Spolien und Hausteine der Burg Gösting
Jürgen Moravi
Heutzutage ist es allgemein üblich und notwendig, dass bei Burgruinen geplante Bodeneingriffe archäologisch begleitet und dokumentiert werden. Diese Maßnahmen beinhalten überdies eine Dokumentation der dabei gefundenen archäologischen Artefakte.
Ein derartiges wissenschaftliches Vorgehen bei mittelalterlichen Burgen wurde in der Steiermark erst Ende des 20. Jahrhunderts allmählich üblich.
Bei einigen Burgruinen des Landes wurden besonders seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielfach von eigens dafür gegründeten Burgvereinen Sicherungsarbeiten an den Mauern durchgeführt. Diese Arbeiten waren meisthin mit Grabungsarbeiten verbunden, die damals kaum wissenschaftlich begleitet wurden. Dabei zu Tage geförderte Spolien (steinmetzmäßig bearbeitete Natursteine, die im Zuge von jüngeren Umbauarbeiten oder durch den Verfall ihrer ursprünglichen Position im Mauerwerk entrissen sind) wurden meist aussortiert und zur Seite gelegt, doch wurde diesen Funden in der Folge kaum mehr Aufmerksamkeit zuteil. Durch das unsachgemäße Lagern dieser Steine im Freien verfielen auf diese Weise oft in kürzester Zeit Objekte, die zuvor unter der Erde Jahrhunderte überdauert hatten. Dadurch gingen und gehen wertvolle Informationen, die oftmals letzte Hinweise auf die einst prunkvolle Ausstattung der heimischen Burgen geben können, für immer verloren.
Der Burgverein Gösting, der älteste Burgverein Österreichs (gegr. 1925), ist sich heute seiner Verantwortung für die wissenschaftliche Erforschung seiner Funde bewusst, weshalb auf seine Veranlassung hin seit 2005 unterschiedliche wissenschaftliche Auswertungen erfolgten, die aber bisher weitgehend unveröffentlicht sind.
Die nun vorgelegte Publikation[1] beschäftigt sich mit den wenigen Spolien und Hausteinen, die bei der Burgruine Gösting (Graz, Gösting) über die Jahrhunderte des Verfalls erhalten geblieben sind und vom Burgverein Gösting im Laufe seiner Tätigkeit seit 1925 geborgen werden konnten.
Burg Gösting
Die Burg Gösting zählt zu den bedeutendsten und ältesten Burganlagen der Steiermark.[2] Sie zeigt noch heute die für die Region am besten erhaltenen und umfangreichsten Baureste der romanischen Kernburg aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit Wohnturm und „altem“ Palas. In der Spätromanik des 13. Jahrhunderts errichtete man den großen Palas. Die Kernburg wurde mit der Vorburg und der doppelstöckigen Burgkapelle erweitert und erreichte bereits in dieser Zeit ihre größte Ausdehnung.
In der Spätgotik erfolgten nur noch kleinere Umbauten, wie die Errichtung des inneren Torgebäudes, der Bau des Fünfeckturms auf dem ehemaligen Mauerkeil der Ringmauer aus dem 12. Jahrhundert und Erweiterungen des großen Palas.
In der Renaissance kam es hauptsächlich zu Vergrößerungen der Fenster der bestehenden Palasbauten sowie zum Anbau von Arkaden. Zwischen unterer und oberer Burgkapelle errichtete man ein Stichkappengewölbe als Ersatz für die ursprüngliche Holzbalkendecke. Die untere Burgkapelle wurde zusätzlich an der Westseite mit einer gewölbten Empore versehen, die durch eine Spindeltreppe vom Erdgeschoß erschlossen wurde.
Auswertung der Spolien
Von den aus dem Schutt der Burgruine Gösting geborgenen Spolien zeigen noch 29 Steine zumindest teilweise erhaltene, steinmetzmäßig bearbeitete Oberflächen, die in der vorliegenden Publikation ausgewertet wurden. Analysiert wurden die Bearbeitungsspuren, die vielfach mittelalterlichen Steinbearbeitungswerkzeugen zugeordnet werden konnten. Die dabei verwendeten Steinbearbeitungswerkzeuge werden zum besseren Verständnis beschrieben.
Die kunsthistorische Auswertung der Spolien mit Vergleichsbeispielen, Datierungsvorschlägen und Rekonstruktionsversuchen bildet den ersten Teil. Danach wird ein kurzer Überblick über die noch im Mauerverband der Burgruine befindlichen Hausteine (steinmetzmäßig bearbeitete Natursteine für Architekturteile eines Bauwerks) gegeben. Im Katalogteil werden relevante Daten, sämtliche Oberflächengestaltungen und Bearbeitungsspuren der Spolien beschrieben. Den Abschluss bildet der Plan- und Bildteil, in dem alle Oberflächen chronologisch dokumentiert sind.
Bauhistorische Einordnung
Von den 29 ausgewerteten Spolien stammen zwei von einem römerzeitlichen Grabmal, die sekundär im Mittelalter auf der Burg Gösting Verwendung fanden. Eines dieser Objekte wurde in der Romanik zu einem Rundbogengewände einer Fensteröffnung umgearbeitet. Der Romanik sind weitere zwölf Objekte – Kapitelle, Säulenschäfte, Kämpfer, Laibungssteine, Fensterpfosten – zuzuordnen. Damit kann man rund 45 % der ausgewerteten Spolien den romanischen Bauphasen der Burg zuweisen. Die Bedeutung der Burg in der Romanik spiegelt sich somit auch in der großen Anzahl der romanischen Spolien wider.
Aus der Gotik sind lediglich drei Werkstücke – eine Rippe, ein hohlkehliger Kragstein und das Relief des hl. Georg – überliefert. Wie die erhaltene Bausubstanz der Ruine zeigen auch die gotischen Spolien, dass in dieser Zeit wenig Bautätigkeit auf der Burg nachweisbar ist.
Aus der Renaissance stammen elf Funde: Gesimse, Verdachungen, Fensterlaibungssteine, Spindeltreppenreste, etc. Für die Zeit der Renaissance ist wenig Bautätigkeit auf der Burg überliefert, trotzdem stammen rund 38 % der Spolien aus dieser Epoche. Daraus kann man schließen, dass in der Renaissance hauptsächlich die Wohnbauten der Burg, wie der große und der alte Palas, modernisiert wurden. Dies zeigt den üblichen Trend der Renaissance, in der die meist kleineren mittelalterlichen Fensteröffnungen durch größere ersetzt wurden, was auch den gehobenen Wohnkomfort dieser Zeit widerspiegelt.
Zuordnung zu Architekturelementen
Durch die eingehende Untersuchung und den Vergleich mit ähnlichen, in situ erhaltenen Vorbildern, lassen sich fast alle 29 Spolien entsprechenden Architekturelementen, wie Türöffnungen, Fensteröffnungen, Arkaden etc., zuordnen. Zum Teil kann durch geringe Fragmente, wie ein bis zwei zusammengehörige Spolien, sogar die ursprüngliche Architekturöffnung rekonstruiert werden. Diese Rekonstruktionen geben einen Einblick in die einst hochwertige architektonische Ausgestaltung der Burg.
Zuordnung zu Bauteilen
Da die Fundorte der Steinobjekte auf der Burg nur in Einzelfällen bekannt sind, ist die Zuordnung der Spolien zu konkreten Bauteilen schwierig. Eine Ausnahme bildet ein Fragment eines Kämpfers, von dem sich noch zwei zugehörige Kämpfersteinreste im Triumphbogen der oberen Burgkapelle in situ befinden. Ein weiterer Glücksfall ist ein romanischer Laibungsstein, der dem Portal der unteren Burgkapelle aus dem 13. Jahrhundert zuordenbar ist.
Das spätgotische Relief des hl. Georgs dürfte wohl aus der oberen Burgkapelle stammen, die diesem Heiligen geweiht war.
Ein Gesimsstein stammt von renaissancezeitlichen Arkaden, die sowohl bei der Stiege zum großen Palas als auch bei der Stiege vor dem Wohnturm im Hof nachweisbar sind.
Reste einer Fensterverdachung, ein Fensterlaibungsfragment sowie der Rest einer Sohlbank sind zu entsprechenden Renaissancefenstern zu rekonstruieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit den neuzeitlichen Fensteröffnungen des großen Palas zuzuordnen sind.
Bruchstücke von Spindelsteinen lassen sich jener heute gänzlich abgekommenen Spindeltreppe zuordnen, die in der unteren Burgkapelle auf eine einst überwölbte Empore führte.
Verwendetes Steinmaterial
Für Hausteine auf der Burg Gösting wurde fast ausschließlich Leithakalksandstein verwendet. Dieser wurde bei 27 Spolien und bei den meisten noch im Mauerverband befindlichen Hausteinen sowie bei vielen eingemauerten Spolien nachgewiesen. Leithakalksandstein wurde über sämtliche behandelte Epochen, von der Romanik bis zur Renaissance, bevorzugt eingesetzt. Nur für die zwei antiken Spolien, die auf der Burg sekundär eingemauert waren, stand Marmor in Verwendung.
Bei den Eckquadern der spätromanischen Burgkapelle wurde anscheinend bewusst auf den dunklen Kainachtaler Sandstein zurückgegriffen, der für die Ecken des mit Pietra Rasa (steinsichtiger Verputz) verfugten Mauerwerks einen markanten Abschluss bildete. Hingegen waren die Fenster- und Türöffnungen der spätromanischen Kapelle bauzeitlich mit dem üblichen Leithakalksandstein ausgestattet.
Steinmetzmäßige Bearbeitungsspuren
Sowohl die antiken als auch die meisten mittelalterlichen Spolien zeigen Spuren der groben Abspitzung (z. B. Punktspitzung oder riefenförmig). Auch grobe Abarbeitungen mit dem Schlageisen sind an mehreren Spolien zu beobachten.
Der Einsatz der Glattfläche durch grobes oder feineres Abflächen ist auf den meisten Spolien nachzuweisen. Eine Abflächung findet sich auch an einer antiken Spolie. Bemerkenswert daran ist, dass das Abflächen sowohl für nicht sichtbare Lagerflächen als auch für die sichtbare Architekturoberfläche verwendet wurde.
Die Überflächung einer Architekturoberfläche lässt sich mit Sicherheit nur bei einem romanischen Laibungsstein nachweisen.
Das Zahneisen ist vereinzelt bei romanischen Objekten erkennbar, ansonsten nur bei den renaissancezeitlichen Hausteinen in größerem Umfang gebräuchlich.
Der gezahnte Peckhammer (Zahndechsel) war bei renaissancezeitlichen Hausteinen in Verwendung. Bei den romanischen Objekten gibt es nur bei einem Kapitell den sicheren Nachweis des gezahnten Peckhammers. Während beim romanischen Kapitell lediglich die obere, ehemals übermauerte Lagerfuge derartige Zahnspuren zeigt, sind die renaissancezeitlichen Hausteine auch an untergeordneten sichtbaren Oberflächen mit den Zahnspuren des Peckhammers versehen.
Die Verwendung der Zahnfläche ist selten zu beobachten und nur bei zwei renaissancezeitlichen Spolien mit Sicherheit nachweisbar.
Die Glättung der Architekturoberflächen durch ein glattes Schabeisen oder einen Schleifstein ist nur bei einem romanischen Objekt offenkundig. Das gotische Relief zeigt ebenfalls eine solche Oberflächenglättung. Die meisten renaissancezeitlichen Objekte sind in ihren sichtbaren Oberflächen derartig nachbearbeitet.
Bemerkenswert erscheint, dass das Scharriereisen bei keiner Spolie nachgewiesen werden konnte.
Tünchen und Mörtelreste
Tünchenreste auf den Spolien beweisen, dass im Mittelalter und der frühen Neuzeit nicht die Steinsichtigkeit von Bedeutung war, wie das ab dem 19. Jahrhundert bis heute der Fall ist. So zeigen die Spolien eines Portals oder auch eines Kämpfersteins getünchte Oberflächen. Auch die Spindelsteine der Spindeltreppe haben Tünchen an den sichtbaren Oberflächen erhalten.
Historische Kalkmörtelreste sind teilweise bis heute an den Lagerfugen einiger Spolien erhalten und dokumentieren damit, dass manche Hausteine nicht durch natürlichen Verfall, sondern durch gewaltsames Auseinanderbrechen ihrem ursprünglichen Standort entrissen wurden.
Historische Kalkmörtelreste an Sichtflächen der Spolien zeigen hingegen, dass diese schon in der historischen Nutzungsphase der Burg bei Umbauarbeiten von ihren ursprünglichen Standorten entfernt und sekundär als Spolien andernorts vermauert wurden.
Zementmörtelspritzer beweisen, dass viele Objekte bei den vom Burgverein Gösting durchgeführten Sicherungsarbeiten im Laufe des 20. Jahrhunderts zumindest in der Nähe des Baugeschehens lagen bzw. bei solchen Arbeiten gefunden wurden.
Wie einige vom Burgverein Gösting im 20. Jahrhundert rekonstruierte Bauteile zeigen, wurden derartige Spolien gerne wieder mit vermauert und aufgrund der entsprechenden Oberflächenbearbeitung z. B. als „neue“ Ecksteine wiederverwendet.
Museale Aufstellung
Einige Spolien wurden zu einem unbekannten Zeitpunkt mit Bleistift nummeriert. Möglicherweise gab es zu dieser älteren Inventarisierung auch eine Beschreibung, die aber nicht mehr überliefert ist. Die Beschriftung ist wohl auch in Zusammenhang mit der jahrzehntelangen Aufstellung und Präsentation der meisten Stücke im Wohnturm zu sehen.
Abschließend bleibt zu hoffen, dass diese Publikation dazu beiträgt und anregt, auch an anderen Burgruinen des Landes Spolien wissenschaftlich zu analysieren, damit der Einblick in die mittelalterliche Architektur und das Verständnis für die Baukultur des Mittelalters vertieft werden.
Anmerkungen
[1] Jürgen Moravi/Robert Kuttig u. a., Spolien und Hausteine der Burg Gösting (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 94, Graz 2022). Online-Publikation
[2] Jürgen Moravi, Der steinerne Burgenbau des Hochmittelalters in der Steiermark. In: Burgen im Alpenraum (= Forschungen zu Burgen und Schlössern 14, Petersberg 2012), 11–23; Jürgen Moravi, Burgenbau im Wandel der Jahrhunderte. Mittelalterliche Burgentypen in der Steiermark. In: Viana Styria. Zeitfenster unsere Heimat neu entdeckt! 1 (2021), 7–11; Wolfgang Absenger, Die Burgruine Gösting. Ergebnisse einer bauhistorischen Betrachtung. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 29/30 (2000), 139–165.
Neuerscheinung:
Jürgen Moravi/Robert Kuttig u. a., Spolien und Hausteine der Burg Gösting (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 94, Graz 2022), 141 Seiten. Inhaltsverzeichnis
Online-Publikation
DI Jürgen Moravi, Studium der Architektur an der TU Graz, seit 2008 Mitarbeiter des Bundesdenkmalamtes, Abteilung für Kärnten. Forschungsschwerpunkte: Bauhistorische Untersuchung, Burgenforschung und Altbau-Sanierung.