Auf dem Salzweg – Das Gräberfeld von Krungl*
Wolfgang Breibert
Einleitung
Die Ortschaft Krungl liegt im „Steirischen Salzkammergut“, eingebettet in den Kalkhochalpen in einem Seitental der Enns. Krungl ist heute eine Katastralgemeinde der Marktgemeinde Bad Mitterndorf (Bezirkshauptmannschaft Liezen) im Nordwesten des österreichischen Bundeslandes Steiermark.
Der Fundort Krungl mit dem bisher größten frühmittelalterlichen Gräberfeld der Steiermark ist seit 200 Jahren bekannt. Seitdem wurde oft Material selektiv zitiert, aber nur in kleinen Ausschnitten publiziert.
1. Gräberfeld und Siedlungen
Das Gräberfeld befindet sich zum Teil unter den Häusern der heutigen Ortschaft, bis jetzt wurden Grabfunde von den Parzellen .561, .570, 2202, 2261/2 und 2262 bekannt. Frühmittelalterliche Gräber sind als Siedlungsanzeiger in unmittelbarer Nähe zu werten, im Falle von Krungl konnte die dazugehörende frühmittelalterliche Siedlung oder die Siedlungen bis heute trotz aller Bemühungen nicht entdeckt werden. Für die Steiermark liegen keine Untersuchungen bezüglich der Distanzen zwischen Gräberfeld und Siedlung vor, was in erster Linie mit dem Forschungsstand zusammenhängt. Wir kennen bis heute entweder nur frühmittelalterliche Gräberfelder oder Siedlungsreste.[1] Topographisch würden sich der in etwa zwei Kilometer Distanz südöstlich befindliche Kulm mit dem Kulmkogel (bzw. Bauer am Kulm) oder der etwa zweieinhalb Kilometer südwestlich gelegene Hinterberg als Siedlungsplatz anbieten. Beide wurden bis heute nicht archäologisch untersucht.
2. 200 Jahre Fundgeschichte
Die Fundumstände und die Geschichte der Ausgrabung des Gräberfeldes sind nicht leicht nachvollziehbar. Seit 1823 wurden immer wieder Funde getätigt, unter anderem ein Schwert. Wie aus einem Zeitungsbericht hervorgeht, wurde das Schwert schon damals zerstört.[2] Im Jahre 1873 wurden auf dem Grund des Landwirts vulgo Kleinkopf (Parzelle 2262) bei der Anlage einer Sandgrube sechs bis acht Skelette gefunden, bei einem fand sich ebenfalls ein Schwert und die weithin bekannte spätawarische Gürtelgarnitur. Dieses Schwert ist ebenfalls unauffindbar, es existiert nur mehr eine kurze schriftliche Beschreibung in einem Aufsatz.[3]
Im Herbst 1896 beginnt Otto Fischbach (Joanneum) die planmäßige Ausgrabung des Gräberfeldes. Es existieren zwei ausführliche handschriftliche Berichte, und ein Artikel über die Grabungskampagne erschien 1896.[4] In den Jahren 1897–1908 gruben mehrere Forscher in Krungl. Die Dokumentation ist zum Großteil verloren. 1908 wurde das Gräberfeld als vollständig erforscht angesehen und die Arbeiten eingestellt. Der erste zusammenfassende Plan wurde 1963 von Walter Modrijan (Joanneum) publiziert.[5] In den 1950er Jahren wurden vereinzelt Funde gemeldet, über deren Verbleib nichts mehr in Erfahrung zu bringen war.[6] In den Jahren 1977, 1978 und 1980 führte Diether Kramer (Joanneum) in Krungl weitere Grabungen durch.[7] 1992 und auch noch 2007 führte das Bundesdenkmalamt (Landeskonservatorat Steiermark) Baubeobachtungen durch, die aber keine Gräber und auch keine Hinweise auf frühmittelalterliche Siedlungstätigkeit erbrachten.[8]
3. Datierung
3.1. Die ältesten Gräber – Gruppe I
Die ältesten Bestattungen gehören der Zeit um die Mitte des 8. Jahrhunderts an, als die Baiern massiv im Fürstentum Karantanien intervenierten. In diesen Horizont gehört das 1873 zerstörte Grab mit der verschollenen Spatha und der spätawarischen Gürtelgarnitur.
Die Gürtelgarnitur ist aus Buntmetall gegossen, die Riemenzungen sind durchbrochen gearbeitet und mit „flachen Kreislappen“ verziert. Sie datiert nach F. Daim in die Spätawarenzeit III, etwa in das letzte Drittel des 8. Jahrhunderts.[9] Das Männergrab gehört damit zu den spätesten Vertretern des Typs Grabelsdorf.[10] Es handelt sich dabei um elitäre Männergräber, welche sowohl Elemente der awarischen Repräsentationskultur wie eben Gürtelgarnituren, aber auch frühkarolingische repräsentative Waffen und auch Reitzubehör enthalten. Diese Gräber sind im Zusammenhang mit der gentilen slawischen Führungsschicht der Karantanen zu betrachten, welche offensichtlich unter einem gewissen Einfluss der beiden Nachbarmächte (Baiern und Awaren) stand. Bedingt durch die Brückenstellung Karantaniens wird es innerhalb der karantanischen Gesellschaft zumindest zwei entsprechend orientierte Gruppen gegeben haben. Nach der Niederschlagung des antibairischen Aufstandes von 769–772 durch Herzog Tassilo III, also etwa nach 770/80, werden solche Gräber nicht mehr angelegt. Die awarischen Würdezeichen werden kaum länger in Verwendung gewesen sein, als der awarische Einfluß selbst anhielt. Die nächste Generation bestattet nur mehr mit westlichen, karolingischen Würdezeichen, wie z. B. Bestattung 256 mit einem Nietplattensporn Form Sp 2 nach Pöllath. Diese bildet in Nordostbayern eine Leitform seiner Stufe III, was absolutchronologisch einem Zeitraum von etwa 760/70 bis 790/800 entspricht.[11]
Auch das Frauengrab 75 ist in diesem Zeithorizont keine singuläre Erscheinung. Es kann in eine Gruppe ähnlicher Gräber gestellt werden, die sich durch das Auftreten von typisch spätawarischem gemeinsam mit frühkarolingischem Schmuck auszeichnet. Im Unterschied zum Karolingerreich wird das Beigabenbrauchtum sichtbar weitergepflegt und es treten heidnisch-synkretistische Bestattungsbräuche auf, wie sie auch in der Avaria zu beobachten sind.[12] Die Verbreitung dieser Gräber ist nicht auf den Ostalpenraum beschränkt.[13]
3.2. Gruppe IIa-c
Die verstärkte Missionstätigkeit – mit der Gründung von Klöstern wie Molzbichl[14] – noch unter slawischen Fürsten nach den Aufständen (carmula) von 772 schlägt sich in Krungl im Fortgang der Belegung nicht als Bruch nieder. Kirchen mit Flechtwerkausstattung fehlen bis jetzt an der Peripherie Karantaniens. Im Zentralraum können sie als Nachweis der Christianisierung der Oberschicht zwischen 772 und 828 gelten,[15] was zeitlich etwa die Gruppe IIa umreißt. Auch für eine Kirche, die mit dem Gräberfeld von Krungl im Zusammenhang stehen könnte, fehlen uns sowohl archäologische Funde als auch Indizien. Die schriftlichen Quellen setzen im Umland erst ab dem Hochmittelalter ein.[16] Bis heute gibt es in Krungl keine eigene Kirche. Die Katastralgemeinde Krungl gehört heute zu der römisch-katholischen Pfarre Bad Mitterndorf, Diözese Graz-Seckau. Diese Pfarre wurde erst im 14. Jahrhundert als Filialkirche der Pfarre Pürgg gegründet.[17]
Die Grafschaftsverfassung von 828 und damit die Entmachtung der karantanischen Gentilfürsten bedeutet nicht die Aufgabe des Gräberfeldes (Gruppe IIb). Die Belegung dauert noch bis in die 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts an.
Für die jüngste Belegungsphase des Gräberfeldes (Gruppe IIc) sind gegossene, emailverzierten Scheibenfibeln und lunulaförmige Kopfschmuckringe charakteristisch. Diese Funde gehören hauptsächlich der Zeit nach 900 an.[18]
4. Ausblick
Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Krungl ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Seit Otto Fischbach, dem ersten systematischen Ausgräber, war die Gesamtpublikation oft geplant. Sie blieb aber bis heute ein Desideratum. Die Lage und die Größe des Gräberfeldes in einem inneralpinen Tal der Steirischen Kalkalpen sind geographisch auffällig. Das Gräberfeld wurde kontinuierlich vom 8.–10. Jahrhundert belegt und ist noch nicht vollständig ausgegraben. Bemerkenswert ist das Fehlen einer Kirche, die mit den späteren Belegungsphasen (Gruppe II b und c) des Gräberfeldes in Zusammenhang stehen könnte.
Die Menschen wurden von den natürlichen Ressourcen dieser Alpenregion angezogen, die später als „Salzkammergut“ bekannt wurde. Die überlieferten Urkunden erwähnen Salzpfannen und Solequellen. Auch deutsche und slawische Toponyme verweisen auf Salz. Der Handel mit Salz war nicht nur im Frühmittelalter eine gute Einnahmequelle. Karantanien entstand in einer ehemaligen Römischen Provinz. Eine definitive Trassenkontinuität der Römerstraßen ins Mittelalter ist beim derzeitigen Forschungsstand nicht zweifelsfrei nachweisbar. Ein Weiterbestehen der Routen besonders entlang der viae publicae können wir aber voraussetzen. In der Umgegend von Krungl, besonders im Ennstal bei der Pürgg, ergibt sich eine Konzentration frühmittelalterlicher Fundstellen, meist Gräberfelder.
Wie die archäologischen Funde nahelegen, wurde die Verbindung zwischen Salzkammergut und dem Ennstal nicht nur in römischer Zeit, sondern auch (wieder) im Frühmittelalter begangen. Der frühmittelalterliche Salzhandel folgte den urgeschichtlichen und römerzeitlichen Handelswegen. Das Wissen um die Salzquellen und auch ihre Nutzung vor den ersten schriftlichen Erwähnungen können wir voraussetzen. Die in Krungl Bestatteten waren möglicherweise mit der Sicherung und Bewachung des südlichen Salzweges beschäftigt. Ein slawisch geprägtes Kleinterritorium im Gebiet hinter dem Grimming bis in die Gegend von Altaussee oder Grundlsee kann angenommen werden, dieses sollte zu einer lokalen Herrschaft im Ennstal zwischen Pürgg und Lassing gehört haben.
Den weiteren Aufdeckungen in Krungl darf gewiß mit größtem Interesse entgegen gesehen werden, meldete die Zeitung „Steirische Alpenpost“ schon in ihrer Nr. 42 vom 16. Oktober 1897. Besonders wichtig bleibt auch die Frage nach den frühmittelalterlichen Siedlungen, nach dem Einzugsbereich des Gräberfeldes. Dem ist nur mehr der Wunsch hinzuzufügen, dass in absehbarer Zeit weitere Forschungen und Nachgrabungen möglich sein werden, die das hier entworfene Bild der Menschen von Krungl im Frühmittelalter auch wieder verändern könnten.
Anmerkungen
* Neuerscheinung: Wolfgang Breibert, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Krungl, Marktgemeinde Bad Mitterndorf, Bezirk Liezen, Steiermark. Studien zum Frühmittelalter im Ostalpenraum (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 97). Die Buchpräsentation fand am 20. April 2023 im Marmorsaal des Schlosses Trautenfels statt.
[1] Christoph Gutjahr, Das frühmittelalterliche Körpergräberfeld in der ehemaligen Jesuitenuniversität (Alte Universität) in Graz, Steiermark. In: Fundberichte aus Österreich 46, 2007 (2008), 339–375.
[2] Grazer Volksblatt 254 (5. 11. 1873).
[3] Otto Fischbach, A krungli leletről. In: Archaeologiai értesítő 14 (1894), 359–360.
[4] Otto Fischbach, Ausführlicher Bericht über eine archäologische Grabung in Krungl bei Aussee (UMJ, AArchMk, Archiv Aktenzahl 315-1896). Diese handschriftliche Reinschrift im Folio-Format wurde (nachträglich!) gelocht und mit einer Aktenzahl versehen. Es existiert weiters ein Konzeptpapier mit Streichungen und Korrekturen von Fischbach selbst auf 25 paginierten Folioseiten, gebunden mit einem Zwirnsfaden. Hier fehlt die erste Seite: Otto Fischbach, Neue Funde aus Hohenberg und Krungl in Steiermark (Graz 1896) (UMJ, AArchMk, Archiv, Ortsakt Krungl). Dieses Papier dürfte die deutsche Reinschrift für Otto Fischbach, Újabb leletek Hohenbergről és Krunglból. In: Archaeologiai értesítő 17 (1897), 133–147 gewesen sein.
[5] Walter Modrijan, Die Frühmittelalterfunde (8.–11. Jhdt.) der Steiermark. In: Schild von Steier 11 (1963), 45–84, Abb. 21.
[6] Aemilian Kloiber, Das Skelettmaterial aus karantanischen Gräbern der Steiermark und Oberösterreichs. In: Franz Zagiba (Hg.), Das östliche Mitteleuropa in Geschichte und Gegenwart, Acta Congressus historiae Slavicae Salisburgiensis in memoriam SS. Cyrilli et Methodii anno 1963 celebrati (Wiesbaden 1966), 33–50, hier 41f.
[7] Brigitte Berner/Bernhard Hebert u. a., Schriftenverzeichnis Diether Kramer. In: Frühmittelalterarchäologie in der Steiermark, Beiträge eines Fachgesprächs anläßlich des 65. Geburtstags von Diether Kramer (= SchvSt, Beiheft 4, Graz 2008), 58–67. Aus den 19 im Jahre 1978 geborgenen Gräbern entstand eine unpublizierte Arbeit: Barbara Sitzwohl, 19 Bestattungen aus dem Gräberfeld von Krungl aus dem Jahre 1978 (ProsemA. Wien 1988).
[8] Unpubliziert; siehe u. a. Bericht Krungl, frühmittelalterliches Gräberfeld (BDA Landeskonservatorat für Steiermark GZ. 983/6/92 vom 7. September 1992), HR Doz. Dr. B. Hebert habe ich für die Möglichkeit der Einsicht in Fundakten und Bescheide zu danken, ebenso für seine schriftlichen Auskünfte im Mai 2008.
[9] Falko Daim, „Byzantinische“ Gürtelgarnituren des 8. Jahrhunderts. In: Falko Daim (Hg.), Die Awaren am Rande der byzantinischen Welt (= Monographien zur Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie 7, Wien 2000), 77–204, hier 111f.
[10] Erik Szameit, Das frühmittelalterliche Grab von Grabelsdorf bei St. Kanzian am Klopeinersee. Kärnten. Ein Beitrag zur Datierung und Deutung awarischer Bronzen im Ostalpenraum. In: Archaeologia Austriaca 77 (1993), 213–234.
[11] Ralph Pöllath, Karolingerzeitliche Gräberfelder in Nordostbayern; eine archäologisch-historische Interpretation mit der Vorlage der Ausgrabungen von K. Schwarz in Weismain und Thurnau-Alladorf 1–4 (München 2002), hier Bd. 1, 179.
[12] Wolfgang Breibert, Das karolingerzeitliche Hügelgräberfeld von Wimm, MG Maria Taferl, VB Melk, Niederösterreich. Untersuchungen zur Problematik frühmittelalterlicher Bestattungssitten im niederösterreichischen Donauraum. In: Arheološki vestnik 56 (2005), 391–433, hier 427f.
[13] Verbreitungskarte und Fundortliste: Wolfgang Breibert, The cemetery of Krungl (Styria, Austria) – Reflections on Early Medieval Chronology and Economy in the Eastern Alps. In: Jiří Macháček/Šimon Ungerman (Hgg.), Frühgeschichtliche Zentralorte in Mitteleuropa (= Studien zur Archäologie Mitteleuropas 14, Bonn 2011), 561–574.
[14] Franz Glaser, Das Kloster in Molzbichl, das älteste Kloster Kärntens. In: Carinthia I 179 (1989), 89–124; Kurt Karpf, Das Kloster Molzbichl – ein Missionszentrum des 8. Jahrhunderts in Karantanien. In: Carinthia I 179 (1989), 125–140.
[15] Kurt Karpf, Frühmittelalterliche Flechtwerksteine in Karantanien, Marmorne Kirchenausstattungen aus tassilonisch-karolingischer Zeit (= Monographien zur Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie 8, Wien 2001).
[16] Für Literaturhinweise zu dieser Thematik danke ich Mag. I. Mirsch, Graz.
[17] Ernst Tomek, Geschichte der Diözese Seckau. I. Band: Geschichte der Kirche im heutigen Diözesangebiet vor Errichtung der Diözese (Graz–Wien 1917), 552.
[18] Stefan Eichert, Die frühmittelalterlichen Grabfunde Kärntens. Die materielle Kultur Karantaniens anhand der Grabfunde vom Ende der Spätantike bis ins 11. Jahrhundert (= Aus Forschung und Kunst 37, Klagenfurt am Wörthersee 2010), 170–173.
Mag. Dr. Wolfgang Breibert, MSc, geb. 1973 in Wien, Studium der Ur- und Frühgeschichte in Wien und Absolvent des Universitätslehrganges „Kulturgüterschutz“ an der Universität für Weiterbildung Krems. Seit 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Museale Sammlungswissenschaften der Universität für Weiterbildung Krems in enger Kooperation mit den Landessammlungen Niederösterreich und dem MAMUZ (Mistelbach-Asparn-MUseumsZentrum).
Arbeitsschwerpunkte sind die wissenschaftliche Erschließung der Bestände des Sammlungsbereiches Urgeschichte und Historische Archäologie der Landessammlungen Niederösterreich, die wissenschaftliche Mitarbeit bei archäologischen Ausstellungs- und Publikationsprojekten ebenso wie ausgewählte Fragestellungen zur Frühgeschichte und Mittelalterarchäologie des Landes Niederösterreich.