Graz – Windsor – Balmoral. Eine genealogische Spurensuche anlässlich der Krönung von König Charles III.
Peter Wiesflecker
Genealogie ist Teil des grundwissenschaftlichen Fächerkanons. Sie zeigt (nicht nur politische oder dynastische) Akteure in ihrem familiären und sozialen Umfeld, vor dem Hintergrund ihrer familiären Allianzen und Beziehungen, sie ist demnach nie losgelöst vom politischen und gesellschaftlichen Rahmen und zeitbedingtem Selbstverständnis. Persönliche Daten werden so zum Bestandteil der sozialgeschichtlichen Analyse. Dennoch darf man sich der Genealogie und genealogischen Forschung auch mit einem gewissen Augenzwinkern nähern, und dies nicht nur deshalb, da es einem Ondit zufolge in manchem Salon des alten Österreich als Zeichen besonderer Intelligenz gegolten haben soll, wenn jemand die diversen genealogischen Reihenwerke behände zu benützen und verwandtschaftliche Verbindungen über die Irrungen und Wirrungen von Stammbäumen nachzuzeichnen verstand.
Den Wiener Hof hatte sich seit jeher ausgezeichnet, dass er Mitgliedern regierender oder vormals regierender Häuser in seinen Erbländern bereitwillig und großzügig Aufenthalt bot. Dies galt insbesondere für das lange 19. Jahrhundert, in der eine Reihe europäischer Dynasten ihren Thron verlor und in der Habsburgermonarchie Aufnahme fand. Der Bogen spannt sich hier von den französischen, spanischen und italienischen Bourbonen, über das Königshaus von Hannover, von Mitgliedern der Familie Bonaparte bis hin zum portugiesischen Königshaus. Einige dieser depossedierten Dynasten wählten – zumindest temporär – die Steiermark als Aufenthaltsort. Eine der bekanntesten und schillerndsten Figuren unter ihnen war Marie Caroline Herzogin von Berry (1798–1870), die Mutter des französischen Thronprätendenten, die sich nach ihrer zweiten Eheschließung mit dem sizilianischen Aristokraten Ettore Lucchesi-Palli (1806–1864) in der Steiermark niederließ, wo ihre Nachkommen bis heute auf Schloss Brunnsee leben.
Doch nicht nur Thronverlust oder Landesverweis waren der Grund, dass Mitglieder europäischer Herrscherhäuser in Österreich lebten. Für nachgeborene Dynasten war der Eintritt in die habsburgische Armee eine Option der Versorgung. Dies galt insbesondere für Angehörige jener deutschen Herrscherhäuser, die bis zum Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund nach dem verlorenen Feldzug von 1866 politisch der Habsburgermonarchie nahestanden. Manchen dieser nachgeborenen Prinzen sollte seine Karriere auch in die Grazer Garnison führen. Zu diesen hatte auch Prinz Alexander von Hessen-Darmstadt (1823–1888) gehört. Mit ihm wird allerdings heute nicht seine militärische Karriere verbunden, sondern der Umstand, dass die von ihm unter dem Namen Battenberg begründete Nebenlinie des großherzoglichen Hauses von Hessen eine der ‚erfolgreichsten‘ Dynastie des 20. Jahrhunderts werden sollte. Zu seinen Nachkommen zählen im Europa unserer Tage zwei regierende europäische Monarchen, König Felipe VI. von Spanien und König Charles III. von Großbritannien.
Ein Prinz in Turbulenzen ‚gründet‘ eine neue ‚Dynastie‘
Alexander Prinz von Hessen und bei Rhein – so sein offizieller Titel – war der jüngste Sohn des Darmstädter Großherzogs Ludwigs II. (1777–1848) und der Prinzessin Wilhelmine von Baden (1788–1836). Die Heirat seiner Schwester Marie (1824–1880) mit dem späteren russischen Zaren Alexander II. (1818–1881) eröffnete dem Prinzen vorerst die Möglichkeit einer Karriere am russischen Hof. Der österreichische Historiker Egon Cäsar Conte Corti (1886–1953), ein von der Zwischenkriegszeit bis in die ersten Jahre nach 1945 überaus erfolgreicher Autor, hat Alexanders russische Jahre in einem seiner Bücher dargestellt. Corti präsentiert uns darin den Hessenprinzen als charmanten jungen Herrn, der sich nicht nur Hoffnungen auf ein rasches Avancement in der Armee des Zaren machen durfte, sondern auch als Kandidat für die Hand einer russischen Großfürstin galt.
Der russische Traum war jedoch – nach manchen Turbulenzen – spätestens ab jenem Moment ausgeträumt, als bekannt wurde, dass sich Alexander von Hessen nicht nur in Julie Gräfin Hauke (1825–1895), eine Hofdame seiner Schwester, verliebt hatte, sondern diese Verbindung nicht ohne Folgen geblieben war und der Prinz zudem beabsichtigte, die junge Dame zu heiraten. Die Gräfin, Tochter eines 1830 im zaristischen Dienst ums Leben gekommenen Generals, dessen Grafentitel allerdings jungen Datums war, galt als nicht standesgemäß und war zudem katholisch. Zar Nikolaus I., der gerne eine Verbindung des Prinzen mit einer seiner Nichten gesehen hätte, fühlte sich düpiert. In den Augen der Hofgesellschaft wog der Umstand, dass der Bruder der künftigen Zarin eine unstandesgemäße Verbindung eingehen wollte, weit schwerer als die Folgen zeitigende Liebelei mit einer Hofdame. Alexander musste den Dienst quittieren und Russland verlassen. Seine nicht ebenbürtige Ehefrau, die er im Oktober 1851 geheiratet hatte, erhielt von seinem Bruder, dem regierenden Großherzog von Hessen-Darmstadt, Namen und Titel einer Gräfin von Battenberg. 1858 folgte die Erhebung Julies und ihrer Nachkommen in den Fürstenstand als „Prinz und Prinzessin von Battenberg“.
Alexander wandte sich nun nach Österreich. Die Verbindungen des Darmstädter Hofes zum Wiener Hof waren in dieser Zeit nicht nur politisch eng; der Prinz war ein Cousin der Kaiserinmutter Erzherzogin Sophie (1805–1872), deren Mutter ebenfalls eine badische Prinzessin gewesen war. Diese vielfältigen Verbindungen in die Hofburg eröffneten die Aussicht auf eine militärische Karriere in der österreichischen Armee. Die Garnison, in der Alexander von Hessen seinen Dienst als Offizier im Rang eines Generalmajors antrat, war Graz. Als Wohnsitz diente dem jungen Paar, dessen erstes Kind, die spätere Fürstin Marie Erbach-Schönberg (1852–1923), noch in Straßburg zur Welt gekommen war, eine Wohnung im Haus der Familie Vorbeck in der Grazer Annenstraße (heute Annenstraße 22).
Graz war um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine eher beschauliche Stadt. Die aristokratischen Vierteln mit ihren repräsentativen Straßenzügen fehlten noch. Erste städtebauliche Akzente hatte man in der Annenstraße gesetzt. Dort hatte 1851 die alteingesessene Grazer Familie Vorbeck ein Gebäude errichten lassen, in dem der Prinz von Hessen mit seiner Familie eine standesgemäße Wohnung bezog. An der damaligen Adresse Annenstraße 631 kam am 24. Mai 1854 um ½ 11 Uhr abends der erste Sohn des Paares zur Welt, der drei Wochen später auf die Namen Ludwig Alexander getauft wurde. Taufpaten des kleinen Grafen von Battenberg waren die Geschwister seines Vaters, der regierende Großherzog von Hessen Ludwig III. und die russische Kronprinzessin Maria Alexandrowna.
Graz war im Itinerar der Familie nur ein Zwischenspiel. Der zweite Sohn des Paares, Alexander von Battenberg (1857–1893), kam in Verona zur Welt, sein Bruder Heinrich (1858–1896) in Mailand und Franz Joseph von Battenberg (1861–1924) in Padua, da Alexander von Hessen überwiegend in Oberitalien eingesetzt war. 1866 befehligte er allerdings als General eine hessische Einheit im Kriegszug gegen die Preußen. Seit 1868 war Alexander von Hessen österreichischer General der Kavallerie.
Battenberg – Mountbatten – Hartenau
Als hessischer Prinz und österreichischer Offizier war Alexander von Hessen stets ein Parteigänger einer großdeutschen Lösung gewesen. Diese politischen Präferenzen machten ihn nach 1866 naturgemäß am preußischen Hof nicht zur persona grata. Als Bundesgenosse Österreichs stand Hessen-Darmstadt 1866 auf der Seite der Verlierer. Die enge Bindung des Darmstädter Hofes nach Großbritannien – seit 1862 war Prinzessin Alice (1843–1878), die zweitälteste Tochter von Queen Victoria (1819–1901), die Gemahlin des hessischen Thronfolgers – eröffnete aber Alexanders ältestem Sohn Perspektiven einer militärischen Karriere. Ludwig von Battenberg (1854–1921) trat 1868 in die britische Marine ein und durchlief dort eine Karriere, die ihn bis an die Spitze des britischen Flottenwesens führte. 1912 wurde er zum Ersten Seelord (First Sea Lord) ernannt und hatte damit den höchsten militärischen Rang in der britischen Marine inne. Auch privat war er eng mit seinem neuen Heimatland und dessen regierendem Haus verbunden. 1884 hatte er Prinzessin Viktoria von Hessen (1863–1950), die älteste Tochter seines Cousins, des regierenden Großherzogs Ludwig IV. (1837–1892) und Enkelin von Queen Victoria, geheiratet. Aus der Ehe stammten vier Kinder. Die beiden Töchter Alice (1885–1969) und Louise (1889–1965), die spätere Königin von Schweden, kamen auf Windsor Castle zur Welt. Das jüngste Kind von Alice, die 1905 Prinz Andreas von Griechenland (1882–1944) geheiratet hatte, war Prinz Philip von Griechenland (1921–2021), seit 1947 Ehemann der späteren britischen Königin Elizabeth II. (1926–2022). Ludwigs jüngerer Sohn Louis (1900–1979), der spätere Earl Mountbatten of Burma, war der letzte britische Vizekönig von Indien. Für seinen überwiegend elternlos aufgewachsenen Neffen Philip war er wohl jener Mensch aus dem unmittelbaren familiären Umfeld, der den späteren britischen Prinzgemahl am stärksten geprägt hat. Mehr oder minder diskret hatte er den jungen Prinzen auch im Umfeld der königlichen Familie in Position gebracht.
Die Beziehungen zwischen den Battenbergs und dem britischen Königshaus erfuhren nach Ludwigs Heirat mit einer Enkelin Victorias weitere Bekräftigung. 1885 wurde sein Bruder Heinrich der Ehemann von Victorias jüngster Tochter Beatrice (1857–1944). Die Tochter aus dieser Ehe, Prinzessin Viktoria Eugenia (1887–1969), heiratete 1906 den spanischen König Alphons XIII. (1886–1941). Sie ist die Urgroßmutter des gegenwärtigen spanischen Monarchen, der von ihr auch aus der Taufe gehoben wurde. Die Ehe des aus nicht ebenbürtigen Haus stammenden deutschen Prinzen mit einer britischen Königstochter kommentierte der um ein pointiertes Wort nie verlegene deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck dahingehend, diese ‚Partie‘ habe ihren Grund einzig darin, dass die Queen in die als besonders attraktiv geltenden Herren des Hauses Battenberg schlichtweg vernarrt sei.
Bismarcks Ablehnung war jedoch überwiegend politisch bestimmt, denn die hessisch-britischen Heiraten der Brüder erschlossen der Familie eine Reihe von Verbindungen, die auch geeignet waren, die Pläne eines weiteren Familienmitglieds zu stützen, das seit 1879 Fürst von Bulgarien war. Alexander von Battenberg hatte 1877/78 am russisch-türkischen Krieg teilgenommen und war anschließend als Leutnant in die preußische Armee eingetreten. Auf Vorschlag seines Onkels und Taufpaten, des russischen Zaren Alexander II., wurde er am 29. April 1879 von der bulgarischen Nationalversammlung in Tarnowo zum Fürsten gewählt. Obwohl als russischer Kandidat bulgarischer Fürst geworden, versuchte er den russischen Einfluss im Land zurückzudrängen, was ihn zunehmend in Konflikt mit seinem Cousin, dem neuen russischen Zaren Alexander III. (1845–1894), brachte. Trotz militärischer Erfolge wurde der Fürst im August 1886 durch eine von Russland angestiftete Offiziersverschwörung gefangengesetzt und am 7. September 1886 zur Abdankung gezwungen. Sein Nachfolger wurde Prinz Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha-Koháry (1861–1948), ein Mitglied der in der Habsburgermonarchie blühenden Linie dieses deutschen Fürstenhauses.
Alexander von Battenberg trat nach seiner Abdankung in österreichische Dienste und lebte als Offizier in Graz. Ein von der englischen Königin und ihrer Tochter, der deutschen Kaiserin, verfolgtes Projekt einer Vermählung des gestürzten Fürsten mit Prinzessin Viktoria von Preußen (1866–1929) scheiterte am Widerstand von Viktorias Bruder Wilhelm II., der eine solche Verbindung als Mesalliance ansah, wie auch am Einspruch Bismarcks, der eine Verstimmung Russlands fürchtete. Alexander verzichtete 1889 auf den Namen und Titel eines Prinzen von Battenberg und nahm den Namen Graf Hartenau an. Im gleichen Jahr heiratete er die Sängerin der Darmstädter Hofoper Johanna Loisinger (1865–1951). Er starb als k. u. k. Generalmajor jedoch bereits am 17. November 1893 in Graz. Er wurde vorerst am Leonhardfriedhof beigesetzt. Sein Nachfolger Ferdinand von Bulgarien verfügte später die Überführung des Leichnams des ersten bulgarischen Fürsten von Graz nach Bulgarien. Die Grabstätte in Graz-Leonhard, in der auch seine Witwe und seine Tochter Marie Therese („Zwetana“) (1893–1935), die Jugendliebe des Historikers Egon Cäsar Conte Corti, beigesetzt wurden, blieb bis ins frühe 21. Jahrhundert bestehen. Heute ist sie neu belegt.
Der Name Battenberg ist in unseren Tagen aus den genealogischen Reihenwerken verschwunden. Der jüngste der vier Battenberg-Brüder, Franz Joseph, mit einer Tochter des montenegrinischen Königs verheiratet, war kinderlos geblieben. Alexander Battenbergs Sohn Assen (1890–1965) führte den Namen Hartenau, der auch auf Nachkommen seines Stief- und Adoptivsohnes überging. Die beiden britischen Zweige der Familie Battenberg legten ihren deutschen Namen 1917 ab. Bereits zu Kriegsbeginn 1914 hatte sich ein Teil der britischen Politik und Öffentlichkeit an der deutschen Herkunft ihres Ersten Seelords gestoßen, sodass Ludwig von Battenberg im Oktober 1914 von dieser Position zurücktrat. 1917 legte er – zeitgleich mit dem britischen Königshaus und einer Reihe weiterer Verwandter – seinen deutschen Namen ab. Georg V. verlieh ihm den Namen und Titel eines Marquess of Milford Haven. Sein Neffe Alexander (1886–1960), Sohn des frühverstorbenen Heinrich Battenberg, wurde zum Marquess of Carisbrooke ernannt. Als Familiennamen führte alle in England naturalisierten Mitglieder den Namen Mountbatten, den auch Prinz Philip von Griechenland 1947 im Vorfeld seiner Heirat annahm. Heute ist dieser als Mountbatten-Windsor auch Teil des offiziellen Familiennamens der Nachkommen von Queen Elizabeth II. und Prinz Philips.
Eine zweite Spurensuche
Auch ein Blick auf die Ahnenreihe der im Vorjahr verstorbenen Queen führt uns in die Steiermark. Besonders prägend für ihr Selbstverständnis als Monarchin war ihre Großmutter Queen Mary (1867–1953), deren Familiengeschichte die Steiermark berührt. Die Gemahlin König Georgs V. (1865–1936), geboren als Mary Fürstin von Teck, entstammte einer nicht ebenbürtigen Nebenlinie des württembergischen Königshauses, die ihr Großvater, Herzog Alexander von Württemberg (1804–1885), begründet hatte. Dieser, ein Neffe des ersten württembergischen Königs Friedrich I., war vorerst in der Armee seines Heimatlandes eingetreten, wechselte jedoch bereits 1830 in österreichische Dienste über. Auch er besaß engere familiäre Beziehungen zum Wiener Hof. Seine Schwester Maria Dorothea (1797–1855) war die Gemahlin des ungarischen Palatin Erzherzog Joseph. Eine Schwester seiner Mutter war mit Erzherzog Karl, den Sieger von Aspern, verheiratet gewesen.
Als Militär machte Alexander in Österreich Karriere. 1848 war er Generalstabsoffizier unter Radetzky. 1850 übernahm er das Kommando des Husarenregiments Nr. 11, das bis zu seinem Tod seinen Namen führte. Als Regimentskommandant nahm er an dem für Österreich ungünstig verlaufenden Italienfeldzug des Jahres 1859 teil. 1860 trat Alexander von Württemberg als General der Kavallerie in den Ruhestand. Er starb 1885 im untersteirischen Tüffer.
Graz war bereits in den 1830er-Jahren der Aufenthaltsort des Herzogs gewesen. 1835 hatte Alexander in Wien die ungarische Aristokratin Claudine Gräfin Rhédey de Kis Rhéde (1812–1841) geheiratet. Die Ehe galt nach den Gesetzen des Hauses Württemberg als nicht ebenbürtig. Der Gräfin wurden vom österreichischen Kaiser anlässlich ihrer Heirat Namen und Titel einer Gräfin von Hohenstein verliehen. Das Paar zog vorerst nach Graz, wo Alexanders Regiment in Garnison lag. Das erste Kind des Paares, die nach der Mutter benannte Tochter Claudine Henriette, wurde am 11. Februar 1836 im steirischen Radkersburg geboren. 1837 folgte der Sohn Franz, 1838 die Tochter Amelie. Claudine Hohenstein-Rhédey ist bereits am 1. Oktober 1841 noch nicht dreißigjährig gestorben. Die Gräfin soll laut Familientradition einem tragischen Unglücksfall zum Opfer gefallen sein. In Pettau hätte sie den Truppenmanövern ihres Mannes zugesehen, sei dabei von ihrem scheuenden Pferd abgeworfen und von der vorbeigaloppierenden Reiterschwadron zu Tode getrampelt worden.
Die Familie des Herzogs übersiedelte nach dem Tod der Mutter nach Wien, kehrte jedoch zu Beginn der 1860er-Jahre nach Graz zurück. Herzog Alexander verbrachte hier eine Zeit seines Ruhestandes; dies deshalb, da seine jüngere Tochter Amelie (1838–1893) als Gattin des k. k. Kämmerers und Rittmeisters a. D. Paul Freiherr von Hügel (1835–1897) Herrin von Schloss Reinthal bei Graz war, das auch ihrer unverheiratet gebliebenen Schwester Claudine (1836–1894) als Wohnsitz diente. Claudine und ihr Bruder Franz (1837–1900) waren 1863 in den Fürstenrang mit dem Titel eines Fürsten bzw. einer Fürstin von Teck erhoben worden. Amelie, die kurz zuvor geheiratet hatte, war damals von dieser Standeserhöhung ausgenommen. Sie erhielt den Titel einer Fürstin von Teck erst 1870.
Franz wurde – obwohl ein Nachkomme aus einer nicht ebenbürtigen Verbindung – 1866 der Gemahl einer britischen Prinzessin. Seine Frau Mary Adelaide von Cambridge (1833–1897) war eine Cousine von Queen Victoria. Franz erhielt 1871 vom württembergischen König den Titel eines Herzogs von Teck. Seine Söhne traten in britische Dienste; der ältere Sohn Adolphus (1868–1927), der ihm 1900 als zweiter Herzog von Teck folgte, war u. a. britischer Militärattaché in Wien, persönlicher Adjutant seines Schwagers König Georg V. und später kommandierender Oberst. 1917 legten er und sein jüngerer Bruder Alexander (1874–1957) ihre deutschen Namen und Titel ab. Adolphus erhielt den Titel eines Marquess of Cambridge, Alexander jenes eines Earls of Athlone. Athlone war von 1923 bis 1931 Hochkommissar, Generalgouverneur und Oberbefehlshaber in Südafrika, von 1940 bis 1946 Generalgouverneur von Kanada. Wie Ludwig von Battenberg war auch er mit einer Enkelin von Queen Victoria, Prinzessin Alice von Albany (1883–1981), verheiratet.
Weniger glanzvoll und von einer breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet verlief das Leben der in der Steiermark verbliebenen Familienmitglieder. Claudine von Teck starb 1894 unverheiratet auf Schloss Reinthal. Ihre Schwester Amelie Gräfin Hügel war ihr bereits im Jahr davor im Tod vorausgegangen. Amelies Mann Paul, der 1879 den württembergischen Grafenstand erhalten hatte, schied 1897 durch Selbstmord aus dem Leben. Sein gleichnamiger Sohn war Offizier in der k. u. k. Armee und folgte seinem Vater im Besitz von Reinthal. Bald nach seinem Tod im Jahr 1912 wurde Reinthal, das der Familie für ein halbes Jahrhundert als Wohnsitz gedient hatte, verkauft. Zu diesem Zeitpunkt war Pauls Cousine Mary an der Seite Georgs V. Königin des Vereinigten Königreiches und Kaiserin von Indien.
Ein letzter genealogischer Seitenblick
Wollte man Genealogie nicht nur als wissenschaftliche Disziplin, sondern auch mit einem Augenzwinkern betreiben, sodass man rasch Stammbäume und Ahnenreihen über Jahrhunderte zurückverfolgt, so würde uns die Ahnenreihe des neuen britischen Monarchen auch in die spätmittelalterliche Steiermark führen, denn unter seinen entfernten Ahnen finden wir auch den Habsburger Herzog Ernst (1377–1424), dem die Geschichtsschreibung den Beinahmen „der Eiserne“ gegeben hat.
Herzog Ernsts Tochter Margarethe (1416–1486), seit 1431 die Gemahlin des sächsischen Kurfürsten Friedrich (1412–1464), nimmt in der Geschichte des Hauses Sachsen (Wettin) eine besondere Position ein. Ihre Söhne Ernst und Albrecht teilten Land und Herrschaft. Eine jener (zahlreichen) Linien der Wettiner, die auf Margarethes Sohn Ernst zurückgehen, ist das Haus Sachsen-Coburg-Gotha. 1840 wurde Albert von Sachsen-Coburg (1819–1861) der Gemahl der britischen Königin Victoria. Deren lange Regierungszeit (1837–1901) wurde nur von der ihrer Ururenkelin Elizabeth II. übertroffen. Die Queen war auch die letzte Coburgerin am englischen Thron, wenngleich das Königshaus bereits 1917 seinen deutschen Namen abgelegt hatte, zum Haus Windsor geworden war und Elizabeths Nachkommen heute den Namen Mountbatten-Windsor führen.
Damit wollen wir diese genealogische Spurensuche von der Grünen Mark auf die britischen Inseln beschließen. Charles III. als deren Monarch teilt sich die Abstammung vom innerösterreichischen Landesfürsten Herzog Ernst im Übrigen nicht nur mit seinen regierenden Standesgenossen in Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Luxemburg oder Spanien und zahlreichen anderen europäischen Dynasten, sondern wohl auch mit einer Reihe von bürgerlichen Personen, der Lebenswelt eine gänzlich andere ist als jene ihrer königlichen Urverwandten und des königlichen Herrn auf Windsor und Balmoral im Besonderen.
Literatur in Auswahl
E. H. Cookridge, Die Battenbergs. Geschichte einer europäischen Familie (München 1967).
Egon Cäsar Conte Corti, Liebe und Leben Alexanders von Battenberg (Graz–Salzburg–Wien 1950).
Egon Cäsar Conte Corti, Unter Zaren und gekrönten Frauen (Graz–Wien–Köln 1953).
Wolfgang Kress, Herzog Alexander von Württemberg. In: Sönke Lorenz/Dieter Mertens u. a. (Hgg.), Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon (Stuttgart–Berlin–Köln 1997), 349–361.
Gernot Peter Obersteiner, Die Besitzer Reinthals durch viereinhalb Jahrhunderte. In: Schloss Reinthal. Bausteine zu seiner Geschichte (Graz 1994), 11–16.
Peter Wiesflecker, Adel und Residenz. In: Walter Brunner (Hg.), Geschichte der Stadt Graz, Bd. 1: Lebensraum – Stadt – Verwaltung (Graz 2003), 583–624.
ArR Priv.-Doz. Mag. DDr. Peter Wiesflecker MAS, LL.M., MA, Studien der Geschichte, Archivwissenschaft, Geschichtsforschung und des Kirchenrechts in Wien und der Religionswissenschaften in Graz, seit 1998 wissenschaftlicher Beamter am Steiermärkischen Landesarchiv; Privatdozent für Österreichische Geschichte an der Universität Graz, Lehrbeauftragter für Archivwissenschaft an den Universitäten Wien und Graz sowie für Österreichische Geschichte/Archivwissenschaft an der Universität Klagenfurt. Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark
Forschungsschwerpunkte: Österreichische Geschichte, Landesgeschichte, Adelsgeschichte, Kirchenrecht, Volkskunde und Archivwissenschaften.