Der Burgberg vor der Burg – Die urgeschichtliche Besiedlung des Eppensteiner Burgberges
Martin Bertha
Hoch aufragend über dem Talboden und der jungen, sich erst im beginnenden 20. Jahrhunderts entwickelten namensgleichen Ortschaft erstreckt sich die auch heute noch imposante Burgruine Eppenstein. Von 2010 bis 2016 konnten vom Verein FIALE (Forschungsgruppe zur interdisziplinären Aufarbeitung landeskulturellen Erbes) unter der Leitung von Astrid Steinegger sanierungsbegleitend bauarchäologische Untersuchungen und mehrmalig Lehrgrabungen für das Institut für Archäologie[1] der Karl-Franzens-Universität Graz durchgeführt werden. Im Zuge derer wurden nicht nur wesentliche Erkenntnisse zur Entstehungs- und Nutzungsgeschichte der Burg gewonnen, die vom 11. bis ins 16. Jh. n. Chr. reicht, sondern auch in den Jahren 2011 bis 2013 jeweils mehrwöchige, systematische Begehungen der nördlichen und nordöstlichen Hänge durchgeführt. Bereits seit geraumer Zeit galt der spätere Burgberg als urgeschichtliche Fundstelle, allerdings ohne dass das hierfür sprechende Fundmaterial der späten Bronze- und der jüngeren Eisenzeit je publiziert wurde.[2] Zudem hatte Ulla Steinklauber 2010 einige spätantike Funde von den Hängen vorgelegt,[3] womit bereits zu Beginn der fachlichen Begleitung durch den Verein FIALE mit einer zeitlich weit zurückreichenden Nutzung des Burgberges zu rechnen war. Auch wenn der Autor an den von Studierenden der Archäologie und freiwilligen Helfer*innen – die sich unermüdlich die steilen Hänge auf und ab kämpften – tatkräftigst unterstützten Unternehmungen leider nicht teilnehmen konnte, so hatte er jedoch im Anschluss das Vergnügen, das zahlreiche Fundmaterial dieser Surveys mit der Projektleiterin zu sichten. Ziel dieses Unterfangens war es, den Umfang des vormittelalterlichen Materials für eine Bearbeitung und die Machbarkeit einer universitären Abschlussarbeit abzuschätzen. Die außerordentliche Menge an Fundmaterial führte schließlich zu einer zeitlichen Eingrenzung der Bearbeitung durch den Autor auf die urgeschichtlichen Funde.[4]
Das vorliegende Werk[5] präsentiert nun auf insgesamt 165 Seiten die Ergebnisse dieser eingehenden Untersuchung. Es gliedert sich in unterschiedliche Kapitel zu den einzelnen Zeitstufen vom ausgehenden Neolithikum über die frühe, mittlere und späte Kupferzeit sowie die frühe und späte Bronzezeit bis in die ausgehende Eisenzeit, in denen das entsprechende Fundmaterial anhand seiner typochronologischen Merkmale mit anderen Fundorten verglichen und entsprechend beurteilt wird. Ein abschließendes Kapitel setzt die dabei erzielten Ergebnisse in einen regionalen wie auch überregionalen Kontext, abgerundet durch einen beschreibenden Katalog und insgesamt 29 Fundtafeln.
Anhand dieses Fundmaterials präsentiert sich der spätere Burgberg von Eppenstein als eine in der Obersteiermark bislang einzigartige Siedlungsstelle, welche durch eine erstaunliche Platzkontinuität geprägt ist. So wurde die markante Felsnase im Laufe des mittleren Neolithikums erstmals als Siedlungsfläche genutzt und zählt somit zu den wenigen, bereits inneralpinen mittelneolithischen Siedlungen in Südösterreich. Die entsprechenden Keramikfunde können der Lengyelkultur zugeschrieben werden, wobei ein Einsetzen der Besiedlung wohl um die Mitte des 5. Jahrtausends v. Chr. erfolgt sein dürfte. Während der nachfolgenden beginnenden Kupferzeit wurden die Steiermark und auch angrenzende Gebiete weitgehend aufgesiedelt[6] und auch die Ansiedlung von Eppenstein erreichte in dieser Zeit wohl einen ersten Höhepunkt. Das zeitlich entsprechende Fundmaterial kann der vor allem in Südösterreich verbreiteten frühkupferzeitlichen Kanzianiberg-Lasinja-Gruppe der Lasinjakultur (ca. 4300–3900 v. Chr.) zugeordnet werden. Wichtiger für die Besiedlungsgeschichte der oberen Steiermark sind allerdings Funde, die dem jüngeren Abschnitt der Frühkupferzeit zuzuordnen sind und anhand ihrer charakteristischen Verzierung als Furchenstichkeramik bezeichnet werden.[7] Diese über einen weiten Raum verbreitete und in den Zeitraum von 3900–3500 v. Chr. datierende Kulturgruppe war bislang nur aus der mittleren Steiermark bekannt und die Eppensteiner Funde erweitern das bisher belegte Verbreitungsgebiet deutlich nach Westen.[8]
Ein weiterer Höhepunkt wird in der vierten Besiedlungsphase erreicht, die anhand des Fundmaterials der in der Steiermark bislang nur wenig erfassten mittleren Kupferzeit zugeordnet werden kann. So stellt der Eppensteiner Burgberg eine der wenigen steirischen Fundstellen dar, die einschlägiges Fundmaterial dieser Epoche in signifikanter Menge erbrachte. Dieses kann in das 36. bis 34./33. Jahrhundert v. Chr. datiert werden und zeigt deutliche Verbindungen in den zentralslowenischen Raum, wo anhand der untersuchten Pfahlbaustationen von Anton Velušček die Stare gmajne-Gruppe[9] herausgearbeitet werden konnte. Es handelt sich hierbei um eine zeitgleiche und auch formal verwandte Erscheinung zur Badener-Kultur der östlich und nördlich angrenzenden Regionen.[10] War bislang davon auszugehen, dass diese Kulturgruppe vor allem in Zentralslowenien ihren Schwerpunkt hatte, deuten mittlerweile neue Fundstellen in Kärnten und der Steiermark[11] – mit Eppenstein als nördlichstem Vertreter – ein deutlich weiteres Verbreitungsgebiet dieser Kulturgruppe an.[12]
Die Funde der ausgehenden Früh- und Mittelkupferzeit stellen somit bereits einen wesentlichen Erkenntniszuwachs innerhalb der steirischen Besiedlungsgeschichte dar, jene der spätkupferzeitlichen Siedlungsphase sind aber nicht weniger bedeutend. Diese können der Vučedolkultur zugeordnet werden, die nach einem Fundort im ostkroatischen Slawonien östlich von Vukovar an der Donau gelegen benannt wurde und vom nordwestlichen Balkan bis in den mittleren Donauraum und die südostalpine Region verbreitet war. Neben dem Wildoner Schlossberg sind die Funde vom Eppensteiner Burg unter einer Reihe von neuen Fundstellen hervorzuheben, belegen diese doch ein weit nach Norden reichendes Einflussgebiet dieser bedeutenden Kultur.[13] Zwar ist im vorliegenden Material ein deutliches Überwiegen einfacher und unverzierter Gefäßfragmente evident, doch sind die verwendeten Verzierungen und Gefäßformen gut mit anderen Fundstellen der Vučedolkultur vergleichbar, wodurch eine Datierung der Siedlung etwa zwischen 2900–2500 v. Chr. ermöglicht wird.
Nach einer mehr oder weniger kurzen Unterbrechung während der ausgehenden Kupfer- und beginnenden Frühbronzezeit,[14] für die in der Steiermark allgemein archäologische Belege rar sind, setzt die Besiedlung auf dem späteren Burgberg von Eppenstein im Laufe der entwickelten Frühbronzezeit wieder ein. Auch wenn aus dieser Zeit nur wenige Keramikfragmente vorliegen, erlauben diese eine Zuordnung zur bislang in der Steiermark kaum belegten Kisapostagkultur (ca. 2300/200 bis 1800 v. Chr.). Von der sich daraus entwickelnden Litzenkeramik, die am Übergang von früher zu mittlerer Bronzezeit steht und etwa von 1800 bis 1600 v. Chr. datiert, konnten ebenfalls im Zuge der Begehungen einige wenige Fundstücke mit der charakteristischen Verzierung in Form von in horizontalen Bändern angeordneten Schnurabrücken aufgelesen werden.
Nach einem neuerlichen Hiatus während der mittleren Bronzezeit ist im Laufe der späten Bronzezeit wieder eine rege Siedlungstätigkeit festzustellen. Die achte, der Urnenfelderkultur zuzuschreibende Siedlungsphase (Ha A/B, ca. 13.–9. Jahrhundert v. Chr.) stellt einen weiteren Höhepunkt in der Besiedlungsgeschichte von Eppenstein dar. Sind vorerst weitreichende Kontakte in den mittleren Donauraum sowie in den Bereich der Laugen-Melaun-Gruppe evident, können anhand des Fundmateriales im Laufe des beginnenden 1. Jt. v. Chr. wieder verstärkt Einflüsse aus dem südöstlichen Raum (mittlere Steiermark, Slowenien) festgestellt werden. Der Übergang in die bereits ältereisenzeitliche, neunte Siedlungsphase (Ha C/D1, 8.–6. Jahrhundert v. Chr.) dürfte ohne nennenswerte Unterbrechungen vonstattengegangen sein, und die vorliegenden Funde können ohne weiteres der steirisch-pannonischen Gruppe der (Ost-) Hallstattkultur zugeordnet werden.[15] Zwar stellt sich diese Siedlung topografisch bedingt als eine der kleineren innerhalb des hallstattzeitlichen Siedlungsgefüges des oberen Murtales dar,[16] sie ist dennoch ein wichtiger Mosaikstein in der Beschäftigung mit möglichen Siedlungshierarchien dieser Zeit in der Steiermark. Zudem wurde sie – wie auch zeitgleiche Siedlungen in der mittleren Steiermark (wie z. B. jene am Burgstallkogel bei Großklein) und im Gegensatz zum Falkenberg – bereits im Laufe des 6. Jahrhunderts v. Chr. wieder aufgegeben.
Als letzter „vorhistorischer" Abschnitt der Eppensteiner Besiedlungsgeschichte ist die zehnte Siedlungsphase anzusehen, die der späten Eisenzeit bzw. der ausgehenden Mittel- und beginnenden Spät-Latènezeit (LT C2/D1) zuzuordnen ist. So wurde wohl im frühen bis mittleren 2. Jahrhundert v. Chr. wieder eine kleinere Siedlung am Eppensteiner Burgberg errichtet, womit diese eine der wenigen bislang bekannten Siedlungen dieser Zeit in der Obersteiermark ist. Allerdings wurde sie noch im mittleren 1. Jh. v. Chr. wieder aufgegeben, und eine konstante Weiternutzung der Siedlung bis in die römische Kaiserzeit lässt sich anhand des Fundmaterials bislang nicht fassen. Jedoch untermauern Keramikfunde ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. die Bedeutung dieser Fundstelle auch für die Zeit nach der Eingliederung in das Römische Reich und darüber hinaus.
Abschließend kann festgehalten werden, dass sich die Ansiedelung auf dem Eppensteiner Burgberg problemlos in das bislang bekannte Kulturgefüge des Südostalpenraumes einbinden lässt und das Fundmaterial bedeutende Einblicke und Erkenntnisse zur Besiedlungsgeschichte des oberen Murtales und darüber hinaus gewährt. Damit sei den Leserinnen und Lesern eine hoffentlich nicht allzu trockene und doch vergnügliche und auch erkenntnisreiche Lektüre des vorliegenden Werkes gewünscht!
Anmerkungen
[1] Heute Abteilung für Archäologie am Institut für Antike.
[2] Vgl. Diether Kramer, Vom Neolithikum bis zur römischen Kaiserzeit. Untersuchungen zur ältesten Besiedlungsgeschichte der Steiermark, mit besonderer Berücksichtigung der mittelsteirischen Höhensiedlungen (Diss. Salzburg 1981), 49, 53, Nr. 245, 55, Nr. 2763/4.
[3] Ulla Steinklauber, Der Burgberg von Eppenstein als archäologischer Fundort der Römerzeit und der Spätantike. In: Zeitschrift des historischen Vereines für Steiermark 101 (2010), 9–34.
[4] Im Rahmen einer am Institut für Archäologie der Karl-Franzens-Universität verfassten Masterarbeit wurden vom Verf. die neolithischen bis frühbronzezeitlichen Funde bearbeitet. Das übrige urgeschichtliche Material konnte im Zuge einer durch eine Subvention des Bundesdenkmalamtes unterstützten Beauftragung durch den Verein FIALE ausgewertet werden. Im Zuge einer Tagung in Wildon zum Thema „Neues zur Kupferzeit am Rande der Südostalpen" im Jahr 2016 konnten bereits erste Ergebnisse präsentiert und eine Kurzfassung im zugehörigen Tagungsband publiziert werden: Martin Bertha, Neolithische und kupferzeitliche Funde vom Burgberg von Eppenstein (Bezirk Murtal, Steiermark). In: Christoph Gutjahr/Georg Tiefengraber (Hgg.), Beiträge zur Kupferzeit am Rande der Südostalpen. Akten des 4. Wildoner Fachgesprächs am 16. und 17. Juni 2016 in Wildon/Steiermark (Österreich) (= Materialhefte zur Archäologie des Südostalpenraumes 1, = Hengist-Studien 5, = ISBE-Forschungen 1, Rahden/Westf. 2020), 133–165.
[5] Martin Bertha, Der Burgberg vor der Burg. Die urgeschichtliche Besiedlung des Eppensteiner Burgberges anhand der Surveyfunde der Jahre 2011 bis 2013. Ein Beitrag zur frühen Besiedlungsgeschichte des oberen Murtales (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 90, Graz 2021).
[6] Vgl. die Verbreitungskarte bei Albert Hafner/Pierre Pétrequin u. a., Ufer- und Moorsiedlungen. Chronologie, kulturelle Vielfalt und Siedlungsformen. In: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg und Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (Hgg.), 4000 Jahre Pfahlbauten (Ostfildern 2016), 60, Abb. 56 [in Folge: Hafner/Pétrequin, Ufer- und Moorsiedlungen].
[7] Vgl. dazu Georg Tiefengraber, Jungsteinzeit und Kupferzeit. In: Bernhard Hebert (Hg.), Urgeschichte und Römerzeit in der Steiermark (= Geschichte der Steiermark 1, Wien–Köln–Weimar 22018), 238–261 [in Folge: Tiefengraber, Jungsteinzeit und Kupferzeit]; Georg Tiefengraber, Der Wildoner Schloßberg. Die Ausgrabungen des Landesmuseums Joanneum 1985–1988. Teilband 1: Text (= Schild von Steier, Beiheft 7/2018, = Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 80, Graz 2018), 165–168.
[8] Trotz der geringen Materialbasis deuten sich Einflüsse aus dem nordwestlichen Balkanraum und dem Donauraum an, wobei besonders Verbindungen zur Mondseekultur des nordwestlich benachbarten Voralpenlandes hervorzuheben sind.
[9] Anton Velušček, Koliščarska naselbina Stare gmajne in njen čas. Ljubljansko barje v 2. polovici 4. Tisočljeta pr.kr. / Stare gmajne pile-dwelling Settlement and ist era. The Ljubljansko barje in the 2nd half of the 4th millenium BC (Ljubljana 2009).
[10] Daneben können am Fundmaterial auch Einflüsse aus dem Bereich der Boleráz-Gruppe der Badener-Kultur festgestellt werden.
[11] Vgl. Tiefengraber, Jungsteinzeit und Kupferzeit 261–267.
[12] Vgl. die Verbreitungskarte in: Hafner/Pétrequin, Ufer- und Moorsiedlungen 61, Abb. 57.
[13] Zur Vučedolkultur bzw. zum namengebenden Fundort siehe z. B. Robert Rudolf Schmidt, Die Burg Vučedol (Zagreb 1945); Aleksandar Durman, Vučedol. Three thousand years b.c. (Zagreb 1988); Jacqueline Balen, Die Vučedolultur. In: Dreitausend Jahre Vorgeschichte. Meisterwerke der Metallzeit im kontinentalen Kroatien. Sonderausstellung vom 10. September 2008 bis 8. März 2009 (Eberdingen 2009), 29–43.
[14] Zur Bronzezeit in der Steiermark vgl. Georg Tiefengraber, Bronzezeit. In: Bernhard Hebert (Hg.), Urgeschichte und Römerzeit in der Steiermark (= Geschichte der Steiermark 1, Wien–Köln–Weimar 22018), 283–498.
[15] Zur Eisenzeit in der Steiermark vgl. Georg Tiefengraber, Eisenzeit. In: Bernhard Hebert (Hg.), Urgeschichte und Römerzeit in der Steiermark (= Geschichte der Steiermark 1, Wien–Köln–Weimar 22018), 501–697.
[16] Die Besiedlung konzentrierte sich in dieser Zeit auf die großen Höhensiedlungen am Falkenberg bei Strettweg/Judenburg bzw. am Zuckenhut bei Fentsch.
Neuerscheinung:
Der Burgberg vor der Burg. Die urgeschichtliche Besiedlung des Eppensteiner Burgberges anhand der Surveyfunde der Jahre 2011 bis 2013. Ein Beitrag zur frühen Besiedlungsgeschichte des oberen Murtales, 165 Seiten ( Inhaltsverzeichnis)
Das Buch ist im Buchhandel oder bei der HLK (Karmeliterplatz 3, 8010 Graz, 0316/877-3013, hlk@stmk.gv.at) um € 24,– erhältlich.
Martin Bertha BA MA, geb. 1987 in Judenburg, Studium der Archäologie am Institut für Archäologie an der Karl-Franzens-Universität. Ab 2018 Tätigkeit als selbständiger Archäologe und seit 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Verein ISBE (Institut für südostalpine Bronze- und Eisenzeitforschung).