Das k. k. adelige Damenstift in Graz*
Peter Wiesflecker
In der österreichischen Forschung blieben bisher jene Bruchlinien adeliger Existenz, die Mitglieder des alten (und zum Teil sogar höheren) Adels in ihrer konkreten ökonomisch und/oder sozial prekären Lebenswirklichkeit zeigen, weitestgehend unbeachtet. Diese Wirklichkeit bildete eine Gegenfolie zu Anspruch und Wahrnehmung von Adel als Teil der gesellschaftlichen Elite.
Die deutsche Adelsforschung der letzten Jahre hat sich hingegen der Thematik ‚adelige Armut‘ bzw. der ökonomischen Situation adeliger Familien im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert angenommen und die Historikerin Johanna Singer hat dazu eine bemerkenswerte Analyse von württembergischen und preußischen Fallbeispielen vorgelegt, die die wirtschaftliche Situation altadeliger Frauen des späten 19. Jahrhunderts in eben diesem Sinn beschreibt. Adel und Armut waren kein Widerspruch, da – wie Singer in ihrer Arbeit zeigte – sich die soziale und ökonomische Differenzierung der Gesellschaft von der „ständischen Ordnung“ löste.[1]
Im Fokus stehen dabei altadelige Familien und nicht jene des spät nobilitierten Offiziers- und Beamtenadels des ‚langen‘ 19. Jahrhunderts, deren enger ökonomischer Rahmen auch in der österreichischen Forschung – zumindest in Randglossen – thematisiert worden ist.[2]
Wenngleich die Transformation der habsburgischen Länder hin zum Zentralstaat des Aufgeklärten Absolutismus die Stellung des Adels verändern sollte, blieb dieser der gesellschaftlich und politisch privilegierte Stand, aus dem sich nach wie vor die führenden Funktionsträger in Kirche und Staat rekrutierten. Zugleich eröffneten die Regenten dieser Epoche aber breiteren Bevölkerungskreisen Karrieremöglichkeiten in Verwaltung und Militär, mit denen auch eine großzügige Nobilitierungspolitik einherging. Diese kam bis 1918 vor allem Offizieren zugute, die nach ununterbrochener und tadelloser dreißigjähriger Dienstzeit im Feld um die taxfreie Verleihung des einfachen erblichen Adels ansuchen konnten (sog. systemmäßiger Offiziersadel). Zwei der drei österreichischen Verdienstorden des 19. Jahrhunderts (Leopold-Orden und Eiserner Krone-Orden) waren bis 1884 ebenfalls mit der Verleihung des Adels oder eines höheren Adelsranges verbunden.
Die adelige Gesellschaft der Donaumonarchie war ein fein differenziertes System höchst unterschiedlicher adeliger Lebenswelten – vom ungarischen Magnaten, dem böhmischen oder polnischen Hocharistokraten über den altadeligen Gutsbesitzer in den Alpenländern bis hin zum geadelten Offizier in einer der vielen Garnisonen oder dem nobilitierten Beamten. Innerhalb dieser Gesellschaft nahmen die altadeligen Familien aus mehrfachen Gründen einen besonderen Platz ein. Ihnen kam bei Hof eine bevorzugte Stellung als Inhaber von Ehrenwürden (Kämmerer und Palastdame, Zugehörigkeit zu dynastischen Orden) zu und ihnen waren bis 1918 Einrichtungen reserviert, die explizit der Versorgung von Nachkommen aus altadeligem Haus dienten. Dazu zählten insbesondere die unter Maria Theresia und Joseph II. gegründeten adeligen Damenstifte. Sie sollten unverheirateten und mittellosen altadeligen Damen ein standesgemäßes Leben garantierten.[3] Schon in der Barockzeit hatte es – etwa bei den Salesianerinnen am Rennweg in Wien oder in einzelnen Niederlassungen der Ursulinen – unentgeltliche Ausbildungsplätze für Töchter aus adeligen Häusern als „kaiserliche Kostfräulein“ gegeben.
Damenstifte – Institutionen zwischen Kloster und Welt?
In der Organisation und Struktur dieser Institute nahm man Konzepte und Traditionen auf, die bereits im Mittelalter zur Versorgung unverheirateter (zumeist) adeliger Frauen angewandt worden waren, nämlich den Eintritt in eine (geistliche) Kommunität. Dieser Gedanke hatte – mit Blick auf die Steiermark – bereits im Hochmittelalter bei der 1020 abgeschlossenen Gründung des Stiftes Göß Pate gestanden. Nicht allein als Ort geweihten Lebens im herkömmlichen Sinn, in dem alles auf eine vita contemplativa ausgerichtet war, sondern vielmehr als Stift(ung) zur Versorgung hochadeliger Frauen angelegt, war das spätere ausschließlich monastische Profil von Göß nicht von Anfang an grundgelegt, sondern eine Folge der Klosterreformen des Spätmittelalters und insbesondere der sog. Katholischen Reform und Gegenreformation an der Wende vom 16. zum frühen 17. Jahrhundert.
Die Grundintention und die Ordnungsstruktur solcher Gründungen vermag ein wesentlich jüngeres Beispiel prägnant zu illustrieren: das 1567 von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol in Hall gegründete Damenstift, das zur Versorgung seiner unverheirateten Schwestern gedacht war. Neben den Erzherzoginnen sollten weitere – jedoch nicht nur adelige – Damen dort Aufnahme finden, um ein gemeinschaftliches, dem Gebet und Werken der Frömmigkeit gewidmetes Leben zu führen, das sie auch durch Privatgelübde bekräftigten. Dieses Stift wurde 1783 unter Joseph II. aufgehoben. Als Nachfolgeinstitution schuf der Kaiser 1785 ein externes Damenstift.[4]
Stifte wie Göß, aber auch die zahlreichen Niederlassungen geistlicher Frauengemeinschaften, insbesondere jene der alten Orden, boten bis weit ins 18. Jahrhundert Frauen aus adeligem Haus eine standesgemäße Versorgung außerhalb von Ehe und familiärem Verband. Ein Eintritt war daher nicht immer ein selbstgewählter und/oder religiös motivierter Lebensentwurf fernab der ‚Welt‘, sondern vom zeitgenössischen Rollenbild und den Möglichkeiten einer Tochter aus gutem Haus bestimmt.[5] Jeder Blick in die Professbücher wird dies vielfach bestätigen. Die Kirchenkritik der Aufklärung, die Beschränkungen, die der Staat des 18. Jahrhunderts geistlichen Gemeinschaften u. a. hinsichtlich Mitgift, Eintrittsalter oder Mitgliederzahl auferlegte, vor allem aber die Klosteraufhebungen Josephs II. sollten die weibliche Ordenslandschaft der Erblande jedoch grundlegend verändern und damit auch diese Möglichkeit angemessener Versorgung nachhaltig einschränken.
Interne und externe Stifte – Kriterien der Aufnahme und Standorte
Das älteste Damenstift der Monarchie war jedoch keine kaiserliche Gründung gewesen. 1654 hatte Johanna Gräfin Magnis in Brünn das Damenstift Maria Schul gegründet, das seit 1792 unter kaiserlicher Verwaltung stand und seit 1880 als k. k. Damenstift galt. Es stand unter dem Protektorat des Kaisers. Ebenfalls von privater Seite war 1701 in Prag ein Damenstift, das spätere k. k. frei-weltlich-adelige Damenstift zu den heiligen Engeln, gegründet worden.
Die älteste habsburgische Gründung unter den klassischen Damenstiften der Monarchie war jene des Jahres 1755, mit der Maria Theresia das k. k. Theresianische Adelige Damenstift am Prager Schloss (Hradschin) eingerichtet hatte. Es sollte Damen des böhmischen Herrenstandes vorbehalten sein, die eine Ahnenprobe über 16 adelige Ururgroßeltern zu legen hatten. An der Spitze des Stiftes stand bis 1918 stets eine Erzherzogin als Äbtissin, zuletzt Erzherzogin Maria Annunciata (1876–1961), eine Nichte Kaiser Franz Josephs und Schwester des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand.
Der Tod ihres Mannes Franz Stephan in der Tiroler Hauptstadt im August 1765 veranlasste Maria Theresia zur Gründung des Innsbrucker Damenstiftes, das Damen des Tiroler Adels vorbehalten war und dessen Statuten sich an jenen am Hradschin orientierten. Auch an der Spitze des Innsbrucker Damenstiftes, dessen Mitglieder im Besonderen zum Gebet für den verstorbenen Kaiser und die Mitglieder des Kaiserhauses verpflichtet waren, stand bis 1808 eine Erzherzogin als Äbtissin. Nach dem Tod von Erzherzogin Elisabeth (1743–1808), einer Tochter Maria Theresias, wurde allerdings keine Äbtissin mehr ernannt. Die Leitung oblag fortan einer Oberdechantin. Das Damenstift besteht bis heute als Stiftung des Landes Tirol.
Seit 1769 bestand in Wien das Herzoglich Savoysche Damenstift, dessen Gründungskapital aus dem Vermögen von Herzogin Theresia von Savoyen-Carignan stammte. Das Haus leitete eine Regentin, die am Wiener Hof den fürstlichen Rang besaß. Die letzte Regentin dieses Stiftes starb 1980.
Das jüngste interne Stift war das 1869 in Innsbruck von Therese Gräfin Wolkenstein gegründete Wolkensteinsche Stift zu Innsbruck, für das keine Ahnenprobe gelegt werden musste und in das sechs, später acht, adelige Waisen oder Witwen aufgenommen werden konnten. Nach dem Tod der Gründerin gingen Protektorat und Ernennungsrecht auf die Kaiserin über.
Neben Graz waren auch in den Hauptstädten der anderen innerösterreichischen Länder Kärnten, Krain und Görz unter Joseph II. und seinen Nachfolgern sog. adelige Fräuleinstiftungen bzw. k. k. adelige Damenstifte gegründet worden. Diese waren allerdings sog. externe Stifte. Zwar dienten auch sie der Versorgung von mittellosen adeligen Damen, sahen jedoch kein gemeinsames Leben in einem eigens dafür gewidmeten Gebäude, sondern nur die Zahlung einer jährlichen Präbende vor. Die betreffende Dame konnte daher ihren Wohn- oder Aufenthaltsort selbst bestimmen. Das Kapital der einzelnen Stifte stammte aus dem Vermögen aufgehobener Frauenklöster in den einzelnen Erbländern.
Das k. k. adelige Damenstift oder Fräuleinstift in Görz, mit dem Vermögen des aufgehobenen Klarissenklosters dotiert, wurde 1787 gegründet. 1821 dienten sechs Präbenden der Versorgung von ehemaligen Klarissen, sieben zum Unterhalt von Stiftsdamen. 1856 bestanden 17 Präbenden zu je 300 Gulden, für die keine Ahnenprobe gelegt werden musste. Die Zugehörigkeit zum Adel genügte. 1901 gab es 20 Präbenden, die vom Kaiser verliehen wurden. Die einzelne Stiftsdame war zu bestimmten Andachtsübungen verpflichtet. Die letzte Verleihung einer Präbende fand 1914 statt.[6]
Das k. k. adelige Damenstift oder Fräuleinstift in Kärnten war eine Gründung Kaiser Leopolds II., der diese auf Ersuchen der Kärntner Stände errichtet und dafür Vermögen des aufgehobenen Benediktinerinnenstiftes St. Georgen am Längsee verwendet hatte. Ursprünglich waren vier Präbenden systematisiert worden, deren Zahl sich in der Folgezeit alle zwei Jahre um zwei erhöhen sollte. 1821 waren 13 Präbenden besetzt. Sieben Stiftsdamen lebten damals in Klagenfurt, allerdings in privaten Haushalten, die anderen zum Teil in Wien, Mähren oder im familiären Verband in Kärnten. 1856 gab es 16 Präbenden. Jede Dame erhielt aus diesem Titel 400 Gulden im Jahr. Die Verpflichtung bestand in der Verrichtung bestimmter Gebete. Der Kreis der Kandidatinnen war auf Angehörige landständischer Familien und Töchter verdienter Beamte und Offiziere beschränkt. Die Ernennung erfolgte durch den Kaiser.[7]
Ebenfalls aus dem Vermögen zweier aufgehobenen geistlichen Niederlassungen, des Klarissenklosters in Minkendorf und des Dominikanerinnenklosters in Michelstätten, in die vorrangig Töchter des Krainer Adels eingetreten waren, wurde das k. k. Damenstift oder Fräuleinstift in Krain gegründet. Seit 1791 wurden zu diesem Zweck 8.000 Gulden jährlich reserviert. Damit sollten 36 Präbenden finanziert werden, mit dem Ziel der anständigen Versorgung bedürftiger lediger Töchter des krainerischen landständischen Adels und um das Land Krain verdienter höherer Beamter und Stabs-Officiere. 1821 wurden 15 Damen daraus dotiert, darunter Mitglieder mehrerer altadeliger Krainer Familien. Ihre Pflichten bestanden – wie bei allen anderen externen Stiften – in der Verrichtung bestimmter Andachtsübungen und einem ihrem Stand gemäßen Verhalten. Die Stiftsdamen wurden vom Kaiser ernannt. Die letzte Verleihung einer Präbende fand 1914 statt.[8]
Das k. k. adelige Grazer Damenstift
Das k. k. adelige Damenstifte in Graz gehörte zu jenen sieben unter kaiserlichem Protektorat stehenden Damenstiften der Monarchie, die sog. interne Damenstifte waren. Die Stiftsdamen erhielten nicht nur eine Präbende, die ihren Unterhalt sicherte, sondern auch eine Wohnung im Stift selbst. In ihrer Haushalts- und Wirtschaftsführung waren sie frei, ebenso in der Gestaltung ihres Alltages, sie konnten Besuche empfangen und das Stift für Urlaube und Besuche verlassen. Eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben war möglich, sollte sich jedoch wie die Lebensführung im Gesamten dezent gestalten. Verpflichtend waren nur das Gebetsgedenken und der oftmalige Gottesdienstbesuch.
Das Vermögen des von ihm aufgehobenen Grazer Dominikanerinnenklosters am heutigen Tummelplatz widmete Joseph II. für die Gründung des k. k. adeligen Grazer Damenstifts. Die Satzungen des Jahres 1785 sahen 18 Präbenden vor, die Töchtern aus Familien des erbländischen Adels, und zwar im gleichen Verhältnis zwischen Herren und Ritterstande, zugutekommen sollten. Die Familie musste jedoch nicht die Landstandschaft besitzen. Als Mindestalter für die Aufnahme waren 15, als Höchstalter 40 Jahre vorgesehen. Die Kandidatin, die stets eines guten Rufes und unbescholtenen Wandels gewesen [und] von sichtbaren körperlichen Gebrechen, schweren Krankheiten oder ansteckendem Uibeln frey sein musste, hatte eine Ahnenprobe zu legen, nach der ihre Großeltern von einem adelichen Vater abstammen, sie hatte daher vier adelige Urgroßväter nachzuweisen.[9]
Als jährliche Präbende pro Dame waren 500 Gulden vorgesehen, mit denen Kost, Kleidung, Wäsche, Bettzeug, die Beheitzung des Zimmers und der Unterhalt ihrer Dienstmagd zu bestreiten waren. Jeder Dame wurde im Stiftshaus, dem ehemaligen Dominikanerinnenkloster, ein Zimmer als Wohnung zugewiesen. An Pflichten trugen die ersten Satzungen den Stiftsdamen neben dem Gebetsgedenken für die Mitglieder des Kaiserhauses und die verstorbenen Stiftsdamen, dem täglichen Messbesuch und übrigen Uibungen ... ihrer eigenen Andacht nach dem Rathe ihrer Beichtväter ein dezentes Erscheinen in schwarzer Kleidung und das ständige Tragen des Stiftzeichens auf. Andere als schwarze Kleidung – gefärbte Zeuge – waren nur bei Aufstehkleidern, wie außerhalb der Stadt und auf dem Lande erlaubt. Besuche im Stift waren streng reglementiert und – Familienangehörige ausgenommen – im Regelfall auf das Besuchszimmer und die Anwesenheit einer zweiten Dame beschränkt. Doch dies entsprach den Usancen der Zeit. Besuche und Ausgänge in die Stadt waren nach Anmeldung bei der Vorsteherin möglich, Besuche von Theatern nur in Begleitung anderer Stiftsdamen. Auch für die von dem Adel gegebenen Bälle und Redouten war eine Begleitung erforderlich; doch immerhin gestattete dies eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Großzügig waren die Bestimmungen über den Urlaub. Jede Stiftsdame konnte vier Monate im Jahr abwesend sein, auch den Urlaub von bis zu drei Jahren im Nachhinein in einem Stück konsumieren. Die Vorsteherin hatte nur darauf zu achten, dass stets die Hälfte der Stiftsdamen anwesend war.[10]
Die vorgesehenen Präbenden gelangten bereits im ausklingenden ersten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht mehr alle zur Verleihung. 1821 gab es sieben Stiftsdamen. Auch 1856 lebten sieben Stiftsdamen im Stift in der Bürgergasse, dessen Leitung einer durch Wahl bestimmten Vorsteherin oblag. Ihr zur Seite stand ein von der Landesbehörde bestellter Stifts-Agent. 1821 war es der Jurist Dr. Franz Ernest Valentin, 1856 der frühere ständische Protokolls-Direktor Franz Ritter von Formentini. Das Stift unterstand dem Protektorat des Kaisers, der auch die Stiftsdamen auf Vorschlag der Landesbehörde ernannte. Seit 1880 wurden auch Ehrendamen ernannt. Diese Ernennungen beruhten ebenfalls auf einem kaiserlichen Gnadenakt und begründeten keine Ansprüche auf eine Versorgung durch das Stift. Sie war bei inländischen Bewerberinnen von der für das Damenstift geforderten Ahnenprobe abhängig. Auch Ausländerinnen von zweifellosem Adel konnten zu Ehrendamen ernannt werden. Sie waren insofern begünstigt, dass sie keine Ahnenprobe legen mussten. Für die Ernennung zur Ehrendame war eine Taxe in Höhe von 50 Golddukaten zu bezahlen.[11]
Die 1785 erlassenen Satzungen bildeten bis 1918 die Grundlage für das Grazer Institut, wenngleich sie immer wieder der Zeit angepasst werden mussten. Die 1913 approbierten Satzungen formulierten als Aufnahmeerfordernis die Zugehörigkeit zum inländischen Adel, die österreichische Staatsbürgerschaft, das römisch-katholische Bekenntnis und ein Mindestalter von 20 und ein Höchstalter von 40 Jahren. Im Gnadenweg konnte dieses bis auf 50 Jahre erstreckt werden. Eine Ahnenprobe nach den Bestimmungen von 1785 war weiterhin erforderlich, ein Dispens davon war eingeschränkt möglich. Nach wie vor bestand die Verpflichtung, im Stiftsgebäude zu wohnen, das sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in einem neu errichteten Gebäude in der Körblergasse befand, im Gebetsgedenken, Messbesuchen und einer allumfassend dezenten Lebensführung bis hin zu einer einfachen, aber standesgemäßen Kleidung. In Tracht und Bekleidung [sollte] alles Auffallende vermieden werden, hieß es auch in den Satzungen des Jahres 1913.[12]
Das Damenstift blieb auch nach dem Ende der Monarchie bestehen. Die Preissteigerungen hatten bereits während des Weltkriegs mehrfach Zubesserungen zu den Präbenden notwendig gemacht. Eine bessere Gesamtdotierung sollte fortan dadurch erreicht werden, dass freie Stiftsplätze nicht mehr besetzt wurden. In der Zwischenkriegszeit wurden Teile des Gebäudes vermietet, um damit zusätzliche Einnahmen zur Erhaltung des Hauses und der Dotation der Stiftsplätze zu gewinnen. Die Leitung und Verwaltung des Stiftes oblag nach wie vor einer Vorsteherin, die über ihre Geschäftsgebarung nunmehr der Steiermärkischen Landesregierung Bericht zu erstatten und die Jahresrechnung zur Genehmigung vorzulegen hatte.
Zu diesem Zeitpunkt lebten im Stift nur noch einige wenige Damen, darunter Elsa (Gräfin) Auersperg (1881–1954). Ihre Lebenswelt und insbesondere die langjährigen Bemühungen ihres Vaters, der als Gutsverwalter tätig war, ihr und ihrer Schwester Nina (1882–1962) einen Platz in einem Damenstift zu verschaffen,[13] um damit ihre künftige Versorgung sicherzustellen, die er aus eigenem Vermögen nicht leisten konnte, sind ein gutes Beispiel für die wirtschaftlich prekäre Situation mancher altadeliger Familie, die das äußere Dekor nur noch mühsam wahren konnte.[14] Elsa Auersperg war, ehe sie – knapp vor dem Ende der Monarchie – endlich eine Präbende erhalten sollte, als Kanzleiangestellte bei der k. k. Statthalterei tätig gewesen. Mitte der 1930er-Jahre wurde sie Vorsteherin des Stiftes. Schließlich kam auch ihre Schwester Nina im Grazer Damenstift unter. 1938 zählte das Institut nur noch drei Damen, darunter die beiden Schwestern Auersperg. 1939 wurde das vormalige (k. k. adelige) Damenstift in die sog. Frauenheimstiftung überführt. Die letzte steirische Stiftsdame – Nina Auersperg – starb im Jahr 1962.
Anmerkungen
* Für den vorliegenden Beitrag wurden der Sonderbestand „Adeliges Damenstift“ im Steiermärkischen Landesarchiv sowie die darüberhinausgehenden Aktenbestände der k. k. Statthalterei bzw. der Steiermärkischen Landesregierung für die Zeit des Ersten Weltkriegs und der Zwischenkriegszeit eingesehen. Die Belegstellen daraus werden, um den Anmerkungsapparat straff zu halten, im Detail nicht ausgewiesen. Eine erste Zusammenfassung zur Geschichte des Grazer Damenstifts wurde 2018 unter dem Titel „Das k. k. adelige Damenstift in Graz – Ein Überblick. In: Helmut-Theobald Müller/Karl Peitler (Hgg.), Die Sklavinnen der Tugend. Damenorden aus dem alten Österreich (Graz 2018), 47–50" veröffentlicht.
[1] Johanna M. Singer, Adelige arme Frauen im Deutschen Kaiserreich (Tübingen 2016).
[2] Vgl. exemplarisch: Peter Wiesflecker, Von Teufelskerlen, ärarischen Töchtern und der Fadesse der Garnison. Der österreichische Militäradel zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. In: Wolfram Dornik/Johannes Gießauf u. a. (Hgg.), Krieg und Wirtschaft (Innsbruck–Wien–Bozen 2010), 389–405.
[3] Exemplarisch zeigte die Geschichte und Entwicklung einer solchen Institution Ellinor Langer, Die Geschichte des adeligen Damenstifts zu Innsbruck (= Schlern-Schriften 73, Innsbruck 1950) [in Folge: Langer, Damenstift], die auch einen kurzen einführenden Überblick über die anderen in der Monarchie bestehenden Institute bietet. Vgl. dazu weiters: Inge Gampl, Adelige Damenstifte. Untersuchungen zur Entstehung adeliger Damenstifte in Österreich unter besonderer Berücksichtigung der alten Kanonissenstifte Deutschlands (Wien–München 1960); Eduard Mayrhofer, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst, Bd. 5 (Wien 1901), 144–148 [in Folge: Mayrhofer, Verwaltung]; Peter Wiesflecker, Nobilitierungen Kaiser Karls I. von Österreich. Studien zum österreichischen Adel am Ende der Donaumonarchie (Diss. Wien 1992), 79–94.
[4] Langer, Damenstift 12f.
[5] Vgl. als Beispiel: Peter Wiesflecker, „Allezeit erbaulich und bescheiden ...“. Katharina Benedikta Freiin von Stürgkh (1651–1706) – Äbtissin von Göß. In: Elke Hammer-Luza/Elisabeth Schöggl-Ernst (Hgg.), Lebensbilder steirischer Frauen 1650–1850 (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 82, Graz 2017), 53–66.
[6] Langer, Damenstift 13; Mayrhofer, Verwaltung 146.
[7] Langer, Damenstift 13; Mayrhofer, Verwaltung 147.
[8] Langer, Damenstift 13; Mayrhofer, Verwaltung 147.
[9] StLA, Satzungen für das Kaiserl Königl. Adeliche Damen-Stift zu Graz, Graz 1785 [in Folge: Satzungen 1785].
[10] Satzungen 1785.
[11] StLA, Satzungen des kaiserlich-königlichen Damen-Stiftes in Graz, Graz 1913, Nachtrag betreffend die Ehrendamen, 11f. [in Folge: Satzungen 1913].
[12] Satzungen 1913.
[13] StLA, A. Auersperg, Familie, K. 3, H. 74–79.
[14] Zur Familie: Miha Preinfalk, Auersperg, Geschichte einer Familie (Graz–Stuttgart 2006), 172–174.
ArR Priv.-Doz. Mag. DDr. Peter Wiesflecker MAS, LL.M., MA, Studien der Geschichte, Archivwissenschaft, Geschichtsforschung und des Kirchenrechts in Wien und der Religionswissenschaften in Graz, seit 1998 wissenschaftlicher Beamter am Steiermärkischen Landesarchiv; Privatdozent für Österreichische Geschichte an der Universität Graz, Lehrbeauftragter für Archivwissenschaft an der Universität Wien und für Österreichische Geschichte/Archivwissenschaft an der Universität Klagenfurt. Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark.
Forschungsschwerpunkte: Österreichische Geschichte, Landesgeschichte, Adelsgeschichte, Kirchenrecht, Volkskunde und Archivwissenschaften.