Der Teufel in Graz. Besessenheit und Exorzismus am innerösterreichischen Hof 1599/1600
Gerhard Ammerer, Carlos Watzka
Der konstante und universale Glaube der Kirche hat immer auf der Existenz der Dämonen bestanden und die Bedrohung aufgezeigt, die sie für die Christen darstellen. (Papst Paul VI. 1975)[1]
Die „Beschreibung außgetriebener bösser Geister“ im Diözesanarchiv Graz-Seckau
Der jüngst in den „Quellen zur geschichtlichen Landeskunde“ der Historischen Landeskommission für Steiermark erschienene Band über die Praxis des Exorzismus am Grazer Beispiel schließt eine gemeinsame langjährige Forschungsarbeit des steirischen Soziologen und Historikers Carlos Watzka und des Salzburger Kultur- und Rechtshistorikers Gerhard Ammerer ab. Beiden ist fast zeitgleich eine kleine, bescheidene Schrift im Archiv der Diözese Graz-Seckau aufgefallen, die zu edieren lohnenswert erschien, und sie entschieden sich, dies gemeinsam in Angriff zu nehmen.[2]
Bei der im vorliegenden Band edierten „Beschreibung außgetriebener bösser Geister“ handelt es sich um eine bislang von der Forschung weitgehend unbeachtet gebliebene Handschrift mit 399 kleinformatigen Seiten. Sie beschreibt drei in den Jahren 1599 und 1600 in Graz durchgeführte, bereits damals als spektakulär angesehene Teufelsaustreibungen. Die steirische Linie der habsburgischen Dynastie war bei der Unterbringung, Betreuung und Behandlung der Besessenen sehr unmittelbar und aktiv involviert. Das vehemente Interesse des innerösterreichischen Hofes an diesen Phänomenen ist im Kontext der damals in der Steiermark gerade auf dem Höhepunkt befindlichen konfessionellen Auseinandersetzungen zu begreifen. Die sorgfältig inszenierte Austreibung der Dämonen aus den Betroffenen wurde mit einem erheblichen Aufwand und über eine beträchtliche Dauer öffentlich betrieben.
Zunächst scheint von Seiten des Hofes an die Drucklegung eines Berichts über die Geschehnisse in propagandistischer Absicht gedacht gewesen zu sein. Den umfassenden Entwurf dafür – das hier edierte Manuskript – verfasste der über weite Strecken selbst dem ,Exorzistenteamʻ angehörende Hofkaplan Erzherzog Ferdinands, Paulus Knorr von Rosenrodt. Dass der Text dann zeitgenössisch doch nicht veröffentlicht wurde, sondern in der Abgeschiedenheit des Diözesanarchivs verschwand, scheint der damalige Seckauer Bischof Martin Brenner veranlasst zu haben. Als salzburgisch-erzbischöflicher Generalvikar für die Steiermark war er auch die zuständige Instanz für die kirchliche Druckerlaubnis und stand einer Publikation des Textes offenbar ablehnend gegenüber – sei es, weil ihm dieser als ‚Propagandamittel‘ für den katholischen Glauben wenig geeignet erschien, oder aber, weil er mit einigen Textinhalten etwa in dogmatischer Hinsicht nicht einverstanden war.
Konfessionsstreit und Dämonisierung der Welt
Die Vorstellung, dass jemand vom Teufel besessen sein könnte, löst heutzutage bei den meisten Menschen Befremden aus, wohingegen ein ‚persönlicher Umgang‘ mit bösen übernatürlichen Mächten bis in die Frühe Neuzeit für viele Menschen auch hierzulande eine konkrete Erfahrung darstellte. Zahlreiche nicht erklärbare Phänomene wurden dämonischen Einflüssen zugeschrieben, deren Wirkmächtigkeit als Realität unumstritten war. Auch bei Krankheiten suchte man/frau zwar zunächst meist nach natürlichen Erklärungen und wandte pharmakologische Heilmittel an, versagten die Therapien jedoch und blieben andere Erklärungsversuche unbefriedigend, griff man/frau nicht selten zu einer magischen Deutung des krankhaften Zustandes – gegebenenfalls durch Verhexung oder, unter bestimmten Voraussetzungen hinsichtlich des Erscheinungsbildes, auch als teuflische „Besessenheit“. Häufig waren es die Ärzte selbst, welche Patienten und Patientinnen, wenn ihre Bemühungen erfolglos geblieben waren, an die ,geistliche Medizinʻ verwiesen.
Die Reformatoren deuteten den traditionellen, christlichen Geisterglauben um, verwarfen ihn aber keineswegs. Die neuen publizistischen Medien trugen dazu bei, den sowohl auf katholischer wie auf evangelischer Seite verstärkten Glauben auch in Bezug auf Dämonen zu intensivieren und weiter auszugestalten – inklusive des ‚Wissens‘ um deren mannigfaltigen Erscheinungsformen; so waren etwa Sauf-, Spiel-, Tanz-, Fluch-, Wucher- oder Hurenteufel bekannt. Der Konfessionsstreit ließ die Teufelsvorstellungen und -ängste, die seit dem Mittelalter bestanden hatten, in einer ‚zweiten diabolischen Explosion‘ zwischen 1575 und 1625 zu einem regelrechten kollektiven ‚Teufelswahn‘ anschwellen, was sich auch in einer erheblichen Menge einschlägiger Publikationen ausdrückte (siehe als ein Beispiel Abb. 4).
Einen Höhepunkt erreichte die ‚Dämonisierung der Welt‘ um das Jahr 1600, eben zu jener Zeit, als die in der Handschrift behandelten Exorzismen in Graz stattfanden, zeitgleich mit der radikalen Intensivierung der gegenreformatorischen Bemühungen. So kam es in diesen Jahren auch in Graz zu einer Konfessionalisierungsoffensive der katholischen Kirche. Als beim schon länger gesundheitlich beeinträchtigten Rudolf II. selbst im Jahr 1600 ein neuer Krankheitsschub aufkam, wurde dieser zwar überwiegend als melancolia interpretiert, doch trat erstmals auch die Vermutung einer ‚Besessenheit‘ auf und der Kaiser selbst hielt eine Verhexung für wahrscheinlich.
Weithin verbreitet wurden die Vorstellungen von Gestalt und Treiben des Teufels bzw. der Dämonen durch bildliche Darstellungen in Kirchen (beispielsweise auf dem Großen und dem Kleinen Mariazeller Wunderaltar, siehe Abb. 5), in Büchern, Liedern, geistlichen Spielen, weltlichen Bühnenwerken und Flugschriften. Diverse Kompendien und Pamphlete über Hexenwesen und Besessenheit wirkten als Multiplikatoren der kollektiven Teufelsängste, wobei das christliche Konzept von ‚Besessenheit‘ auf der Vorstellung eines personalen Wirkens des Satans auf Erden basierte (und bis heute noch immer basiert).
Dabei war ,Besessenheitʻ keineswegs eine bloß individuelle Angelegenheit der Betroffenen und allenfalls ihrer Familien, sondern ein komplexes soziales und religiöses Geschehen. Insbesondere in Frauenklöstern, das haben ivor allem französischen Untersuchungen gezeigt, konnte das Phänomen epidemische Ausmaße annehmen. In der Frühen Neuzeit war etwa auch das adelige Damenstift der Benediktinerinnen vom Stift Nonnberg in Salzburg davon betroffen.[3]
Edition und Analyse
Die Inhaltsanalyse des Manuskripts Knorrs musste besonders sorgsam erfolgen, da dieses nicht nur aufgrund des zeittypisch umständlichen Sprachgebrauchs erhebliche Anforderungen an heutige Leserinnen und Leser stellt, sondern auch im zeitgenössischen Vergleich als im Duktus besonders kompliziert gelten muss. Daher war eine kritische Lektüre der Handschrift in Zusammenschau mit den – allerdings wenigen – sonst erhaltenen, unabhängigen Quellen zu den beschriebenen Exorzismen für ein adäquates Verständnis unabdingbar. Nachvollzug und Offenlegung der jeweiligen zeitgenössischen Interpretations- und Handlungsmuster waren dabei die zentralen Aufgaben. Unvermeidlich trat hierbei das Problem einer angemessenen ‚Übersetzung‘ in Terminologien der Gegenwart auf.
Die von den involvierten Zeitgenossen herangezogenen Deutungen hatten wesentlichen Einfluss auf ihren Umgang mit einer mutmaßlich aufgetretenen ‚Besessenheit‘. Mit dem Handlungsschema des – vielfach über längere Zeiträume wiederholt anzuwendenden – Exorzismus war ein spezifischer Diskurs verbunden.[4]
Dieser komplexe Prozess stellt den Kern von Besessenheit als soziokulturellem Phänomen dar und verdient bei Analysen eine intensivere Beachtung, als es bislang meist der Fall war. Verfehlt wäre es jedenfalls, das Interpretationsziel auf die Bemühung zu reduzieren, im Text einen ‚Originalton‘ der Besessenen von propagandistischen Interpolationen zu unterscheiden.
Das nun edierte Manuskript mit seinen Berichten über drei Besessenheitsfälle in der steirischen Landeshauptstadt Graz der Jahre 1599/1600 wurde im allgemeinen kulturellen Kontext des zeitgenössischen Wissens über Besessenheit und Exorzismus im frühneuzeitlichen Europa sowie unter Bezug auf die spezifische, regionale gesellschaftlich-politische Situation während seiner Entstehung erörtert. Spezielle Aufmerksamkeit wurde auch den dem Text entnehmbaren prosopographischen und topographischen Hinweisen sowie konkreten exorzistischen „Behandlungsdetails“ gewidmet.
In der Handschrift Knorrs finden sich zahlreiche zeitgenössisch übliche Motive und Strukturelemente der Darstellung von Besessenheit und Teufelsaustreibung. So erklärte der Autor etwa die teuflische Inbesitznahme einer Betroffenen mit einem fehlerhaften Taufvollzug. Auch für das für einen Fall berichtete bewusste Eingehen eines Teufelspakts in einer verzweifelten persönlichen Lebenssituation gibt es im 16. und 17. Jahrhundert etliche Beispiele und Parallelen, nicht zuletzt zur literarischen Figur des „Dr. Faust“. Die mögliche Entstehung dämonischer Besessenheit durch Verhexung kommt im Text ebenso zur Sprache wie die circumsessio (Umsessenheit), das Geplagt- und Verfolgtwerden durch den Teufel als Vorstufe zur eigentlichen Besessenheit. Hatten sich die Dämonen erfolgreich den Weg in den Körper des oder der Betroffenen gebahnt, so brachten sie dort, zeitgenössischen Vorstellungen zufolge, die Körpersäfte in Unordnung und schwächten so den gesamten Leib; vor allem betroffen waren Sinneswahrnehmung, Urteils- und Handlungsfähigkeit.
Erkennbar war eine dämonische Präsenz an Krämpfen und Zuckungen, an plötzlichem Erblinden oder Ertauben, an heftigen Schmerzen, Hitze-, Kälte- oder Erstickungsgefühlen sowie Ohnmachten, aber auch an noch ungewöhnlicheren Vorfällen, wie dem Ausscheiden von Fremdkörpern aus dem Leib der Betroffenen, unvermitteltem, unerklärlichem Hochgehobenwerden in die Luft oder auch an einer zeitweiligen totenähnlichen Starre, die sich mit Aggressionsausbrüchen abwechselte. Weitere Symptome dämonischer Anwesenheit war das Auftreten furchteinflößenden Lärms in diversen Ausformungen (Brausen, Krachen, Blitz und Donner), das – wenn auch oft nur von einzelnen Personen wahrgenommen – visuelle Erscheinen von Dämonen in unterschiedlichen Gestalten sowie schließlich, im ,Vollbildʻ der Besessenheit, das ,dämonischeʻ Sprechen und Agieren jener Personen, von deren Körpern die Teufel, dem zeitgenössischen Verständnis nach, Besitz ergriffen hatten.
Typische Inhalte von deren Reden waren antikirchliche Äußerungen, Beschimpfungen der gerade Anwesenden (speziell von Klerikern) sowie sexuelle Themen – mithin schwerwiegende Verletzungen sozialer Normen jeglicher Art.
Die Exorzismen dauerten häufig mehrere Stunden pro Tag und wurden, wenn es den behandelnden Geistlichen sinnvoll erschien, über Wochen oder gar Monate hinweg fortgesetzt. Die angestrebte Vertreibung der Dämonen aus dem Leib der Besessenen konnte auf unterschiedliche Art und Weise vor sich gehen: Die Teufel konnten etwa als kleine Tierchen aus dem Mund der befreiten Person entweichen (siehe Abb. 5), wobei das Verlassen des Körpers mit mentalen Absenzen und somatischen Krisenzuständen einherging. Das Entweichen der bösen Geister konnte sich auch anhand unerklärlicher physikalischer Ereignisse manifestieren, etwa durch das unvermittelte Verlöschen von Kerzen auf dem Altar vor Ort oder das Zerspringen von Fensterscheiben. Die Flucht der Dämonen konnte jedoch auch völlig unauffällig zwischen zwei Exorzismen vor sich gehen, sodass sie von den Exorzisten erst bemerkt wurde, wenn ihnen bei einer erneuten Beschwörung kein Dämon mehr Rede und Antwort stand. Teils ereignete sich aber nach dem ,Ausfahrenʻ eine post-obsessive Wiederholung der Umsessenheit, welche mit erneuten körperlichen und mentalen Leiden der Betroffenen verbunden war. Dies erforderte dann weitere ‚geistliche Heilmittel‘, insbesondere Buße, Beichte und Wallfahrt, um eine vollständige und dauerhafte Genesung herbeizuführen.
Von den Exorzisten angewandte Praktiken
Knorrs Handschrift weist mehrfach ausdrücklich auf die Verwendung der kirchlichen Ritualhandbücher, aber auch zusätzlicher dämonologischer Literatur bei den Exorzismen hin. Besonders häufig erwähnt wird das „Sacerdotale Romanum“,[5] das bis zum Erscheinen des bekannteren „Rituale Romanum“ 1614 offiziöse, von der Kurie in Rom empfohlene Priesterhandbuch für alle sakramentalen Handlungen außerhalb der Messe. Mehrfach erwähnt wird auch das so genannte „Salzburgische Sacerdotale“, welches – herausgegeben vom Salzburger Erzbischof Johann Jakob von Khuen-Belasi sowie dem Apostolischen Nuntius für Oberdeutschland, Feliziano Ninguarda – unter dem Titel „Libri Agendorum Secundum Antiquum usum Metropolitanae Salisburgensis Ecclesiae“ erstmals 1575 in Dillingen im Druck erschien.
Gemäß der Darstellung der Handschrift wurde den in diesen Ritualhandbüchern vorgegebenen Handlungsweisen im Umgang mit Besessenheit vielfach auch in der praktischen Umsetzung entsprochen. Knorr berichtet daher hauptsächlich von Methoden, wie sie auch aus anderen Besessenheitsfällen bekannt sind. Hierzu gehörte von Seiten der Exorzisten als Vorbereitung eine demütige Haltung, Fasten, Beten und Messfeiern sowie das Sprechen der wörtlich vorgegebenen Ritualtexte beim Exorzieren selbst. Auch eine ‚Befragung‘ der Dämonen war vorgesehen, wofür besonders rigide Vorgaben bestanden, die jedoch nicht immer konsequent eingehalten wurden. Befragt werden mussten die Dämonen nach dem Grund ihrer Anwesenheit im Körper der/des Betroffenen, nach ihren Namen und ihrer Zahl, weiters nach der Zeit und der Art des bevorstehenden Ausfahrens und nach Zeichen, welche dieses sichtbar machen würde. Die entsprechenden Dialoge finden sich in Knorrs Text teilweise sehr detailliert wiedergegeben. Neben Praktiken wie dem Sprechen der Gebete und bestimmten Gesängen, der Verwendung von Weihwasser, Salben, Ölen und Weihrauch oder dem Umhängen bzw. Auflegen sakraler Gegenstände kam es laut Knorr aber auch zu noch offensichtlicher magisch geprägten Vorgangsweisen, etwa der rituellen Verbrennung des auf einen Zettel notierten Namens eines Dämons, der hartnäckig war und nicht weichen wollte. Zudem beschreibt das Manuskript mehrfach den Einsatz körperlicher Gewalt, häufig in Form der Fesselung der Betroffenen, aber auch durch Reißen an Haaren oder Ohren, durch Schläge, Fußtritte oder Würgen – ja sogar von der ‚Disziplinierung‘ einer Besessenen durch Auspeitschen wird berichtet.
Die drei aufgezeichneten Fälle
Die drei in der Handschrift behandelten Fälle angeblich teuflisch verursachter Leiden betreffen zwei Frauen, Maria Eichhorn und Katharina Herbst, sowie einen Mann, der als ‚Heinrich von Mesyn‘ vorgestellt wird. Letzterer stellt in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme dar, handelt es sich doch nicht nur beim angegebenen Namen um ein Pseudonym, sondern auch um eine recht offenkundig zu betrügerischen Zwecken bewusst ,vorgespielteʻ, fingierte ,dämonische Präsenzʻ, und lag auch im zeitgenössischen Verständnis keine „Besessenheit“ im engeren Sinn vor, sondern „Teufelsbündelei“. Dementsprechend waren die Aktivitäten der Exorzisten in diesem Fall nicht auf die Austreibung eines Dämons aus dem Körper, sondern auf die Wiedererlangung der angeblich vom Betroffenen dem Dämon überantworteten „Blutverschreibung“ ausgerichtet. Auch fand dieser im Manuskript vergleichsweise knapp abgehandelte Fall von Exorzismus unter weitgehendem Ausschluss des Publikums statt. Das Publikum wurde jedoch nach dem – vermeintlich durch die exorzistische Macht der Kirche bewirkten – Wiederauftauchen des schriftlichen „Teufelspaktes“ zur feierlichen Verbrennung dieses Dokuments in der Hofkirche St. Ägydi eingeladen.
Sowohl im zeitgenössischen Verständnis als auch im Sinn des Fehlens eines nachträglich klar rekonstruierbaren ,Betrugsanteilsʻ scheinen demgegenüber die Besessenheiten der Katharina Herbst(in) und der Maria Eichhorn(in) ,echtʻ gewesen zu sein. Die Eichhorn – zeitgenössisch meist „Aichhorn“ geschrieben – waren eine angesehene innerösterreichische Familie mit engen Kontakten zum Grazer Hof, zum Patriziat und Adel der Landeshauptstadt sowie nicht zuletzt zum katholischen Klerus. Als Ehemann der Maria Eichhorn konnte der in der Handschrift nicht namentlich genannte Hanns Sigmund Eichhorn eruiert werden, der in den Jahren um 1600 als Quartiermeister Erzherzog Ferdinands sowie als landesfürstlicher Administrator und Religionsreformationskommissär für Pettau/Ptuj eine gehobene Stellung bekleidete. Die massive, sich ebenso psychisch wie somatisch manifestierende Erkrankung seiner Ehefrau, die, wie ebenfalls eruiert werden konnte, aus dem italienischen Friaul stammte, begann nur wenige Monate nach der Hochzeit. Dies kann als Hinweis dafür gewertet werden, dass erhebliche Anpassungsprobleme in einer neuen Lebenssituation fern der Heimat zur Erkrankung beigetragen haben dürften. Den pathologischen Erscheinungen, die sich u. a. in wechselnden Zuständen von Stupor und heftiger Erregung äußerten, war nach Angabe Knorrs zudem ein ernster Streit zwischen den Eheleuten vorausgegangen. Im Zuge dessen habe Maria Eichhorn, so berichtet Knorr, unbedacht im Zorn ausgerufen, völlig verlassen zu sein, und, wenn ihr schon sonst niemand beistehe, nicht einmal Gott, so solle das der Teufel tun. Dadurch wurde, so der Autor, der Weg für eine dämonische Inbesitznahme geebnet. Die bald darauf eingetretene Erkrankung wurde zunächst von „Medici der Natur vnnd Arznei“ – erfolglos – behandelt, dann erst wurden „geistliche Ärzt“ zu Hilfe gerufen, „die Seel zu hailen vnd sie zu trösten“. Fachmedizinische Betreuung wurde in diesem Fall jedoch auch weiterhin, komplementär zur ‚geistlichen Medizin‘, in Anspruch genommen.
Beim Leiden der Maria Eichhorn konnten Knorr und die anderen Exorzisten ziemlich rasch Erfolge verzeichnen. Bereits nach wenigen Tagen ‚Behandlung‘ waren die schwersten Symptome verschwunden, ohne dass es überhaupt zur expliziten Manifestierung eines dämonischen Wesens in ihr durch verbale Äußerung sowie zu einem eigentlichen ‚Dämonenkampf‘ gekommen wäre. Unter Anfechtungen des Teufels hatte Maria Eichhorn „freilich angeblich noch“ längere Zeit zu leiden, was gleichfalls mit exorzistischen und mit körpermedizinischen Mitteln bekämpft wurde.
Der Großteil der Ausführungen der Handschrift Knorrs gilt aber dem dritten Fall, jenem der Katharina Herbst, bei welcher sich als einziger das Vollbild der Besessenheit sowie im Zuge der Exorzismen eine intensive und langwierige Dämonomachie zwischen Priestern und ‚bösen Geistern‘ entwickelte. Die Betroffene stammte offenbar aus niedrigen sozialen Verhältnissen, war noch jugendlichen Alters und verdingte sich als Magd bei Bauern. Die unweit von Graz arbeitenden Eltern hatten, so jedenfalls der Text, bereits bei der Taufe in ihrer wesentlichen Pflicht, nämlich an Stelle des Täuflings dem Teufel zu widersagen, versagt – und zwar, wie Knorr berichtet, „aus Trunkenheit“. Daher war Katharina Herbst dem Manuskript zufolge von frühester Kindheit an von Unglücken und Krankheiten geplagt. Als Jugendliche musste sie wegen einer schweren und langwierigen Erkrankung sogar ihren Dienst aufgeben und zu den Eltern zurückkehren, um von diesen gepflegt zu werden. Nach erfolglosen Behandlungsversuchen seitens des lokalen Klerus wurde sie im Mai 1599 nach Graz gebracht und vom Stadtpfarrer umgehend förmlichen Exorzismen unterzogen. Diese Bemühungen wurden sodann über mehrere Monate hinweg von verschiedenen Priestern – mit Wissen und Billigung des Bischofs von Seckau als zuständiger kirchlicher Obrigkeit wie auch des erzherzoglichen Hofes als weltlicher Macht – an diversen Orten in Graz und der näheren und weiteren Umgebung fortgesetzt.
Beide Instanzen beobachteten das Geschehen sehr genau, und zwar mittels täglich einzusendender Berichte der Exorzisten, aber was die habsburgische Regentenfamilie angeht, auch durch oftmalige persönliche Anwesenheit und teils sogar aktive Beteiligung: So versuchte sich der damals noch im frühen Jugendalter befindliche, aber bereits mit den niederen kirchlichen Weihen ausgestattete Erzherzog Leopold hier erstmalig, wenn auch wenig erfolgreich, als Exorzist. Seine Mutter, Erzherzogin Maria Anna von Bayern, stellte wiederum für die Teufelsaustreibungen wertvolle, als besonders wirkkräftig betrachtete Reliquien aus ihrem Besitz zur Verfügung.
Die Besessene selbst zeigte im Verlauf der über Monate andauernden rituellen Handlungen nahezu das gesamte Repertoire der zeitgenössisch bekannten Besessenheitssymptome, und auch die Exorzisten wandten primär hierbei übliche ‚Heilmittel' an. Dazu zählten massive, somatisch wirkende Eingriffe wie die erzwungene Einnahme von geweihtem Salz und Öl oder Geißelung ebenso wie ziemlich ausgefeilte ,psychologischeʻ Prozeduren, mittels welcher die Exorzisten etwa versuchten, die sich manifestierenden unterschiedlichen dämonischen ‚Personen‘ gegeneinander auszuspielen. Selbstredend versuchten die beteiligten Geistlichen auch, die Interaktionen mit den „Dämonen“ zu apologetischen Zwecken im Sinne der Gegenreformation zu nutzen – und dies mit einigem Erfolg. Diesbezüglicher Höhepunkt war sicherlich das – auf ganz gezielte Fragen hin erfolgte – Bekenntnis eines „bösen Geistes“, kürzlich Luther und Calvin in der Hölle getroffen zu haben.
Die umfänglichen exorzistischen Bemühungen führten schließlich auch bei Katharina Herbst zum gewünschten Erfolg: Die Dämonen verschwanden, wenn auch recht unspektakulär, und nicht, wie Knorr und die anderen Exorzisten gehofft hatten, unter aufsehenerregenden Zeichen wie einem Zerbersten von Fenstern und auch nicht im Zuge eines großen feierlichen ‚Schlussexorzismus‘, der, sehr symbolträchtig, am Neujahrstag 1600 erfolgen sollte. Der definitive ,Behandlungserfolgʻ zeigte sich erst einige Tage später, indem die letzten Verhaltensauffälligkeiten der Katharina Herbst allmählich verschwanden und sich keine bösen Geister mehr ,rufenʻ ließen, um aus ihr zu sprechen. Mit dem Ende der Besessenheit endet auch Knorrs Bericht über das Schicksal der Betroffenen recht abrupt – als Person war Katharina Herbst offenkundig kaum von Interesse.
Die Präsentation des Bandes durch die HLK findet am Mittwoch, dem 13. Oktober um 16:30 im Wartingersaal des Steiermärkischen Landesarchives statt.
Anmerkungen
[1] Zit. nach: Joseph Kardinal Ratzinger, Zur Lage des Glaubens. Ein Gespräch mit Vittorio Messori (München–Zürich–Wien 1985), 143.
[2] Eine erste kurze Vorstellung des Projektes erfolgte bereits 2009: Gerhard Ammerer/Carlos Watzka, Der Teufel in Graz. Heilungen von dämonischer Besessenheit um 1600 im soziokulturellen Kontext – ein Werkstattbericht. In: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 8 (Leipzig 2009), 197–208.
[3] Vgl. Gerhard Ammerer, Exorzismus und animalischer Magnetismus als Behandlungspraktiken in der Frühen Neuzeit. In: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 13. Schwerpunkt: Alternative und komplementäre Heilmethoden in der Neuzeit (Leipzig 2015), 35–53, hier 43f.
[4] Vgl. dazu: Carlos Watzka, Interaktionen von Dämonen und Menschen im Wege der Besessenheit. Auffassungen über das Handeln von spiritus maligni gegenüber Menschen und erforderliche Gegenmaßnahmen im südeuropäischen Katholizismus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Steffen Schneider (Hg.), Aisthetics of the Spirits. Spirits in Early Modern Science, Religion, Literature and Music (Göttingen 2015), 307–364.
[5] Die Ausgaben bis um 1550 erschienen unter dem Titel „Liber Sacerdotalis“, jene danach als „Sacerdotale Romanum“: Sacerdotale Romanum ad consuetudinem S. Romanae Ecclesiae aliarumq[ue] Ecclesiarum ex Apostolicae Bibliothecae, ac Sanctorum Patrum iurium sanctionibus & Ecclesiasticorum Doctorum scriptis, ad optatum quorumcunq[ue] Sacerdotum commodum, collectum; atque Summorum Pontificum authoritate multoties approbatum; Summa nuper cura iuxta S. Tridentini Concilii Sanctiones emendatum & auctum. In Quo omnium Sacramentorum officia, resolutionesq[ue], omnium dubiorum ad ea pertinentium, excommunicationum Canones, cum brevi illarum & absoluta declaratione ex sacris Doctoribus collecta, continetur. Quibus etiam Rubricae generals tum Missalis, tum Breviarii Novi, multaq[ue] alia Sacerdotibus valde utilia, ac necessaria, sunt addita; quae in aliis hactenus impressis desiderabantur (Venedig 1567/1585).
Neuerscheinung:
Gerhard Ammerer/Carlos Watzka, Der Teufel in Graz. Besessenheit und Exorzismus am innerösterreichischen Habsburgerhof 1599/1600, 548 Seiten ( Inhaltsverzeichnis)
Das Buch ist im Buchhandel und auf der Verlagswebsite um € 39,– erhältlich.
Das Digitalisat der Handschrift XIX-A-9 aus dem Diözesanarchiv Graz-Seckau kann auf der HLK-Website abgerufen werden.
Ao. Univ.-Prof. PD DDr. Gerhard Ammerer, geb. 1956, studierte Geschichte und Germanistik an den Universitäten Innsbruck und Salzburg. 2000 Habilitation an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg und Ernennung zum ao. Univ.-Prof. 2009 habilitierte er sich mit einer Studie zur Strafrechtsgesetzgebung unter Kaiser Joseph II. an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät für das Fach Rechtsgeschichte.
Assoz. Prof. PD DDr. Carlos Watzka, geb. 1975 in Leoben, studierte an der Universität Graz Soziologie und Geschichte. 2008 Habilitation an der Universität Graz, seit 2020 Assoziierter Professor am Department für Psychotherapiewissenschaft der Sigmund Freud Privatuniversität in Linz.