Die Sommerwinter im Ennstal – Missernten 1815–1817
Josef Hasitschka
Tambora und das „Jahr ohne Sommer“ 1816 ist zum 200jährigen Jubiläum in Büchern und Artikeln ausführlich behandelt worden.[1] Die Kausalität des Vulkanausbruches habe nicht nur zu Kälte, Missernten und wirtschaftlicher Not geführt, sondern ebenso zu sozialen Umbrüchen. Auch in der Steiermark wurde diese Kette von Ursache und Wirkung in Artikeln gerne übernommen. In angeblicher Ermangelung von konkreten meteorologischen Daten stützte man sich dabei auf Chroniken im bayrischen Nördlingen und transponierte die Kausalitätsketten auf steirische Verhältnisse.
Meteorologische Beobachtungen im Stift Admont von 1814 bis 1818, verbunden mit den noch weiter zurückreichenden Klimatagebüchern im Stift Kremsmünster, sollen derartige Aussagen über das „Jahr ohne Sommer“ für die Steiermark differenzieren und Mythenbildungen entkräften helfen.
Klimabeobachtungen in Kremsmünster seit 1762
Seit Dezember 1762 werden im Stift Kremsmünster täglich einmal Temperatur und Luftdruck gemessen. Die bis heute ununterbrochene Temperaturreihe, ergänzt durch jene der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik auf der Hohen Warte in Wien, ist digital abrufbar.[2]
Der Beginn der meteorologischen Beobachtungen im Stift Admont 1814
Der Physikprofessor am Gymnasium im Stift Admont Pater Gotthard Wisiack (1783–1840) begann mit meteorologischen Dokumentationen am 1. April 1814.[3] Untergebracht waren seine Apparate im 2. Stock an der Nordostecke des Stiftsgebäudes. Bis zum Sommer 1818 führte er dreimal täglich Messungen mit Barometer, Thermometer und Hygrometer durch und notierte sie mit Witterungsbeobachtungen sorgfältig. Das Thermometer las er auch im Freien im Schatten dreimal täglich ab.
Barometer
Die barometrischen Beobachtungen dienten zu Wettervorhersagen und zu Höhenmessungen von Kalbling (2. Aug. 1814) und Buchstein (14. Aug. 1814) durch P. Gotthard Wisiack und P. Albert Muchar.[4] Dazu mussten die stationären gewichtigen Geräte bis auf die Bergspitzen getragen werden. Muchar beschrieb die Vorbereitungen folgend: Denn um die Höhe des Berges zu messen, verabredeten wir uns, ich und Gotthard, daß er unten u. ich auf der Spitze oben die Beobachtungen machen wollte, zu welchem Zwecke er meinen Rücken mit Barometern und Thermometern zu einem mulo gravato [= Lastesel] umwandelte.[5]
Kein Temperatursturz gemessen
Die Jahre 1815 bis 1817 waren ungewöhnlich kalt. Besonders das Jahr 1816 ging in Deutschland als „Achtzehnhundertunderfroren“ in die Geschichte ein. Erst ein Jahrhundert später wurden Vulkanausbrüche Anfang des 19. Jahrhunderts als Ursache dafür vermutet, besonders jener des Vulkans Tambora in Indonesien. Ein gewaltiger Aschenmantel breitete sich in der Erdatmosphäre aus und ließ in der Folge die Temperatur weltweit um weitere 1,5 Grad Celsius absinken.[6]
Im 19. Jahrhundert soll das zweite Jahrzehnt weltweit am kälteste gewesen sein.[7] Die Admonter meteorologischen Beobachtungen ergeben allerdings dem obigen völlig widersprechende Temperaturmittel:
1814 | 7,15 Grad Reaumur = | 8,47 Grad Celsius |
1815 | 6,23 | 7,47 |
1816 | 6,25 | 7,50 |
1817 | 6,01 | 7,21 |
1847 | 6,76 | 8,11 |
1853 | 6,60 | 7,92 |
1854 | 4,71 | 5,65 |
1855–1864 Zehnjahresmittel: | 5,04 | 6,05 |
Somit ist zu differenzieren: In Admont war das Jahr 1816 nahezu gleich kalt wie die Jahre davor und nur 0,6 Grad Celsius kälter als dreißig Jahre danach, sogar wesentlich wärmer als vierzig Jahre später. Von einem Temperatursturz von 1,5 Grad oder vom kältesten Dezennium im 19. Jahrhundert kann nicht gesprochen werden. Die Temperaturreihe des Stiftes Kremsmünster und der ZAMG gibt für Österreich ein ähnliches Bild von kalten Dezennien: 1780er Jahre ca. 7,7 Grad Celsius, 1810er Jahre ca. 7,9, Ende 1830 ca. 7,5, Ende 1880 kältestes Dezennium mit ca. 7,4 Grad Celsius.[8]
Sonnenflecken beobachtet
Auch die verminderte Sonnenabstrahlung durch starke Sonnenflecken wurde als Verursacher der Kälteeinbrüche vermutet. Pater Gotthard Wisiack beobachtete zwischen 10. Juli und 5. Aug. 1816 beinahe täglich, vom 28. Sept. bis 16. Okt. gelegentlich Sonnenflecken. Er dürfte ihnen im Zusammenhang mit der absonderlichen Witterung in diesem Jahr Bedeutung beigemessen haben, da er sie in seinen Notizen besonders hervorhob.
Himmelsbedeckung – keine Verdunkelung
P. Gotthard notierte in der Rubrik „Witterung“ (gemeinsam mit den Niederschlägen) die Himmelsbedeckung mit ähnlichen Bezeichnungen wie heute: trüb (dürfte dem Hochnebel entsprechen), neblig, heiter in Abstufungen, bewölkt in Abstufungen, bedeckt in Abstufungen. Vollkommen heiter würde dem heutigen „wolkenlos“ entsprechen.
Behringer verwendet den Begriff Höhenrauch für die Verdunkelung des Himmels, wie sie nach dem Vulkanausbruch beobachtet worden ist. Ob diese Himmelserscheinung in Mitteleuropa registriert wurde, scheint aber noch unerforscht. In einigen österreichischen Zeitungsartikeln aus dem Jahre 2016 über das 200-Jahr-Jubiläum wurde die Verdunkelung als Faktum niedergeschrieben.[9] Die „grandiosen Abendstimmungen von William Turner“ wurden bemüht, „die biedermeierlichen Sonnenuntergänge in Europa waren von nie dagewesener Pracht“. Lord Byron sei von derartiger Verdunkelung am Genfersee zu seinem schaurigen Gedicht „Darkness“ inspiriert worden.[10] Einen kühnen Bogen spannte eine Internetseite zwischen der Verdunkelung, schlechtem Wetter einerseits und der Entstehung von weiterer Weltliteratur wie Percy Shellys „Frankenstein“, Polidoris „Der Vampir“ andererseits.[11] In einem Artikel in einer steirischen Zeitung steht sogar: Doch keine Zeit kann so dunkel sein, dass nicht auch Schönes entsteht. In einer der dunklen Winternächte des Jahres 1816 textete der junge Lungauer Hilfspfarrer Joseph Mohr das Weihnachtslied „Stille Nacht, heilige Nacht“.[12]
Abendrot-Beschreibungen im Admonttal, besonders des in der Abendsonne liegenden Buchsteins, gab es vor und nach dem „Jahr ohne Sommer“ zur Genüge. Der „Höhenrauch“ scheint in P. Gotthards Meteorologischen Beobachtungen nur ein einziges Mal auf, und zwar im Herbst des Jahres 1814. Goethe beschreibt ihn übrigens im Jahre 1812.[13] Die Admonter Bilder der Kammermaler schließlich zeigen alle eine normale Himmelsfärbung, hier von Jakob Gauermann aus dem Jahre 1816, in welchem es angeblich so dunkel gewesen sei. „Wie ein Schleier zog die Aschenwolke um den Erdball“ oder „ein gewaltiger Aschenmantel in der Erdatmosphäre“,[14] traf auf Admont nicht zu.
Niederschlag
In der Rubrik „Witterung“ ist neben der Himmelsbedeckung auch der Niederschlag beschrieben. Regen, Schnee, Hagel und Reif fielen in abnormen Mengen und in lange andauernden Perioden auf das Admonttal. Die immer wieder einbrechenden Kaltfronten, verbunden mit starken Gewittern, potenzierten die Niederschlagsmengen der Jahre 1814 bis 1817. In mancher Chronik aus dem süddeutschen Raum sind die Erscheinungen beschrieben. Die Zusammenfassungen in den Admonter Beobachtungen ergänzen und verstärken die Wetterbilanz der Jahre 1814 bis 1817.[15] Gekoppelt sind sie mit dem Schaden an Obstblüten und Feldfrüchten.
Die Witterung 1814 und die Folgen
Daß das Jahr 1814 ein wahres Mißjahr war, erhellet nicht nur aus obigen einzelnen Daten, sondern bewieß auch leider die Erfahrung; da ein jeder zu Ende desselben seine Vorrathskammer so vorfand, als hätte der Winter vom 1. bis zum letzten Jahrestage gedauert. – Die starken Reife im May verdarben alles, was durch die warme Witterung des Aprils zum Keimen gebracht wurde. Die anhaltenden Regen verhinderten das Einbringen der noch übrigen Feldfrüchte, so wie der Frost des Oktobers die Obsterndte vollends vernichtete.
Es galt also bereits das Jahr 1814 als ein „Mißjahr“.
Die Witterung 1815 und die Folgen
Der vom May bis zum Sept. anhaltende Regen verursachte in diesem Jahre einen gänzlichen Mißwuchs des Getreides, Weines und Obstes. Ersteres blieb weich und wurde allenthalben vom Roste und Brande verunreiniget, letzterer aus Mangel der Wärme unausgebildet. Doch hatten einige Gegenden der Steyermark eine ziemlich ergiebige Fechsung erzielt. Das Futter wurde durch die häufigen Überschwemmungen theils verschlämmt, theils gänzlich zerstört. Nur der Mais gab diesmal eine reichliche Ernte.
P. Gotthard Wisiack dehnte im Rückblick den Befund auf die gesamte Steiermark aus.
Die Witterung im Katastrophenjahr 1816 und die Folgen
Die zwei Wintermonate Jänner und Februar waren heiter.
Im März allerdings begann das Schneechaos: ... Schnee fiel in einer solchen Menge, daß, obwohl durch 2mal eingetretenes Thauwetter dieselbe beträchtlich vermindert wurde, doch am letzten Tage des Monaths alles mit Schnee so sehr bedeckt war, wie in der Mitte des Monaths Jänner.
April: Am 1. d. M. fiel Schnee. Hierauf folgte heitere Witterung bis zum 15. wodurch sich der Schnee in der Ebene gänzlich verlor. An diesem und dem darauffolgenden Tage fiel neuerdings eine beträchtliche Menge Schnee, der jedoch bald durch die darauffolgende schöne Witterung wieder verschwand. Die Folge hievon waren mehrere Reife, die aber, da noch keine Fruchtblüthen vorhanden waren, keinen Schaden verursachten. Der folgende Regen begünstigte das Wachsthum des Futters u. Getreides, das mit Ausnahme des Waitzens gut stand.
Mai: Von 5., an welchem Tage auf den Gebirgen Schnee fiel, bis zum 15. wechselweise Regen, Schnee bis gegen die Ebene, u. Graupenhagel, welcher letztere immer einem Donnerwetter unmittelbar vorherging, oder demselben nachfolgte. – Diese Witterung hielt die Vegetation so sehr zurück, daß erst am 13. Allenthalben die Blüthen und am 22. die Bäume belaubt erschienen. Die 2. Hälfte d. M., wo wir 12 ziemlich heitere Tage hatten, war zwar in dieser Rücksicht günstiger; allein das zu schnelle Schmelzen des Schnees auf dem Gebirge bewirkte das Austreten des Ennsflusses, wodurch abermals viele Wiesen verlettet wurden.
Juni: Wir zählten in diesem Monathe nur 4 heitere und 6 wolkichte, dagegen aber 20 Regentage. Eine Witterung, die der Blüthezeit des Getreides und Einbringung des Futters nichts weniger als günstig war. Da noch überdieß am 28. eine beträchtliche Menge Schnee die Haupt- und Vorgebirge deckte, so erkläret sich der niedere Temperaturschnitt so wie der hohe Grad von Feuchtigkeit in diesem Monathe von selbst.
Juli: Günstige Witterung: 12 heitere, 7 gemischte und 12 Regentage. Übrigens fehlte es auch in diesem Monathe nicht an stürmischer Witterung u. Schnee, womit mehrmalen die hohen und einmal selbst die Vorgebirge bedeckt wurden.
Am 29. Juli 1816 schrieb Albert Muchar an seinen Freund P. Benno Kreil von Admont nach Graz: My Dearest! ... Bald wollen die Hallerbauern erhungern, denn in einigen Häußern kann man das Brot von Sagspänen u. Straßenkoth (ich rede nicht übertrieben!) nicht unterscheiden; bald ertrinken. ... Gestern fand man ein altes Weiblein am Stege der Essling tod liegend, den Kopf im Wasser. ...[16]
August: Von 1. Bis zum 17. größtheils schöne angenehme, mitunter sehr heiße Witterung, die mehrere Donnerwetter zur Folge hatte, worunter jenes am 13. Abends das heftigste war, welches zugleich von Sturm u. Regenschauer, der jedoch keinen Schaden verursachte, begleitet wurde. Von 17. bis zu Ende sehr feuchte Kälte, u. unstete Witterung, wobey die hochen Gebirge mehrmalen beschneyet wurden. Überhaupt zeigten sich 8 schöne, 12 gemischte und 11 Regen-Tage.
September: 8 schöne, 11 gemischte und 11 Regentage zeigten sich in diesem Monath. Bemerkenswerth ist es, daß wir am 12. abends ein sehr heftiges Donnerwetter mit Regenschauer hatten, was in diesem Monath hierorts ganz ungewöhnlich ist. Der große Grad von Feuchtigkeit, der häufige Schnee, der mehrentheils die Gebirge bedeckte, und kalte unangenehme Witterung verursachte, hinderte die Reifung der Früchte. Die Zwetschgen waren mit Ende d. M. noch nicht zur Hälfte reif.
Oktober: Ob wir gleich in diesem Monath nur 5 Regen-, dagegen 10 heitere u. 16 gemischte Tage zählten, so war doch die Witterung der vielen Nebel u. Reife wegen sehr feucht. Doch war sie noch immer günstig genug, um das Grummet und die späth gezeitigten Feldfrüchte unter Dach zu bringen.
November: Bis zum 8. größtentheils gute Witterung. Hierauf Regen, dann Schnee, der sich jedoch am 23., wo Thauwetter einfiel, in der Ebene wieder gänzlich verlor. Worauf theils schöne, theils neblige Witterung folgte. Im Ganzen zeigten sich 5 schöne, 12 gemischte, 4 neblige, 4 Regen- u. 5 Schnee-Tage. Muchar am 9. November über „Hungerzuschuss“: ... zum Trost der Armen Seelen in Sölk, Gams, Tauern, Ardning, Weng etc. sind quartaliter 25 und 30 fl. Hungerzuschuss in Gnaden.[17]
Dezember: Es zeigten sich in diesem Monath 9 heitere und ebensoviele Schneetage. An den übrigen 13 Tagen war die Witterung theils neblig, theils gemischt. Außer 2 Stürmen am 5. u. 19. war die Witterung überhaupt sehr ruhig, einigemal empfindlich kalt.
Die extremen Klima-Schwankungen zwischen heiterem (und sogar heißem) Wetter und starkem Niederschlag setzten also der Landwirtschaft zu, nicht so sehr eine Dauerkälte.
Die Witterung 1817 und ihre Folgen
Die Zusammenfassung im Heft von 1817 lautet: Gleichfalls ein Mißjahr, das durch die Witterung vom vorhergehenden Herbste sowohl als des diesigen ganzen Jahres gegründet ist. Der frühe vor dem Froste gefallene Schnee verursachte, daß viel Wintersaat erstickt ... ist. Die kalten Winde, der anhaltende Regen in den Monathen May und Juny hemmten allen Wachsthum der Früchte. Nur das Futter (= Gras) wuchs dießmahl reichlicher und in guter Qualität im Monat July. Der Wein war auch dießmahl in jeder Rücksicht verunglückt. ...
So stieg der österr. Metzen Weitzen von 23 auf 44 f WW. Korn von 20 f auf 36. Gersten von 12 f auf 26 f. Hafer von 6 f. auf 10 f. ... Die gute Ernte des Kukuruz und die noch reichlichere der Kartoffel dürften die allgemein herrschende Noth wenigstens doch zum Theil lindern.
Die Kartoffel war als Speisefrucht bereits üblich
1817 wird also die Kartoffel als eine übliche Feldfrucht angeführt (vgl. Votivtafel). Die Aussage, dass die Kartoffel erst nach Erzherzog Johanns „Kartoffelunterstützungsanstalt“ und damit von ihm „erst nach der Hungerkatastrophe von 1816/17 [...] als Volksnahrungsmittel der Steirer eingeführt wurde“,[18] ist stark verkürzt. Denn im Admonttal wurde sie bereits lange vorher angebaut, schon 1770 stand sie auf dem Speiseplan des Stiftspersonals und der Geistlichen.[19] 1788 wurde per Hofdekret eine Geldprämie von zwei Gulden für den Anbau von Kartoffeln insbesondere im Bergland in Aussicht gestellt.[20] Paul Adler aus Mühlreith bei Mitterndorf erhielt im Jahre 1805 die vom Kaiser für den Kartoffelanbau ausgesetzte Prämie von 50 Gulden. Er konnte neben dem Eigenverbrauch auch noch etliche kleinere Partien gewinnbringend verkaufen.[21]
Die Wetterwallfahrt nach Frauenberg
Verstärkt zeigt sich das Zusammenfallen von heftigem Niederschlag mit sensiblen Wachstumsphasen der Feld- und Obstfrüchte im Jahre 1817. Nach dem Muster der obigen monatlichen Beschreibungen ist ein Text zu einer Votivtafel verfasst, welche die St. Gallener Bauern und Holzknechte der Muttergottes am Frauenberg bei Admont stifteten:
Besonders das letztere (Jahr) waren die schlimmsten Zeiten, da war es, daß einmal das Frühjahr ganz herrlich sich anließ, alle Saaten u. Pflanzungen berechtigten so zu günstigsten Hoffnungen u. guter Ernte, ganz plötzlich kam ein von Ostern bis 1. Mai dauernder, ununterbrochener Schneefall u. vernichtete Alles. Die Noth stieg aufs Höchste. Fünf Personen ernährten sich vom Gesotte aus Krummet. Die Kartoffeleinsaat wurde theilweise als Nahrungsmittel ausgegraben u. halbverweset von den Hungernden verzehret. Brod war für Viele ein Leckerbißen geworden. Haber, Weizen, Wicken als einzige Nahrung waren schier unerschwingbar u. rar, der Wucher benutzte wie zur Drang-, Kriegs- u. Nothzeit stets seine schädlichsten Ausbeuten, u. es kostete z. B. 1 Metzen Weizen 50–60 Gulden. Zu allen dem waren an der Spitze einiger Gemeinden so genannte Viertelsmänner, welche von außen kommende milde Spenden in Nahrungsmittel u. Geldform unterschlugen, ja noch mehr diese Elenden gaben nur mit gutem großem Nutzen für ihren Blutssäckel der darbenden Menge ab, u. auf die Weise wurde die Noth erst recht eine große Bitterkeit.
Die Orte dieser schlechten Verwalter sind heute noch als fluchbeladen gezeichnet. Nun diese Zeit der großen Heimsuchung war noch ein weit zu wenig, ein neuer Sommerwinter kam u. so trostlos, ja alles Keimende überhaupt tödtend. Die Prozession wurde in dem über kniehochen pfadlosen Schnee selbiges Jahr unternommen. Der hochw. H. Dechant a.d. Spitze, die Bauern mit der rothen, die Holzknechte mit der grünen Fahne einzeln hintereinander wateten die Andächtigen tief im Schnee über die Buchau nach dem lieben Gnadenorte. ...
Spenden
Die Kartoffel-Verteilungs-Anstalten oder Kartoffelunterstützungsanstalten des Prinzen Johann aus Tragöss sind bekannt, weniger das Wirken durch Geld- und Sachspenden. Auch Herrschaftsinhaber wie die Innerberger Hauptgewerkschaft oder das Stift Admont versuchten die Not der Bevölkerung durch Spenden zu vermindern (siehe oben zum November 1816). Das Gubernium Steiermark begnügte sich damit, derartige Spendenaktionen zu loben, setzte aber die Körnerablieferungen an den Staat unter allen möglichen Bedingungen und Formalismen aus und verbot das Branntweinbrennen aus Getreide.[22]
Folgen im Admonttal
Die direkten Folgen waren finanzieller Art, wie der Stiftschronist Jakob Wichner über das Jahr 1816 berichtete: Dieses Jahr herrschte allgemeiner Mißwachs, in Folge dessen Theuerung und Noth. In Admont stellten sich die Preise (in W.W.) für einen Ennsthaler Metzen Weitzen 100 Gulden, Roggen 90, Hafer 23, Gerste 60, Kartoffeln 16 Gulden. Eine weitere Folge war die Unfähigkeit des Stiftes und der Unterthanen, die Steuern zu entrichten. Die Ausstände an Steuern und herrschaftlichen Gaben bei den Stiftsherrschaften beliefen sich Ende October auf 360.000 Gulden.[23]
Dass Bauern aber gepfändet worden seien, dass sie in der Weststeiermark Hab und Gut für einen Laib Brot verkauft hätten,[24] trifft auf das Admonttal nicht zu. Vielmehr wurde in den Missjahren 1815 bis 1817 der reluierte (in Geld abgelöste) Feldzehent von den Haller Bauern anstandslos bezahlt oder naturaliter abgeliefert.[25]
Eltern setzten ihre Kinder aus. Mangelkrankheiten wie Pellagra und Hungertyphus rafften Tausende dahin.[26] Es ist durchaus anzunehmen, dass in der Steiermark die Sterblichkeit anstieg. Dies kann in den Pfarrmatriken der betreffenden Orte überprüft werden. Auf die Pfarre Admont trifft es allerdings nicht zu: 1815 starben zwölf Säuglinge bei insgesamt 53 Verstorbenen, 1816 16/62, also leicht steigend, im Hungerjahr 1817 mit 13/57 leicht fallend, aber im „normalen Jahr“ 1818 mit 15/72 wieder steigend.
Dass soziale Unruhen oder sogar Tumulte ausgebrochen seien,[27] kann für das Herrschaftsgebiet Admont (also einen großen Teil der Obersteiermark) ebenfalls nicht bestätigt werden.
Ab 1818 „Segensreiche Jahre“?
Nach den Schreckensjahren 1816 und 1817 folgten segensreiche Jahre, stellt Franz Xaver Hlubek in seiner „Landwirtschaft Steiermark“ fest.[28] Dies trifft auf die Landwirtschaft zu, nicht aber auf die Wirtschaft im Herrschaftsbereich des Stiftes Admont. Wegen Misswirtschaft wurde Abt Gotthard Kuglmayr abgesetzt. Jahrelang drohte dem Stift die Auflösung aus wirtschaftlichen Gründen. Erst zwei Jahrzehnte später wurden ihm die ausstehenden Steuern erlassen, womit ein volkswirtschaftlicher Aufschwung im Admonttal einsetzte.
1818 Ende der Meteorologischen Aufzeichnungen
Jene fünf Hefte, in welche Professor P. Gotthard Wisiack in der Hungerszeit gewissenhaft seine Beobachtungen eintrug, sind zwar erhalten, gerieten aber in Vergessenheit. P. Gotthard wurde Verwalter im Eisenwerk Klamm und starb 1840. Erst 1846 wurden die Beobachtungen von verschiedenen Fratres im Stift weitergeführt, oft unvollständig, meist ohne Jahres- oder Monatsübersicht.
Zu danken ist dem Naturwissenschafter Pater Gotthard, hat er doch, vielleicht ohne es zu ahnen, erstmals in der Steiermark über vier Jahre lang vollständige und detaillierte Wetterbeobachtungen niedergeschrieben. Damit hat er einen äußerst wichtigen Beitrag zur tatsächlichen Wettersituation der „Hungerjahre“ in der Steiermark geleistet!
Anmerkungen
[1] Vgl. besonders: Wolfgang Behringer, Tambora und das Jahr ohne Sommer. Wie ein Vulkan die Welt in die Krise stürzte (München 2016) [in Folge: Behringer, Tambora).
[2] URL: https://www.zamg.ac.at/cms/de/images/topmenu/medien/wetterstationen/kremsmuenster-temperaturreihe/view. Darin auch Genaueres über die Geschichte der Sternwarte Kremsmünster [URL: https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/news/250-jahre-wetterbeobachtung-an-der-sternwarte-kremsmuenster].
[3] Stiftsarchiv Admont Ff-151, Meteorologische Beobachtungen 1814–1818.
[4] Vgl. Josef Hasitschka, Erlesenes Gesäuse (Alland 2012), 146.
[5] Stiftsarchiv Admont Aaa-24-n, Brief Muchars vom 2. August 1814.
[6] Robert Engele, Wie die Erdäpfel in die Steiermark gekommen sind. In: austria-forum (8. 10. 2015). Online-Publikation ( https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Damals_in_der_Steiermark/Wie_die_Erd%C3%A4pfel_in_die_Steiermark_gekommen_sind) [in Folge: Engele, Erdäpfel].
[7] Vgl. Daniel Lingenhöhl, Erste Augenzeugen des unbekannten Vulkanausbruchs. In: spectrum.de (19. 9. 2014). Online-Publikation ( https://www.spektrum.de/news/erste-augenzeugen-des-unbekannten-vulkanausbruchs/1309553)
[8] https://www.zamg.ac.at/cms/de/images/topmenu/medien/wetterstationen/kremsmuenster-temperaturreihe/view: Jahresmitteltemperatur Kremsmünster.
[9] Alexandra Kofler, In diesem frostigen Sommer gab es eine Hungersnot. In: Kleine Zeitung Weststeiermark (11. 6. 2017), 34f. [in Folge: Kofler, Hungersnot].
[10] Wikipedia-Artikel „Jahr ohne Sommer“ (URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Jahr_ohne_Sommer)
[11] URL: https://www.wetterblog.at/beitraege/das-jahr-ohne-sommer/
[12] Kofler, Hungersnot 35.
[13] Johann Wolfgang Goethe, Briefe 1812 (Weimar 1812).
[14] Engele, Erdäpfel.
[15] Stiftsarchiv Admont, eingelegt in das Heft 1818 der Meteorologischen Beobachtungen.
[16] Stiftsarchiv Admont, Mucharbrief vom 29. Juli 1816.
[17] Stiftsarchiv Admont, Mucharbrief vom 9. November 1816.
[18] Engele, Erdäpfel.
[19] Vgl. Josef Hasitschka, Admonter Klosterkochbuch. Barocke Rezepte und Geschichten aus dem Stift Admont (Admont 1998), 69.
[20] Hermann Baltl/Paul Adler. Ein Leben für den bäuerlichen Fortschritt (Graz 1984).
[21] Waltraud Hein, Kartoffelanbau am Fuße des Grimmings. In: Da schau her. Die Kulturzeitschrift aus Österreichs Mitte (3/2018), 21.
[22] Verschiedene Currenden des Kreises Judenburg zwischen 1816 und 1818.
[23] Jakob Wichner, Geschichte des Benediktinerstiftes Admont, Bd. 4 (Graz 1880), 391.
[24] Kofler, Hungersnot 35
[25] Stiftsarchiv Admont, Zehentzahlungen in Admont Ww (Schafferamt) o. Nr. Protokoll über Zehentablösung 1807–1817.
[26] Kofler, Hungersnot 35.
[27] Behringer, Tambora; Kofler, Hungersnot 34.
[28] F. X. Hlubek, Die Landwirthschaft des Herzogthumes Steiermark als Festgabe für die Mitglieder der X. Versammlung deutscher Land- und Forstwirthe, nach den Eingaben der Filialen der k. k. steiermärkischen Landwirthschafts-Gesellschaft, im Auftrage Seiner Kaiserlichen Hoheit des Erzherzogs Johann Baptist zusammengestellt (Graz 1846), 41.
OStR Prof. Mag. Dr. Josef Hasitschka, geb. 1946 in Schladming, Studium der Geschichte und Germanistik. Von 1979 bis 2009 AHS-Lehrer für Deutsch und Geschichte am Stiftsgymnasium Admont. Als Erwachsenenbildner für historische Landeskunde im Ennstal tätig. Korrespondent der Historischen Landeskommission für Steiermark seit 2003.
Forschungsschwerpunkte: Siedlungs-, Alm-, Wald-, Tourismus- und Montangeschichte