Eine "Mascara" für die Königin – Die Aufführung eines elitären Tanzfestes anlässlich der Hochzeit von Erzherzogin Anna von Innerösterreich mit König Sigismund III. von Polen im Jahr 1592
Gudrun Rottensteiner
Im höfischen Leben der Spätrenaissance zählte die Hochzeit hochrangiger Fürsten und Fürstinnen zu den politisch bedeutendsten Festen, deren durchkomponiertes und aufwendiges Zeremoniell als repräsentative Botschaft arrangiert und oft in Form von gedruckten Berichten für die Nachfahren bewahrt wurde. Das Tanzen war dabei nicht bloß Zeitvertreib, sondern ein wesentlicher Bestandteil der höfischen Prachtentfaltung im Dienst fürstlicher Selbstdarstellung. Im Verständnis der Zeit spiegelte sich in der Ordnung des Festes die Ordnung der Welt, des Staates, des Kosmos, und das Festzeremoniell machte diese Ordnung für die Teilnehmenden sichtbar. Die Festintendanten inszenierten diese Ordnung höchst wirkungsvoll u. a. mit Hilfe des Tanzes: Mit seinen rhythmisch abgemessenen Schritten und den geometrischen Formen der Choreographien war der Tanz die prädestinierte Kunstform dafür, wie sie sich im ballo, im ballet de cour, in der masque oder in der mascara (wie sie an den habsburgischen Höfen genannt wurde) manifestierte. In diesem elitär höfischen Entertainment vereinigten sich alle Künste zu einem komplexen Bühnenspektakel, in die die Zusehenden eingebunden waren und das seine Protagonisten und Protagonistinnen aus der Hofgesellschaft rekrutierte. Die Mascara war immer ein gesellschaftliches Ereignis, nie ein abgeschlossenes musikdramatisches Werk, und der Tanz war der eigentliche Träger, der Nukleus dieser Form der höfischen Unterhaltung. Michael Praetorius definiert in seinem Syntagma Musicum 1619 den Begriff Mascharada: ist off deutsch ein Mummery/ wenn ihrer etliche mit Larven und Kleidern sich vermummen/ und also in Pancketen/ und führnehmer Personen Collationibus mit einer Music erscheinen: Und wird auch derselbige Gesang und Musica daher Mascherata oder Maschara genant. Welche Gesänge/ ob sie gleich ihre sonderliche Melodiam haben/ und gewisse Taentze seyn/ werden sie doch allezeit in Mummerey Kleidern/ und in Maschen/ oder wie man es nennet/ in Larven verichtet: Und gehören zu den Balletten.[1]
Auch der innerösterreichische Habsburgerhof in Graz war mit dieser Form der aristokratischen Unterhaltung vertraut, und im Rahmen der Hochzeitsfeste der Erzherzöge und Erzherzoginnen war sie fester Bestandteil der Feierlichkeiten. Schon 1590 berichtet Sebastian Westernacher in einem Brief an Erzherzog Ernst von der Aufführung einer Mascara in Graz. Erzherzogin Maria hatte zu einer Vorführung in privatem Kreis geladen, in der ihre älteste Tochter Anna zusammen mit ihrem Frauenzimmer – alle in kostbaren Kostümen aus blauem Atlas und goldenen Schleiern gekleidet und mit Bändern und Fackeln ausgestattet – einen schönen, wohlgeordneten Tanz präsentierte.[2]
Die Vermählung von Erzherzogin Anna mit König Sigismund III. von Polen 1592 war die erste Hochzeit einer am Grazer Hof aufgewachsenen Erzherzogin, und es galt den europäischen Höfen zu zeigen, dass die junge Braut die einer Fürstin angemessene Erziehung erhalten hatte. Erzherzogin Maria brachte ihre älteste Tochter nach Polen, und im Reisehofstaat, der Anna in ihre neue Heimat begleitete, befand sich der erzherzogliche Tanzmeister Ambrosio Bontempo[3], dessen Aufgabe es war, die Tänze für die Hochzeitsfeierlichkeiten einzustudieren und Anna auf ihre tänzerischen Auftritte vorzubereiten. Am 4. Juni, fünf Tage nach Annas feierlicher Krönung, wurde eine von König Sigismund angeordnete kostspielige und personenaufwendige Mummerei aufgeführt, die mehrere Quellen ausführlich beschreiben.[4] Dafür wurde ein Tanzsaal auf dem Gelände des Schlosses in Krakau aufgebaut, ein Holzbau, dessen Innenraum kostbar ausgestaltet war. Nachdem die geladenen Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, wurde ein hochaufragender Turm mit Glasfenstern hereingefahren und in der Saalmitte postiert, dem nach und nach alle Akteure entstiegen.[5] Das bedeutete, dass über zwei Treppen insgesamt etwas über 100 Personen herabkamen. Als erster ein capitano, der alle nachfolgenden Personengruppen aufzurufen hatte. Seine Aufgabe war es, den Anwesenden die Szenen und deren Bezug zum Anlass vorzustellen und die Tänzer und Tänzerinnen einzuführen.[6]
Dem capitano folgten Musiker und Fackelträger, danach eine Gruppe italienischer Komödianten, die die Festgäste mit akrobatischen Tanzeinlagen und italienischen Späßen unterhielten. Es folgte eine relativ große Gruppe von Schweitzern, eine Art Ehrengarde in kostbarer Livree mit Degen, Lanzen, Trommeln und Pfeifen, die sich am Rand der Tanzfläche postierten. Danach eine Gruppe von Musikern mit allerlei Instrumenten: [...] nach disem khamen herab acht Musizi in langen claidern, die sangen gar lieblich zusamen, hernach khamen Ir Sechzechen, mit allerlay Instrumenten, als Zinckhen, Busaunen, Lautten, die stimeten alle mit den vorigen zusamen, im Sall auf und nider gehent, unnd dannzent, [...].[7] Die Musiker waren also aktiv in das Bühnengeschehen eingebunden. In kostbaren Kostümen hatten sie den Abend spielend und tanzend mitzugestalten. Getanzt wurde auf „welsche“ Manier – Gagliarden, Correnten, Spagnoletto werden in den Beschreibungen namentlich als Tänze genannte. Dieser langsame Einzug der unterschiedlichen Gruppen von Musikern, Komödianten, livrierter Garde und Fackelträgern wurde sorgfältig zelebriert. Er führte das Publikum auf den eigentlichen Höhepunkt hin, den Auftritt des Königs und der adeligen Tänzer und Tänzerinnen: Dann zulezte zwelf personen in mascarada verkleidet, sechs in manns- und sechs in weibsklaidern darunter der konig auch selber. Diese Gruppe von Höflingen hat fast bey einer ganzen stunden einen danz, in dem sie sich aritmettischer proportionen undereinander vormischt und wieder zerteilet, artlich gedanzt.[8]
Dieser Tanz bildete das Kernstück der Mascara, und ein bedeutendes Charakteristikum waren die hier angesprochenen „arithmetischen Proportionen“ – ineinander übergehende geometrische Figuren und Muster. Praetorius definiert diesen Hauptteil der Mascara in seinem Traktat wie folgt: Die Figuren/ welche die vermascarirten Personen im stehen/ tretten/ auch umbwechßlung der oerther/ und sonsten uff Buchstaben in eim Ringe/ Cranze/ Triangel/ Vierecket/ Sechsecket/ oder andere Sachen formieren/ und sich durch einander winden/ darauff dann die ganze Invention und Essentia des Ballets bestehet und gerichtet ist.[9] Die korrekte Ausführung der Bewegungsmuster und Gesten wurde von den Zusehenden kritisch beobachtet und beurteilt. Der Transfer von kosmischer Ordnung und Harmonie auf den Boden, ausgeführt durch die aristokratischen Tänzer und Tänzerinnen, war die Essenz der Darbietung und findet sich in allen tanztheatralischen Formen dieser Zeit. Der Tanz für die Mascara in Krakau wurde ausschließlich für diesen Anlass choreographiert. Er setzte neben der speziell für die Choreographie komponierten Musik erfahrene Tänzer und Tänzerinnen voraus, und die gesamte Aufführung musste sorgfältig geprobt werden, was die Aufgabe des polnischen Hoftanzmeisters Pietro da Mell und des innerösterreichischen Tanzmeisters Ambrosio Bontempo war. Nach dem Auftritt des Königs und der Höflinge forderten zwei der maskierten Tänzer Anna zu einem Tanz auf. Das war das Zeichen für das Ende der tanztheatralischen Vorführung und den Beginn des allgemeinen Tanzens.
Musik und Choreographie zu dieser Mascara sind nicht erhalten, was typisch für dieses Genre ist, denn die einmalige, an den Anlass und den Personenkreis gebundene Aufführung musste exklusiv bleiben.
Anmerkungen
[1] Michael Praetorius, Syntagma musicum III. (Wolfenbüttel 1619, Reprint Kassel 21967) [in Folge: Praetorius, Syntagma], 26.
[2] Vgl. Walter Leitsch, Das Leben am Hof König Sigismunds III. von Polen, Bd. 2 (Wien 2009) [in Folge: Leitsch, Sigismund], 1151.
[3] Verzaichnuß der Herrn und hoffgesindts so mit Irer Für: dur: der Khünügkhlichen Praut im yezigen monnat Apprilis anno zweyundneunzig von Gräz nach Polen verraißen sollen. StLA, Laa. A. Antiquum II, Karton 11, Heft 56.
[4] Vgl. Leitsch, Sigismund 1233f.
[5] Das Herabsteigen der Ausführenden von einem Turm oder einem Berg ist ein beliebtes und häufig eingesetztes Szenenbild dieser Tanzspektakel. Diese Bühnenbauten waren beweglich und konnten mittels eines verborgenen Mechanismus geöffnet werden. Sie waren mit einem geheimen Gang versehen, durch den die Ausführenden ungesehen in den Turm gelangten. Die Beschreibung des Turms in der Mascara von Krakau erinnert stark an das von Inigo Jones für die Masque of Queens 1609 in Whitehall entworfene House of fame.
[6] Die Figur eines „Moderators“ findet sich auch im ballo, im ballet de cour und in der masque als testo, maitre de plaisier und presenter.
[7] Summarischer innhalt was sich von dem sibenundzwainzigisten tag Aprillis, des 1592 Jars verloffen und zuegetragen, alls die durchleichtigiste Erzherzogin Anna zu Österreich gefürt ist worden, Da Sy dem grosmechtigen Khönig aus Polln, Sigismunde dem dritten ehelich vermachet worden. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Familienakten Fasz. 25, fol. 115r.
[8] Johann von Kostiz an Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen. Zitiert nach Leitsch, Sigismund 1238.
[9] Praetorius, Syntagma musicum 19.
Mag.art. Dr.phil. Gudrun Rottensteiner, Studium der Blockflöte in Graz, Ergänzungsstudium im Fach Aufführungspraxis sowie Studium der Musikwissenschaften und Kunstgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz. Von 1978 bis 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Alte Musik und Aufführungspraxis an der Kunstuniversität Graz mit dem Forschungsschwerpunkt Historischer Tanz.