Vom Ländle in die Grüne Mark: Hugo von Montfort (1357–1423) und seine Spuren in der Steiermark
Martin Moll
Einleitung
Die seit Längerem geführten Debatten um die Benennung öffentlicher Orte nach Personen, die nach den Maßstäben heutiger politischer Korrektheit (angeblich oder wirklich) untragbar sind, haben auch die steirische Landeshauptstadt Graz nicht verschont. Vom Gemeinderat eingesetzt, nimmt hier seit 2014 (!) eine Expertenkommission alle theoretisch infrage kommenden, nahezu 800 topografischen Bezeichnungen im Stadtgebiet unter die Lupe. Sämtliche Namensgeber von Straßen, Plätzen, Parks und sonstigen Örtlichkeiten, auch unverdächtige wie Mozart, Beethoven oder Goethe, sollen den Passanten durch die Straßenschilder ergänzende Zusatztafeln vorgestellt werden, deren Text auf magere 365 Anschläge, in etwa vier Zeilen, begrenzt ist: eine schwierige Aufgabe für die Textgestalter, eine beachtliche Investition seitens der Stadt und ein Anlass zum Jubeln für die Schilderhersteller.
Im Zuge ihrer Recherchen stieß die Expertenkommission, der der Autor dieses Beitrags seit ihrer Gründung angehört, auf einen der raren Vorarlberger im Stadtbild: die Montfortstraße in Graz-Puntigam, seit 1930 benannt nach Hugo Graf von Montfort. Während der Familienname im Ländle jedem Volksschüler bekannt ist, trifft auf die Steiermark das Gegenteil zu – obwohl der bei Bregenz geborene Hugo hier lange lebte und mit der Grünen Mark auf vielerlei Weise verbunden war. Daran erinnern neben jener in Graz weitere Montfortstraßen in Frohnleiten und Bruck an der Mur, wo Hugo im dortigen Minoritenkloster begraben ist.
Hugo von Montforts Leben, Werk und Wirken
Hugos Leben und Werk sind in biografischen und mediävistischen Lexika ausführlich dargestellt, sodass hier der Hinweis auf den von der Grazer Straßennamenkommission formulierten Text der Zusatztafel genügt: „Hugo Graf von Montfort 1357–1423. Schriftsteller, Politiker. Der in Vorarlberg geborene Hochadelige begründete 1373 durch Heirat den steirischen Zweig der Montforter. Mit Besitzungen in der Steiermark und als Gefolgsmann der habsburgischen Herzöge hatte er zentrale Ämter inne, so war er 1413–1415 Landeshauptmann der Steiermark. Bekannt ist Montfort zudem für seine didaktisch-lyrischen Dichtungen.“ Aus steirischer Sicht, darauf deutet das Wörtchen „zudem“ hin, ist Hugo mithin primär als Inhaber wichtiger Ämter in Erinnerung, erst sekundär wegen seines literarischen Schaffens. Allerdings und im Widerspruch dazu nennt die Kurzcharakteristik den Schriftsteller vor dem Politiker. Er war beides, was ihn von den meisten seiner zeitgenössischen Dichterkollegen unterscheidet.
Wenn wir über Hugo als Mensch, Politiker und Autor für mittelalterliche Verhältnisse außerordentlich gut unterrichtet sind, so liegt dies an seiner Erwähnung in mehreren hundert Urkunden sowie daran, dass er seine Dichtung in einer von Lohnschreibern verfassten Prachthandschrift auf 54 Pergamentblättern verewigen ließ, die heute die Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt. Als die mittelalterliche Dichtung im 19. Jahrhundert hoch im Kurs stand, war Hugos Beitrag somit leicht zugänglich und obendrein nicht sehr umfangreich; man musste seine Texte nicht erst mühsam rekonstruieren oder gar spekulativ erschließen. Da kam es auf die ästhetische Qualität des Überlieferten weniger an. Das Verfasserlexikon von 1936 kritisiert an Hugos Werk die „ungezählten Wiederholungen und feststehenden Redensarten“; in der Neuausgabe von 2010 heißt es, es seien „Reimung und Versfüllung noch immer von lässiger Ungenauigkeit; der Sprachstil ist wenig durchgeformt“; bei Hugo handle es sich um einen „dilettierenden Adligen“. Auch für Herbert Zemans „Geschichte der Literatur in Österreich“ ist Hugo der „hochadelige Dilettant“, dessen „ästhetisch großteils wenig befriedigende Reimdichtung“ auf uns gekommen ist. „Viele seiner Verse holpern jämmerlich daher“, was auf „seine poetisch schwachen Kräfte“ gepaart mit seiner Dauerbelastung als Politiker, Soldat und Grundherr zurückzuführen sei. Innovativ sei allenfalls, dass Hugo die eigenen Gattinnen zum Anbetungsobjekt seiner Minnelieder erkor. Ein Schelm, wer dabei denkt, er gelte gerade deswegen als der letzte Minnesänger! Immerhin billigt die Fachliteratur dem Poeten zu, er sei sich seiner Grenzen bewusst gewesen und habe die Zusammenstellung seiner 38 gesicherten, im Heidelberger Codex teilweise mit Noten versehenen Lieder, Briefe und Reden bloß für den Hausgebrauch, nicht für ein größeres Publikum veranlasst.
Aus den Quellen wissen wir, dass die (nicht mit Liebe gleichzusetzende) Heiratspolitik den Alemannen Hugo in die Steiermark führte. Noch nicht 17jährig heiratete er 1373 die zwei Jahre ältere Margaretha Erbgräfin von Pfannberg, die kinderlos verwitwete Gräfin von Cilli (heute Celje in Slowenien), die unter anderem die Herrschaft Pfannberg bei Frohnleiten in die Ehe einbrachte, kaum dass ihr Trauerjahr abgelaufen war. Lukrative eheliche Bande zu den Pfannbergern hatte bereits Hugos Vater Wilhelm III. von Montfort zu Margarethas Mutter geschlossen. Nach Margarethas Tod um 1388 ging Hugo eine zweite Ehe mit der um 1400 verstorbenen Clementia von Toggenburg ein, bevor er 1402 Anna von Neuhaus und Stadeck ehelichte, die seinen ansehnlichen steirischen Besitz durch weitere Güter erweiterte.
Hugo erwies sich als gewandter Politiker in stürmischen Zeiten (Schisma, Türkeneinfälle, habsburgische Erbstreitigkeiten), der stets auf ein gutes Einvernehmen mit den habsburgischen Landesherren achtete – die daraus resultierenden Aufträge bescherten ihm allerdings ein im wahrsten Wortsinn bewegtes Leben. Nicht umsonst heißt es in einer seiner Dichtungen entschuldigend, er habe rund ein Sechstel seines Werks im Sattel, also unter suboptimalen Bedingungen, verfasst. Das kann man durchaus glauben, nahm Hugo doch 1377 am Kreuzzug Herzog Albrechts III. gegen die Preußen teil und führte 1381/82 im Krieg Herzog Leopolds III. gegen Franz Carrara von Padua ein Entsatzheer nach Treviso. Einige Jahre später wurde er österreichischer Landvogt in Thurgau, Aargau und auf dem Schwarzwald, Mitte der 1390er Jahre Hofmeister Herzog Leopolds IV. Ab etwa 1400 zwangen ihn die unruhigen Zeiten und seine inzwischen erworbenen steirischen Besitzungen zum nur mehr selten unterbrochenen Aufenthalt in der Grünen Mark, wo er sich an der Bekämpfung einfallender Feinde beteiligte und 1407 als Führer des Obdacher Bundes um den Schutz der Rechtsverhältnisse bemüht war. Es spricht für das Vertrauen der habsburgischen Landesherren, aber auch für jenes des steirischen Adels, dass der aus dem Ländle „Zugereiste“, offenbar rasch sesshaft gewordene und akkulturalisierte Hugo seine Karriere mit der Würde des Landeshauptmanns 1413–1415 krönen konnte, gepaart mit seiner kurzen Teilnahme am Konstanzer Konzil 1414.
Rezeption
Es ist kein Zufall, dass die Steiermark bei der Wiederentdeckung dieses letzten Minnesängers an vorderster Front stand. Bereits im 7. Jahrgang der „Mittheilungen“ des 1850 gegründeten Historischen Vereins für Steiermark erschien ein längerer Artikel, der Hugo und sein Werk umfassend würdigte. Verfasst hatte ihn Karl Weinhold (1823–1901), 1851 bis 1861 Professor an der Universität Graz und einer der wichtigsten Altphilologen und Mediävisten seiner Zeit. Der aus Preußen stammende Protestant Weinhold ist unverdächtig, von Steiermark- oder Vorarlberg-Patriotismus angetrieben gewesen zu sein.
Die Universität Graz ist dieser frühen Beschäftigung mit Hugo bis heute treu geblieben, denn der Extraordinarius am Institut für Germanistik, Wernfried Hofmeister, seit 2019 obendrein Geschäftsführender Sekretär der Historischen Landeskommission (HLK), befasst sich seit vielen Jahren mit dem mittelalterlichen Dichter. Hofmeister hat sogar eine eigene, Hugos Werk gewidmete Webseite eingerichtet, dessen Dichtung neu herausgegeben und vielfach versucht, Hugo und seine Zeitgenossen dem heutigen Publikum, nicht zuletzt mittels eines digitalen Archivs, näherzubringen. Daher nimmt es nicht Wunder, dass Hugo in dem von besagter HLK 2018 herausgegebenen, dem Spätmittelalter gewidmeten Band 4 der „Geschichte der Steiermark“ im Artikel über die Literatur umfassend gewürdigt wird – mit einer weitaus freundlicheren Beurteilung seines dichterischen Könnens als in den zitierten Literaturgeschichten. Auch in anderen Beiträgen des besagten Bandes kommt Hugo als einflussreicher Grundherr vor, wenngleich sich die bald 170jährige Beschäftigung mit ihm an der Universität Graz und im Historischen Verein für Steiermark mehr mit dem Dichter als mit dem Politiker befasst (hat).
Reizvoll ist ein Blick auf die unterschiedlichen Einschätzungen, wie die von Hugo angeheuerten Schreiber seinen alemannischen Dialekt verändert haben. Das Verfasserlexikon von 1936 spricht von einer „österreichisch gefärbten“ Überlieferung; die Neuausgabe von 2010 verzeichnet eine steirische Färbung und Zeman 2004 eine solche ins Südbairische. Seit einigen Jahren kann sich jeder Interessierte durch das Anhören einer von Wernfried Hofmeister mit Fördermitteln des Landes Steiermark produzierten Audio-CD „Die Lieder des Hugo von Montfort“ (Gesang, Schoßharfe und Drehleier) selbst ein Bild machen.
Kehren wir zu den steirischen Montfortstraßen zurück, von denen jene in Bruck an der Mur sich problemlos aus der dortigen Grablege Hugos erklärt, jene in Frohnleiten (etwa auf halber Strecke zwischen Graz und Bruck gelegen) aus der nur mehr als Ruine erhaltenen dortigen Festung Pfannberg, die Hugo samt der dazugehörigen Herrschaft erheiratet hatte. Ein neuzeitliches Fresko zeigt Hugo am Tabor in Frohnleiten. In der dortigen Stadtpfarrkirche ist seit 2018 eine dem Dichter gewidmete Modul-Ausstellung zu besichtigen.
Laut Auskunft der Stabsstelle Stadtentwicklung und strategische Projekte der Stadt Bruck ist die Benennung der Hugo-von-Montfort-Gasse nicht exakt, jedoch auf nach 1928 zu datieren, da in einem Stadtplan dieses Jahres die Verkehrsfläche noch Viktor Adler Gasse hieß, benannt nach dem Ende 1918 verstorbenen Gründer der österreichischen Sozialdemokratie. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass diese während der sozialdemokratischen Dominanz im Bruck der Zwischenkriegszeit erfolgte „rote“ Benennung nach der Errichtung der autoritären Herrschaft 1933/34 revidiert wurde, sodass der politisch unverdächtige Hugo zum Zug kam. Da Bruck während des Februaraufstands 1934 einen der Brennpunkte der Kämpfe bildete, war nach deren Beendigung der Sozialdemokrat Adler nicht mehr tragbar. Eine Rückbenennung nach 1945, als neuerlich die SPÖ die Brucker Kommunalpolitik bestimmte, unterblieb als wohl zu aufwendig und für die Anrainer lästig. Nach Adler ist jedoch eine Straße in der Nachbargemeinde Kapfenberg benannt. In Bruck hat Wernfried Hofmeister 2012 im Rahmen seines Projekts „Steirische Literaturpfade des Mittelalters“ einen rund einen Kilometer langen Rundweg mit Stationen aus Hugos Leben und Werk gestaltet; er führt von seiner Grablege auf das Plateau des Schlossbergs und auf einer anderen Route zurück.
Die Grazer Montfortstraße liegt im Süden der Stadt in der Nähe des Zentralfriedhofs, nicht weit entfernt von der Brauerei Puntigam im gleichnamigen Stadtbezirk. Als die kleine unscheinbare Straße 1930 ihren Namen erhielt, gehörte dieser Bereich noch zum Bezirk Gries. Erst viel später erfolgte eine Bereinigung der Bezirksgrenzen, durch welche die Straße in den 1988 von Straßgang abgespaltenen, neuen Bezirk Puntigam gelangte. Hugo hatte im Südwesten von Graz Besitzungen, was einen Anknüpfungspunkt liefern könnte. 1930 war die für das 19. Jahrhundert charakteristische, romantische Verklärung des deutschen Mittelalters längst abgeklungen. Ungewöhnlich ist die Benennung nicht nur deshalb, sondern weil 1930 der Sozialdemokrat Vinzenz Muchitsch Bürgermeister der Stadt war. Laut Amtsblatt der Landeshauptstadt Graz (Jahrgang XXXIV, Nr. 5 vom 15. Mai 1930, S. 93) ging es in der Gemeinderatssitzung vom 27. März 1930 um die Benennung einiger bisher namenloser Straßenzüge im Bereich der neu erbauten Staudacher-Wohnsiedlung. Für einen davon schlugen der Stadtrat und die III. Sektion des Gemeinderats die Namensgebung „nach dem steirischen Dichter des 14. Jahrhunderts“ (sic!) vor; ein weiterer dort Geehrter war Ottokar von Horneck, ein Reimchronist des 13. Jahrhunderts. Sämtliche Vorschläge wurden ohne Debatte angenommen.
Für die Grazer Straßennamenkommission war die Montfortstraße jedenfalls in zweifacher Hinsicht ein Glücksfall: Das Leben des Namenspatrons ist gründlich erforscht, sodass die Erarbeitung einer Synopse für die Zusatztafeln keinen Schwierigkeiten begegnete. Vielleicht noch wichtiger ist: Was immer Hugo von Montfort zeit seines Lebens gefehlt haben mag (in seiner Dichtung geht er wiederholt darauf ein und bittet seine Leser, bei Gott ein gutes Wort für ihn einzulegen): Er war naturgemäß kein Nazi, kein Antisemit und kein geistiger Wegbereiter von derlei Ungeist. Folglich sind die Montfortstraßen als materialisierte Erinnerung an einen in die Steiermark verschlagenen Vorarlberger ungefährdet. Es mögen noch viele Jahre vergehen, bis der Montforter als alter weißer Mann, Sexist und Ausbeuter seiner Untertanen der zeitgeistigen Cancel Culture zum Opfer fällt. Mit Hugos Leitsprüchen können die Steirer, in deren Adern bekanntlich kein Himbeersaft fließt, gut leben: „Je klüger ein Mann ist, desto höher hält er eine ehrsame (Ehe-)Frau“ und „lust ist der minne zunder.“
Literatur
Wolfgang Stammler (Hg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band II: Der von Gabelstein – Kyeser, Konrad (Berlin–Leipzig 1936), Sp. 518–526.
Kurt Ruh (Hg.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Band 4: Hildegard von Hürnheim – Koburger, Heinrich (Berlin–New York 2010), Sp. 243–251.
Herbert Zeman (Hg.), Geschichte der Literatur in Österreich. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Band 2: Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273 bis 1439. II. Halbband: Die Literatur zur Zeit der habsburgischen Herzöge von Rudolf IV. bis Albrecht V. (1358–1439) (Graz 2004), 397–412.
Wernfried Hofmeister (Hg.), Hugo von Montfort: Das poetische Werk (Berlin 2005).
Klaus Amann/Elisabeth de Felip-Jaud (Hgg.), Aller weisheit anevang Ist ze brúfen an dem aussgang. Akten des Symposiums zum 650. Geburtstag Hugos von Montfort (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe 76, Innsbruck 2010).
Winfried Stelzer, Literatur, Geschichtsschreibung und Hagiographie. In: Gerhard Pferschy (Hg.), Die Steiermark im Spätmittelalter (= Geschichte der Steiermark 4, Wien–Köln–Weimar 2018), 551–582, hier 559–562.
Steirische Literaturpfade des Mittelalters: Bruck an der Mur. URL: Bruck an der Mur - Steirische Literaturpfade des Mittelalters (uni-graz.at) (12. 4. 2022)
Univ.-Doz. Dr. Martin Moll, Studium der Geschichte und Germanistik an der Karl-Franzens-Universität in Graz, 2003 Habilitation für Neuere und Zeitgeschichte, Univ.-Dozent an der Universität Graz. Mitglied der Historischen Landeskommission.
Forschungsgebiete: Geschichte des Zeitalters der Weltkriege sowie der Spätphase der Habsburgermonarchie, Medien- und Propagandageschichte.