergessen werden, dass uns das ursprüngliche Aussehen und vor allem der zeitgenössische Bewuchs des Kampfplatzes nicht bekannt sind. Fanden die Kampfgeschehen auf offenem Gelände und bzw. oder im Wald statt? Diese Frage bleibt bedauerlicherweise unbeantwortet. Inwieweit die geplanten naturwissenschaftlichen Untersuchungen der im Zuge der Ausgrabung gewonnenen Erdproben hier Erkenntnisse zu liefern vermögen, bleibt abzuwarten.
Versucht man die bisherigen Ergebnisse unter Einbeziehung der geschilderten Kriterien zu überblicken, so kann wohl die überwiegende Masse an Waffen-, Rüstungs- und Wagenteilen als unmittelbarer bzw. direkter Niederschlag der Kampfhandlungen betrachtet werden. Gewisse Verlagerungen einzelner Artefakte sind in den steilen Hangbereichen durchaus denkbar, scheinen aber eher die Ausnahme als die Regel darzustellen. Daneben weisen einzelne Artefakte deutlich erkennbare nachträgliche Modifikations- und Manipulationspuren auf, die einen sekundären Prozess indizieren. Dabei scheint es sich einerseits teilweise um ein gezieltes „Unbrauchbarmachen“ einzelner Gegenstände zu handeln (Einrollen oder Zerkleinern von Lanzenspitzen oder Schwertklingen), andererseits weisen drei zusammengesteckte Schildbuckel m. E. klar darauf hin, dass Artefakte nach dem Kampfgeschehen gesammelt und offenbar auch gehortet bzw. vielleicht geopfert worden sind. Bei den erwähnten drei Schildbuckeln ist evident, dass diese erst nach ihrer Demontage vom hölzernen Schild ineinandergesteckt bzw. -gelegt worden sein können. Hier geht eindeutig ein intentioneller sekundärer Destruktionsprozess der abschließenden Deponierung voraus.
Es darf abschließend festgehalten werden, dass aus Sicht des Verfassers die zeitlich äußerst homogenen frühlatènezeitlichen Waffen- und Rüstungsteilfunde aus dem 1. Drittel des 3. Jahrhunderts v. Chr. nach Ausweis der Ausgrabungs- sowie Detektorprospektionsergebnisse den materiellen Niederschlag eines oder mehrerer, unmittelbar zeitnaher Kampfgeschehen widerspiegeln, denen – erwartungsgemäß – im Anschluss weitere Aktivitäten auf dem Kampfplatz folgten. Sekundär modifizierte Artefakte indizieren darauffolgende Aufsammlungen und Manipulationen, die am ehesten in einen kultisch-rituellen Bereich bzw. auf nicht weiter definierbare Opfertätigkeiten verweisen. Modifikationen, wie sie uns aus den zeitgleichen oder auch etwas jüngeren früh- und mittellatènezeitlichen Heiligtümern mittlerweile zur Genüge bekannt sind, deuten sich an einzelnen Stücken im Untersuchungsgebiet beim Kugelstein im Detail klar an.
Das Fundmaterial wurde und wird parallel zu den laufenden Ausgrabungen und Detektorprospektionen im ArcheoNorico Burgmuseum Deutschlandsberg restauriert und wird zweifelsohne in die dortige Ausstellung einfließen.
(Georg Tiefengraber)
Anmerkungen
[1] Eva Klein/Margit Stadlober u. a. (Hgg.), Schloss Thinnfeld. Ein Gesamtkunstwerk des 18. Jahrhunderts (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 69, Graz 2015).
[2] Bernhard Hebert/Wilma Högl-Schmidt, Grabungen am Kugelstein/Stmk. in den Jahren 1885/86. Ein archivalischer Beitrag zur laufenden Forschung. In: Corolla memoriae Walter Modrijan dedicata (= Mitteilungen der Archäologischen Gesellschaft Steiermark, Beiheft 2, Graz 1997), 55–64; Von der Weite des Blicks. Maler, Forscher, Reisende. Die Familien Thinnfeld und Heider in Deutschfeistritz 1878–1938. Begleitbroschüre zur Ausstellung der Neuen Galerie Sensenwerk und des Landesmuseums Joanneum in Deutschfeistritz vom 10. September bis 31. Oktober 2005 (= Thinnfeldensia 4, Deutschfeistritz 2005).
[3] Mitja Guštin, Eine rätselhafte Fundstelle beim Kugelstein (Steiermark). Ein Schlachtfeld der ausgehenden Früh-La-Tène-Zeit? In: Fachgespräch „Schlachtfelder: Fundstellen und Denkmale“ am 23. August 2018 in Mauerbach (Niederösterreich), Fundberichte aus Österreich 56, 2017 (2019), D 48–61.
[4] Bernhard Hebert (Hg.), Urgeschichte und Römerzeit in der Steiermark (= Geschichte der Steiermark 1, Wien–Köln–Weimar 22018).
[5] Gaius Iulius Caesar, De bello Gallico 7, 68–74.
[6] Vgl. dazu z. B. den Ausstellungskatalog: Vercingétorix et Alésia, Saint-Germain-en Laye, Musée des Antiquités natonales, 29 mars – 18 juillet 1994 (Paris 1994).
[7] Es seien hier nur Lützen als das wohl berühmtestes Schlachtfeld des 30-jährigen Krieges [vgl. dazu z. B. die einschlägigen Kapitel in: Harald Meller/Michael Schefzik (Hgg.), Krieg. Eine archäologische Spurensuche, Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), 6. November 2015 bis 22. Mai 2016 (Halle/Saale 2015), 359–479] oder – um geographisch Näherliegendes anzuführen – das Schlachtfeld von Aspern bei Wien angeführt, auf dem Napoleon im Jahr 1809 eine seiner wenigen Niederlagen in einer offenen Feldschlacht erlitt. Vgl. dazu beispielsweise: Christine Ranseder/Sylvia Sakl-Oberthaler u. a., Napoleon in Aspern. Archäologische Spuren der Schlacht 1809 (= Wien Archäologisch 13, Wien 2017).
[8] Vgl. dazu zusammenfassend: LWL-Römermuseum/Museum und Park Kalkriese/Landesverband Lippe (Hgg.), 2000 Jahre Varusschlacht. Imperium – Konflikt – Mythos, 3 Bde. (Stuttgart 2009).
[9] Gute Zusammenfassung zum Forschungstand des auch als „Harzhornereignis“ bezeichneten Gefechtes: Heike Pöppelmann/Korana Deppmeyer u. a. (Hgg.), Roms vergessener Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn. Katalog zur Niedersächsischen Landesausstellung (= Veröffentlichungen des Braunschweigischen Landesmuseums 115, Stuttgart 2013).
[10] Joachim Krüger/Gundula Lidke u. a. (Hgg.), Tollensetal 1300 v. Chr. Das älteste Schlachtfeld Europas (= Archäologie in Deutschland, Sonderheft 19/2020, Darmstadt 2020).
HR Univ.-Doz. Dr. Bernhard Hebert, Studium der Klassischen Archäologie und Klassischen Philologie in Graz und Wien. Promotion zum Doktor der Philosophie 1984 sub auspiciis praesidentis. 1992 Habilitation für das Fach Klassische Archäologie in Graz. Von 1986 bis 2011 Archäologe im Landeskonservatorat für Steiermark, seit 2011 Leiter der Abteilung für Archäologie des Bundesdenkmalamts. Seit 1985 Lehrtätigkeit an den Universitäten Graz, Innsbruck und Wien. Ab 1988 Korrespondent, seit 1999 Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark (HLK), von 2007 bis 2019 Mitglied im Ständigen Ausschuss der HLK.
Mag. Dr. Georg Tiefengraber, geb. 1972 in Leoben. Studium der Klassischen Archäologie und Altertumskunde sowie der Erdwissenschaften in Graz und der Ur- und Frühgeschichte in Wien. Promotion an der Universität Wien 2005. Seit 2012 Geschäftsführer des Vereins ISBE (Institut für südostalpine Bronze- und Eisenzeitforschung). Seit 2021 Mitarbeiter am GrazMuseum als Grazer Stadtarchäologe. Seit 2015 Lehrtätigkeit an den Universitäten Graz und Klagenfurt.