Tod in der Jauchengrube – Der Mordfall Auguste Rauber in Graz-Straßgang im Juli 1947
Meinhard Brunner
Mordtat und Aufklärung (Juli 1947)
Die 26. und zugleich letzte Verhandlung eines Oberen Militärregierungsgerichts der britischen Besatzungsmacht in der Steiermark[1] befasste sich mit einem Tötungsdelikt, das sich im Sommer 1947 in Graz zugetragen hatte. Die Umstände dieses Verbrechens sorgten in der Stadt für erhebliches Aufsehen. Dementsprechend erweckte die spätere Gerichtsverhandlung großes Publikumsinteresse und wurde von ausführlicher Berichterstattung der Printmedien begleitet.
Am Morgen des 28. Juli 1947 wurde neben dem Misthaufen des Gasthauses Zach (Kreuzwirt) in Straßgang eine tote Frau gefunden, die kopfüber im Schacht zur Jauchengrube steckte. Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass man ihr durch Schläge schwere Kopfverletzungen zugefügt hatte. Der Tod dürfte aber erst durch Ersticken in der Jauche eingetreten sein. Die Kriminalpolizei (Mordgruppe Faßhuber) nahm nun zu diesem Fall umfangreiche Erhebungen auf.[2] Wie sich herausstellte, handelte es sich bei der Toten um die Deutsche Auguste Rauber.[3] Noch am Tag ihrer Auffindung wurden ihr Geliebter, der Sudetendeutsche Erich F., sowie dessen Ehefrau Elsa F. im Grazer Stadtgebiet als tatverdächtig festgenommen.[4]
Prozess vor einem britischen General Court (Juni/Juli 1948)
Da das Ehepaar F. den Status von Displaced Persons (DPs) hatte, fiel die gerichtliche Ahndung hier in die Zuständigkeit der Besatzungsmacht. Ab 22. Juni 1948 hatten sich Erich F.[5] und Elsa F.[6] also wegen Mordes vor einem britischen General Court in Graz zu verantworten.[7] Richter Hamilton leitete die Verhandlung. LtCol. Bickford vertrat die Anklage, welche sich im Wesentlichen auf die Ermittlungsergebnisse der Kriminalpolizei stützte. Erich F. wollte sich selbst verteidigen, während seine Gattin von Dr. Kristl anwaltlich vertreten wurde.
Wie auch schon bei anderen Verhandlungen ihrer obersten Gerichtsebene in der Besatzungszone war den Briten daran gelegen, die Vorbildwirkung ihrer Rechtsprechung herauszustreichen. Sohin zogen sie nun im großen Schwurgerichtssaal des Grazer Straflandesgerichts über zehn Prozesstage hinweg – überspitzt formuliert – noch einmal alle Register der Juristerei.
Bereits am ersten Tag zeigte sich eine Facette der Verhandlung, die ihren ‚Unterhaltungswert‘ für die stets zahlreich vertretenen Gerichtskiebitze noch steigerte, nämlich das ungewöhnliche, mitunter bizarre Verhalten von Erich F. Er sorgte insbesondere durch eigenwillige Aussagen und auch Respektlosigkeiten gegenüber dem Gericht für Aufsehen. Die zu Verhandlungsbeginn übliche Frage des Vorsitzenden an die Angeklagten, ob sie sich schuldig bekennen, quittierte Erich F. etwa mit der ‚Drohung‘, er werde das Gericht verklagen, wenn es ihn als Angeklagten betrachtet. Elsa F. bekannte sich ebenfalls nicht schuldig.[8]
Laut Anklage hielt sich Erich F. seit Kriegsende in Graz auf. Er arbeitete als Schlosser bei den Puch-Werken und wohnte zuletzt gemeinsam mit der 15 Jahre älteren Auguste Rauber im DP-Quartier Keplerschule. Am 24. Juli 1947 traf seine schwangere Frau Elsa aus der Tschechoslowakei kommend mit ihrem Kind in Graz ein. Sie bezog am Tag darauf eine Knechtkammer im Stallgebäude des Gasthauses Zach, wo sie am späten Abend des 27. Juli, einem Sonntag, von Erich F. in Begleitung seiner Geliebten aufgesucht wurde. Auguste Rauber war unter dem Vorwand einer geplanten Aussprache nach Straßgang gelockt worden. Dort wurde sie aber kurz nach ihrem Eintreffen im Zimmer gewürgt, mit einem Knüppel niedergeschlagen, danach in den Hof verfrachtet und – noch lebend – in die Jauchengrube gesteckt. Anschließend versuchte Elsa F., Tatspuren in ihrer Kammer zu beseitigen.[9]
Im Laufe der Verhandlung belasteten sich die Angeklagten gegenseitig. Aus der Befragung durch LtCol. Bickford und Dr. Kristl ergaben sich verwirrende Details aus dem Vorleben von Erich F. So lautete sein richtiger Name Erich H. Seiner Geliebten Rauber gab er – wiewohl selbst bereits verheiratet – ein Eheversprechen und wollte mit ihr nach Chile auswandern. Die für 24. Juli 1947 geplante Hochzeit kam aus terminlichen Gründen nicht zustande und sollte am 27. Juli nachgeholt werden. Dann tauchte überraschend Elsa F. in Graz auf, und aus dem Hochzeitstag wurde für Auguste Rauber der Sterbetag.[10]
Am vierten Verhandlungstag (29. Juni) führte Erich F. als sein eigener Verteidiger eine ‚ungewöhnliche‘ Selbstbefragung durch, bei der er sich als Angeklagter ansprach und auf die (eigenen) Fragen meist mit Ja oder Nein antwortete. Im anschließenden Verhör durch Staatsanwalt Bickford traten verschiedene Lügengespinste von Erich F. zutage. Er hatte sogar aus der Haftzelle heraus versucht, seiner Frau mittels Kassibernachricht die Übernahme der alleinigen Verantwortung für den Mord einzureden. F. wurde überdies wegen seines Verhaltens vor Gericht verwarnt.[11]
Dagegen gab Elsa F. ihr Leugnen letztlich auf und gestand am siebenten Prozesstag (3. Juli) die Beteiligung an der Mordtat und auch, dass es ihre Idee war, die (vermeintlich) tote Rauber in der Jauchengrube zu versenken.[12] Nach einem Lokalaugenschein in Straßgang waren die Plädoyers von Anklage und Verteidigung an der Reihe.[13] LtCol. Bickford vergaß dabei nicht zu erwähnen, dass mit dieser Verhandlung gezeigt wurde, mit welcher Genauigkeit „ein britisches Gericht einen Prozeß führt“.[14] Dr. Kristl stellte seine Klientin Elsa F. als willenloses Werkzeug ihres Gatten dar. Erich F. bezichtigte sie hingegen abschließend des Mordes und erklärte, dass er selbst keinen Anwalt genommen habe, „weil das einen Hohn auf seine Unschuld dargestellt hätte“.[15]
Am zehnten Verhandlungstag, dem 9. Juli 1948, wurden schließlich im überfüllten Schwurgerichtssaal die Schuldsprüche und Urteile verkündet. Das Gericht sprach beide Angeklagten des Mordes schuldig. Der als Haupttäter angesehene Erich F. wurde zum Tod durch den Strang, seine Frau Elsa zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.[16]
Das Todesurteil wurde zwei Monate später bei der Überprüfung durch die britische Legal Division in lebenslange Haft umgewandelt,[17] zu deren Verbüßung Erich F. am 14. September 1948 in die Strafanstalt Graz-Karlau kam.[18] Elsa F. hatte ihre Haft in der Strafanstalt Maria Lankowitz zu verbüßen. Dort wurde sie am 27. März 1954 bedingt entlassen.[19]
Wiederaufnahme und Prozess vor einem österreichischen Schwurgericht (September 1956)
Erich F. blieb bis 1. August 1955 in der Karlau eingesperrt. An diesem Tag wurde er als Untersuchungshäftling in das landesgerichtliche Gefangenenhaus Graz überstellt.[20] Unmittelbarer Anlass dieser Verlegung war das Inkrafttreten des Staatsvertrages, wodurch Haftstrafen, welche auf Gerichtsurteilen der Besatzungsmächte basierten, nicht mehr relevant waren. Eine Reihe solcher alliierter Verfahren wurde jedoch ab 1955 durch die österreichische Justiz wieder aufgerollt. So auch der Mordfall Auguste Rauber.[21]
Für Erich F. blieben die unmittelbaren Folgen im Sommer 1955 überschaubar. Er wurde ‚nur‘ von einem Gefängnis in ein anderes transferiert. Ganz anders die Situation für Elsa F.: Sie war zu diesem Zeitpunkt bereits seit eineinhalb Jahren auf freiem Fuß und nach der Scheidung von Erich F. mittlerweile neu verehelicht. Überdies erwartete sie Nachwuchs und kam nun in Untersuchungshaft, wo sie – bereits zum zweiten Mal – ein Kind zur Welt bringen musste.[22]
Es dauerte noch bis 11. September 1956, ehe sich Erich und Elsa F. vor einem österreichischen Geschworenengericht zu verantworten hatten.[23] Dieser Prozess in Graz sollte gegenüber der britischen General-Court-Verhandlung acht Jahre zuvor keine wirklich neuen Erkenntnisse bringen, endete aber wesentlich schneller. Bereits am zweiten Tag sprachen die Geschworenen beide Angeklagten des Mordes an Auguste Rauber schuldig. Erich F.s Verurteilung zu lebenslanger Haft wurde bestätigt. Seine Ex-Frau Elsa erhielt nun eine Strafe von sechs Jahren und elf Monaten Gefängnis. Da ihre Vorhaftzeiten eingerechnet wurden, kam sie allerdings umgehend frei.[24]
Anmerkungen
[1] Vgl. Meinhard Brunner, Britische Militärgerichtsbarkeit in Österreich 1945 bis 1955 am Beispiel der Military Government Courts und Royal Warrant Courts (Diss. Graz [in Vorbereitung]).
[2] Vgl. StLA, Pol-Dion Graz, Akten, Kriminalpolizei, Sonderreihe, K. 12, KrPol-9005-1947: Schlußbericht, 5. 8. 1947 (fol. 66–75).
[3] Geb. 2. 5. 1908, Landsweiler. StLA, Pol-Dion Graz, Akten, Kriminalpolizei, Sonderreihe, K. 12, KrPol-9005-1947: Transportschein, 31. 3. 1947 [o. fol.].
[4] StLA, Pol-Dion Graz, Akten, Kriminalpolizei, Sonderreihe, K. 12, KrPol-9005-1947: Amtsvermerk, 28. 7. 1947 (fol. 12f.); Neue Zeit (30. 7. 1947), 3; Wahrheit (30. 7. 1947), 4; Neue Zeit (1. 8. 1947), 3; Wahrheit (1. 8. 1947), 3; Wiener Zeitung (2. 8. 1947), 3. – Für die zitierten Ausgaben der „Neuen Zeit“ und der „Wiener Zeitung“ siehe das Digitalisierungsprojekt ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek.
[5] Geb. 1923, Tetschen/Děčín. StLA, JA Karlau, Bücher, Bd. 67, Gefangenen-Vormerkbuch, 1947–1953, StB-Nr. 3161.
[6] Geb. 1926, Reichenberg/Liberec. StLA, Pol-Dion Graz, Akten, Kriminalpolizei, Sonderreihe, K. 12, KrPol-9005-1947: Fahndung, 28. 7. 1947 (fol. 14).
[7] Neue Zeit (19. 6. 1948), 4. – Die Angeklagte Elsa F. war die einzige Frau, die in der Steiermark vor ein britisches General Court gestellt wurde.
[8] Vgl. Neue Zeit (23. 6. 1948), 3; Wahrheit (23. 6. 1948), 3.
[9] Vgl. StLA, Pol-Dion Graz, Akten, Kriminalpolizei, Sonderreihe, K. 12, KrPol-9005-1947: Schlußbericht, 5. 8. 1947 (fol. 66–75); Neue Zeit (23. 6. 1948), 3; Wahrheit (23. 6. 1948), 3; Neue Zeit (24. 6. 1948), 4; Wahrheit (24. 6. 1948), 3.
[10] Vgl. Neue Zeit (24. 6. 1948), 4; Wahrheit (24. 6. 1948), 3; Neue Zeit (25. 6. 1948), 3; Wahrheit (25. 6. 1948), 3.
[11] Neue Zeit (30. 6. 1948), 3; Wahrheit (30. 6. 1948), 4; Neue Zeit (1. 7. 1948), 4; Wahrheit (1. 7. 1948), 3.
[12] Neue Zeit (4. 7. 1948), 4; Wahrheit (4. 7. 1948), 5.
[13] Neue Zeit (6. 7. 1948), 3; Wahrheit (6. 7. 1948), 4.
[14] Wahrheit (8. 7. 1948), 3.
[15] Neue Zeit (8. 7. 1948), 3. – Teils abweichend wurde in der „Wahrheit“ über den vorletzten Prozesstag berichtet: Wahrheit (8. 7. 1948), 3.
[16] Neue Zeit (10. 7. 1948), 4; Wahrheit (10. 7. 1948), 4; Wiener Zeitung (10. 7. 1948), 6; Gerald Schöpfer/Peter Teibenbacher, Graz seit 1945. Daten, Fakten, Kommentare (= Unserer Zeit Geschichte 2, Graz 1995), 22.
[17] Neue Zeit (16. 9. 1948), 4; Weltpresse (16. 9. 1948), 8; Wiener Zeitung (16. 9. 1948), 4.
[18] StLA, JA Karlau, Bücher, Bd. 67, Gefangenen-Vormerkbuch, 1947–1953, StB-Nr. 3161.
[19] StLA, Pol-Dion Graz, Akten, Kriminalpolizei, Sonderreihe, K. 12, KrPol-9005-1947: 23. 6. 1954 [o. fol.]; Kleine Zeitung (12. 9. 1956), 6.
[20] StLA, JA Karlau, Bücher, Bd. 67, Gefangenen-Vormerkbuch, 1947–1953, StB-Nr. 3161.
[21] Kleine Zeitung (19. 8. 1955), 8.
[22] Vgl. Wahrheit (12. 9. 1956).
[23] Kleine Zeitung (12. 9. 1956), 6.
[24] Kleine Zeitung (13. 9. 1956), 6.
Mag. Meinhard Brunner, geb. 1971 in Judenburg, Studium der Geschichte und Volkskunde an der Karl-Franzens-Universität Graz. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Landeskommission für Steiermark.
Forschungsschwerpunkte: Sammlung und Edition der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften der Steiermark; Britische Militärgerichtsbarkeit in Österreich 1945–1955.