Das künstlerische Schaffen des Barockbildhauers Philipp Jakob Straub (1706–1774) mit Blick über die Alpen
Christina Pichler
Im Herbst 2021 wurde von der Verfasserin dieses Blogbeitrags am Institut für Kunstgeschichte der Karl-Franzens-Universität Graz die Dissertation mit dem Titel „Der Barockbildhauer Philipp Jakob Straub (1706–1774) und sein künstlerisches Schaffen mit Blick über die Alpen. Eine Werkanalyse unter besonderer Berücksichtigung des norditalienischen Einflusses auf die transalpine Skulptur des Spätbarocks“ approbiert.[1] Die Aufarbeitung des Lebens und Oeuvres des Künstlers war lange Zeit ein Forschungsdesiderat, dem sich nach den Kunsthistorikern Eduard Andorfer[2], Rochus Kohlbach[3] und Horst Schweigert[4] niemand mehr in bedeutsamer Weise annahm. Erst das EU-Projekt „TrArS – Tracing the Art of the Straub Family“[5] beschäftigte sich von 2017 bis 2019 intensiv mit dem Bildhauer und dessen vier Brüdern, die sich nach der gemeinsamen Grundausbildung in der väterlichen Schreinerwerkstatt in Wiesensteig (heute Baden-Württemberg) auf verschiedene europäische Städte verteilten und eine dementsprechend variierende Stilentwicklung aufwiesen. Diese projektgebundenen Bestrebungen waren jedoch nur ein erster Schritt in Richtung einer umfassenden Erforschung der Brüder und ihres künstlerischen Schaffens, denn es offenbarten sich vielmehr neue Fragestellungen, was die tatsächliche Zuschreibung einzelner Werke betraf. In Hinblick auf den für Graz sehr bedeutsamen Philipp Jakob Straub konnte nun durch die Dissertation Licht in die dunklen Bereiche seines Wirkens gebracht werden.
Werkkatalog
Insbesondere der Werkkatalog musste eingreifenden Adaptierungen unterzogen werden, befanden sich doch etliche Arbeiten darunter, die mit dem Stil des Bildhauers nicht kongruent gingen. Mangelnde Quellen sowie bislang stark regional beschränkte Untersuchungen des Werkkorpus führten zu Falschzuschreibungen, die in ein inhomogen anmutendes Stilbild mündeten, was in weiterer Folge die künstlerische Leistung Philipp Jakob Straubs ungerechtfertigterweise deutlich zu mindern schien. Diesem Missstand wurde Abhilfe geschaffen, indem – auf Basis aller urkundlich und durch Signatur gesicherten Werke[6] – eine Stilanalyse durchgeführt wurde, welche das Substrat der anschließenden stilkritischen Untersuchung aller zugeschriebenen Werke darstellte. So konnten insgesamt 16 bisherige Zuschreibungen widerlegt werden, was das Oeuvre zwar in der Quantität vermindert, dessen Qualität jedoch erheblich steigert. Der Werkkorpus erscheint nun „bereinigt“, die stilistische Genese Straubs ist deutlicher nachvollziehbar. Zudem bereichern fortan drei Neuzuschreibungen das Gesamtwerk, wovon eine besonders hervorzuheben ist: Es handelt sich um die skulpturale Ausstattung der Frauenkirche von Pernegg an der Mur,[7] welche nun Philipp Jakob Straub unter teilweiser Beteiligung seiner Werkstatt zugewiesen werden konnte und die nun die umfangreichste heute noch in situ erhaltene Kirchenausstattung darstellt, die mit dem Bildhauer in Verbindung zu bringen ist. Während die Figuren des Hochaltars mit der Heiligen Sippe, bestehend aus den hll. Zacharias, Johannes dem Täufer, Joachim und Anna, dem Meister selbst zuzuweisen sind, dürften die Engelsfiguren der sechs Seitenaltäre sowie die Kanzel mit Werkstattbeteiligung entstanden sein.
Arbeitsteilung
Diese Form der Arbeitsteilung lässt sich in der frühen Schaffensperiode (1720–1740) Straubs besonders intensiv feststellen, was in der Dissertation ebenfalls thematisiert wird. So trat sein einziger namentlich bekannter Schüler, Johann Ferdinand Schmucker (Lebensdaten unbekannt), in jener Zeit in Erscheinung. Ihm wurde der Großteil der Ausführung der plastischen Altarausstattung der Pfarrkirche von St. Ruprecht an der Raab überlassen, was eine Besonderheit darstellt, da dieser – trotz attestierbaren Talents und starker Orientierung am Schaffen seines Meisters – teilweise dennoch recht unbeholfen in der Umsetzung der Figuren zu Sein schien, was eigenwillige Faltenschwünge und Beinpositionen beweisen. Dass Straub seinen Schüler dennoch derart frei agieren ließ, weist darauf hin, dass er in seiner Anfangszeit in Graz eine Fülle an Aufträgen zu bewerkstelligen hatte – teils noch als „Erbe“ des verstorbenen Johann Jakob Schoy (1686–1733). Nach dessen Tod im Jahr 1733 vermittelte der Hofbildhauer Prinz Eugens von Savoyen, Johann Christoph Mader (1697–1761), seinen Gesellen Philipp Jakob Straub nach Graz, indem er diesen als fähigsten Bewerber für die Heirat mit der frisch verwitweten Anna Katharina Schoy und demnach für die Übernahme der Werkstatt mitsamt Gesellen Schoys wärmstens empfahl.[8] Es erscheint logisch, dass er daraufhin die bedeutenden Auftragsarbeiten in der Landeshauptstadt Graz, wie beispielsweise für die Bürgerspitalskirche oder die Domkirche, gegenüber weniger prestigeträchtigen präferierte, um sich so einen Namen zu machen und dadurch weitere, lukrative Engagements zu gewinnen. Auch sein jüngerer Bruder Joseph Straub (1712–1756), der ihm nach Graz folgte, um dort einige Zeit in der brüderlichen Werkstatt zu arbeiten, bevor es ihn nach Marburg verschlug, prägte diese frühe Schaffenszeit Philipp Jakobs mit Sicherheit ebenfalls stark, wenngleich sich dessen Handschrift aufgrund der höheren künstlerischen Qualität schwieriger herausfiltern ließ als jene Schmuckers. Im Zuge der Arbeit konnten zudem einige Werke, die bislang mit Philipp Jakob in Verbindung gebracht wurden, nun dem jüngeren Bruder Joseph zugeschrieben werden, dessen Stil sich zwar am älteren Bruder anlehnte, diesen jedoch nicht kopierte.
Der zisalpine Einfluss auf die Grazer Barockplastik
Ein besonderes Augenmerk der Dissertation liegt auf dem zisalpinen Einfluss auf die Grazer Bildhauerei des Spätbarocks am Beispiel Johann Jakob Schoys und Philipp Jakob Straubs. Dass die italienische maniera zu jener Zeit im Raum nördlich der Alpen regen Anklang fand, ist bekannt, faszinierend aber ist, auf welche Weise die heimischen Künstler diese Inspirationen im eigenen Schaffen verarbeiteten. Denn kaum jemals wurden da Anregungen schlichtweg nur kopiert, sondern stets mit eigenen Stilmitteln fusioniert, woraus eine sehr individuelle Charaktersprache resultierte. Als bekanntestes Beispiel dient hier Joseph Stammel (1695–1765), dessen langjährige Italienreise, die ihn einmal quer durch das Land führte, durchaus zu bemerkenswerten Manifestationen in seinem Schaffen führte, wobei er diese jedoch nie unreflektiert übernahm. So agierte auch Philipp Jakob Straub, der seine süddeutschen Wurzeln zeit seines Lebens nicht verleugnete, aber auch venezianische Impulse in seinem Werk verarbeitete – und dies, obwohl er selbst nie auf italienischem Boden geweilt hat, was einen interessanten Aspekt darstellt. Es zeigte sich, dass Straub von Schoy nicht nur gewisse Gestaltungsrepertoires aufgriff, sondern insbesondere dessen spezifisch-venezianisches Stilmerkmal der überaus realitätsnahen Wiedergabe des Stofflichen bei gleichzeitiger Übersteigerung der Draperie. Für Schoy ist aufgrund charakteristischer Stilmerkmale eine frühe Studienreise nach Norditalien anzunehmen, wenngleich diese bislang nicht dokumentarisch belegt werden konnte. Es waren womöglich seine Entwürfe, Bozzetti und bereits fertiggestellte Arbeiten, die es Straub ermöglichten, die noch unausgeführten Aufträge Schoys nach dessen Intention umzusetzen, wobei der junge Bildhauer von Anbeginn seine individuelle Formensprache einfließen ließ. Dabei kam er auch mit dessen venezianischem Gepräge in Berührung und konnte dieses für sich nutzen. Der wesentlichste Unterschied zwischen dem Schaffen Schoys und Straubs ist die künstlerische Qualität in Hinblick auf die lebhafte Bearbeitung der Materialien Holz und Stein. Während in Schoys Werkcorpus Steinarbeiten klar dominierten, spielten diese bei Straub lediglich in dessen Frühphase eine wesentliche Rolle.[9] Zudem zeigt der direkte Vergleich, dass sich der jüngere Bildhauer ohne italienische Ausbildung in der Bearbeitung von Stein weniger dynamisch und lebhaft auszudrücken vermochte als sein Vorgänger Schoy, der dieses Können in Italien perfektioniert haben wird. Dort spielte Holz als Werkstoff für Skulpturen eine untergeordnete Rolle, ganz im Gegensatz zum Raum nördlich der Alpen. Somit griff der gebürtige Süddeutsche Philipp Jakob Straub das venezianische Stilmerkmal der formbildenden Draperie zwar auf, vermochte es jedoch nur bei seinen Holzarbeiten auch gekonnt umzusetzen. Die Steinarbeiten sind eher reduzierter in ihrer dynamischen Ausführung, was die Engel des Aloisius- und Nepomukaltars in der Grazer Domkirche (1744, Marmor) veranschaulichen: Hier sind die Falten, wenngleich kunstvoll modelliert, recht zweidimensional, insbesondere im Vergleich zu Straubs Holzfiguren jener Zeit. Schoys signierter Christus in der Rast (1725–1730, Sandstein) vom Franziskanerplatz weist hingegen äußerst plastisch modellierte Draperie vor, die sehr lebendig anmutet und durch tiefe Faltentäler zu stärkerer Volumenausbildung gelangt. Betrachtet man Straubs gleichzeitige Holzskulpturen, wie den hl. Florian vom Sebastiansaltar (1742–1745) der Stiftskirche Rein oder den hl. Judas Thaddäus (1738) im Grazer Dom, wird evident, dass er diesen durchaus dynamische und formbildende Gewandung verleihen konnte, die zu interessanten Silhouettenbildungen führte.
Doch auch durch „welsche“ Künstler, die zu jener Zeit häufig in Graz anzutreffen waren, gelangte Philipp Jakob Straub zu Inspirationen für sein Schaffen. Ein Beispiel für eine solche unmittelbare Anleihe an ein Werk eines italienischen Bildhauers durch Straub ist das Relief des hl. Franz Xaver (1737) am gleichnamigen Altar in der Grazer Domkirche von Antonio Michelazzi, welches er in seinem Relief für die Grazer Sterngasse (1765–1770) aufgegriffen hat. Dies betont einmal mehr den hohen Stellenwert, den die Kunst südlich der Alpen für die regionale Barockbildhauerei einnahm.
Das Leben und das künstlerische Erbe des Philipp Jakob Straub wurden mit der Dissertation erstmals so intensiv ausgeleuchtet, dass ein neuer und umfassender Blick auf den Bildhauer und dessen bemerkenswerte Leistungen sowie dessen Stellung innerhalb der Grazer Barockplastik möglich wurde. Dadurch konnte eine Lücke in der steirischen Kunstgeschichtsforschung geschlossen und gleichzeitig am Beispiel Philipp Jakob Straubs die internationale Vernetzung regionaler Bildhauer aufgezeigt werden. Die Arbeit wird voraussichtlich schon im Frühjahr 2022 publiziert.[10]
Anmerkungen
[1] Die Dissertation wurde von Margit Stadlober betreut und dankenswerterweise durch die HLK gefördert.
[2] Eduard Andorfer, „Straub Philipp Jakob“. In: Ulrich Thieme/Felix Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 32 (Leipzig 1938), 167.
[3] Rochus Kohlbach, Steirische Bildhauer. Vom Römerstein zum Rokoko (Graz 1956) [in Folge: Kohlbach, Steirische Bildhauer].
[4] Horst Schweigert, Philipp Jakob Straub 1706–1774. Ein Grazer Barockbildhauer. Eine Broschüre zur gleichnamigen Ausstellung im Grazer Stadtmuseum (Graz 1992).
[5] Die Hauptpartner des Projekts „Tracing the Art of the Straub Family“ waren das Croatian Conservation Institute, das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege, das Institute for the Protection of Cultural Heritage of Slovenia, die Universität Graz sowie die Universität Ljubljana. Regional in Österreich wurde das Projekt unterstützt vom Land Steiermark, dem Universalmuseum Joanneum sowie der Technischen Universität Graz.
[6] Zu den von Ph. J. Straub signierten Werken zählen: die Glorie des hl. Johannes Nepomuk am Weizberg (1734), der Brückenstürz des hl. Johannes Nepomuk am Grazer Kalvarienberg (1737) sowie die Geißelungsgruppe in einer der Passionskapellen des hl. Bergs in Bärnbach (um 1740).
[7] Diese umfasst den Hochaltar, sechs Seitenaltäre, die Kanzel sowie ein Vortragekreuz.
[8] Kohlbach, Steirische Bildhauer 204.
[9] Dies liegt daran, dass er die noch an Schoy ergangenen Aufträge übernommen hat, der bekanntlich hauptsächlich in Stein arbeitete.
[10] Die vollständigen bibliographischen Angaben zu dieser Publikation werden in diesem Blogbeitrag nachgetragen, sobald sie vorliegen.
Dr. Christina Pichler, Studium der Kunstgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz (Promotion 2021, Dissertationsthema: Leben und Werk des Barockbildhauers Philipp Jakob Straub). Von 2017 bis 2019 Mitarbeiterin des EU-Projekts „Tracing the Art of the Straub Family“, von 2019 bis 2021 Projektassistentin am Institut für Kunstgeschichte der KFU. Aktuell Mitarbeiterin der Forschungsstelle Kunstgeschichte Steiermark und Lehrbeauftragte der KFU. Forschungsschwerpunkte: regionale Kunstgeschichte, Barockplastik, Sakralkunst und Denkmalpflege.