Erna Diez live
Bernhard Hebert, Ulla Steinklauber, Meinhard Brunner
Wenn hier wieder einmal[1] im Rahmen der HLK der großen österreichisch-ungarischen Archäologin (1913–2001) und jahrzehntelangen Ordinaria für Klassische Archäologie der Karl-Franzens-Universität Graz gedacht werden soll, so geschieht dies aufgrund einer ganz speziellen Aktion der HLK: Soeben (Februar 2024) ist ein gewichtiger Band erschienen, der die 2019 zum 50-Jahr-Jubiläum der Zweiten Republik an der ÖAW abgehaltene Tagung „Archäologie und Republik" dokumentiert. Darin ist auch von der Steiermark und von prägenden Persönlichkeiten wie Walter Schmid (HLK-Mitglied 1946–1951)[2], Walter Modrijan (HLK-Mitglied 1961–1966, 1971–1981) und eben Erna Diez[3] die Rede.
Diez war HLK-Mitglied von 1967 bis 2001, also 34 Jahre lang. Und ein durchaus aktives, wenn man ihre Teilnahme in den „Gruppenbildern mit Dame"[4] in den Berichten der HLK verfolgt. Oder selbst miterlebt hat, wie sie im hohen Alter auch bei Korrespondent·innen-Tagungen dabei war, öfters von Walter Höflechner (HLK-Mitglied seit 1980) „chauffiert”. Diez führte übrigens schon in ihrem ersten Jahr bei der HLK am 24. Oktober 1967 die Teilnehmer·innen der allerersten Arbeitstagung der HLK-Korrespondent·innen durch das Lapidarium des Schlosses Seggau.[5] Die dortige „Römersteinwand” war ein Ausgangs- und Kristallisationspunkt von Diezens Lehre und Forschung, mit der sie Schüler·innen, Enkelschüler·innen und Urenkelschüler·innen bleibend beeinflusst hat. So ist ihr Schüler und langjähriger Assistent Erwin Pochmarski dabei, die Corpus Signorum Imperii Romani-Bände für das Territorium der steirischen Römerstadt Flavia Solva fertigzustellen, ihr Schüler Ortolf Harl, früher Wiener Stadtarchäologe, erfand und betreibt mit seiner Frau Friederike die international als Standardwerk benutzte Datenbank Ubi Erat Lupa mit ihren inzwischen tausenden Bildwerken der Römerzeit.
Diez war Mitglied im Corpus-Inscriptionum-Ausschuss der HLK,[6] dessen „Produkt” das immer noch als Standardwerk zu betrachtende Werk von Ekkehard Weber war,[7] mit dem und mit dessen Familie Diez immer in freundschaftlicher Verbindung blieb. Nicht ganz denselben Erfolg hatte der Frühmittelalter-Ausschuss der HLK, dem Diez lange Zeit angehörte:[8] Es sind zwar nach langen von der HLK mit getragenen Vorbereitungen Vorlagen wesentlicher steirischer frühmittelalterlicher Gräberfelder geglückt,[9] aber der „große Wurf” ist wohl mit der Aufgabe eines eigenen Frühmittelalter-Bandes der Steirischen Landesgeschichte gestorben, wie der Ausschuss selbst, der 2017 aufgelöst wurde.[10]
Diez war nicht, wie mehrfach zu lesen,[11] die erste Frau in der erlauchten Herrenrunde der HLK: das war Anna Netoliczka (HLK-Mitglied 1946–1956), die Leiterin des Steiermärkischen Landesarchivs nach dem Zweiten Weltkrieg. Diez war aber eine gute Generation lang das einzige weibliche Mitglied. Erst zwei Wochen vor dem Ableben von Diez wurde wieder eine Frau zum HLK-Mitglied gewählt, nämlich Elisabeth Schöggl-Ernst am 15. November 2001, die dann bis 2004 die einzige Dame im Wissenschaftlichen Kollegium blieb. So schön, so ... schlecht.
Einzigartig war auch der von der Nichte und Erbin von Erna Diez, Ella Etzold-Diez, gestiftete Erna-Diez-Preis,[12] den die HLK mit den entsprechenden Preisgeldern von 2012 bis 2017 an zwölf Preisträger·innen vergeben hat.
Aber worum handelt es nun bei der eingangs erwähnten Aktion für Diez im Zusammenhang mit der Tagung an der ÖAW? Es existieren mehrere Tondokumente, sowohl von Radio-Vorträgen, die Diez im Hauptabendprogramm (!) gehalten hatte, als auch der Mitschnitt eines Interviews, das Diezens Schülerinnen Christiane Brandstätter, Beate Hainschek und Alexandra Puhm im November 1999 aufgenommenen haben. Dieses Interview enthält persönliche Erinnerungen an Kindheit und Schulzeit, fesche Männer und eine gescheiterte Ehe, an die mitunter gar nicht so netten männlichen Lehrer und späteren Kollegen, an die im Hörsaal in der sowjetischen Besatzungszeit (u. a. von Leo Scheu) gemalten Stalin-Porträts und vieles mehr, was das bislang unzugängliche Tondokument zu einer wertvollen noch auszuwertenden Quelle für Biographie, Wissenschafts- und Institutionengeschichte macht. Das Interview ist jetzt über einen Button in der Tagungspublikation[13] abrufbar – wir hoffen auf Reaktionen aus der interessierten Kolleg·innenschaft!
Die Umsetzung der von der Herausgeberin der Tagungspublikation, Michaela Zavadil, unermüdlich verfolgten Idee, Erna Diez in diesem Tondokument live zu präsentieren, wurde durch finanzielle Unterstützung der HLK ermöglicht.
Ulla Steinklauber und Bernhard Hebert gehören zu den allerletzten Schüler·innen von Erna Diez, Bernhard Hebert ist der Verwalter des wissenschaftlichen Nachlasses.[14] Meinhard Brunner hat die Recherchen im HLK-Archiv durchgeführt.
Anmerkung
[1] Ohne Vollständigkeit: Die HLK unterstützte die Festschrift Gerda Schwarz/Erwin Pochmarski (Hgg.), Classica et Provincialia (Graz 1978) finanziell. Nachruf Erna Diez von Gerda Schwarz und Othmar Pickl, XXVI. HLK-Bericht (2005), 17–20. 2011 veröffentlichte die HLK mit den Herausgebern Bernhard Hebert und Gerda Schwarz als Band 52 der Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark "Unveröffentlichte archäologische Vorträge aus vier Jahrzehnten" von Erna Diez.
[2] Daniel Modl/Patrick Marko, Der lange Schatten des Walter Schmid (1875–1951). Ein ambivalentes Forschungserbe und seine Auswirkungen auf die steirische Archäologie am Beispiel Noreia. In: Michaela Zavadil (Hg.), Archäologie und Republik. Reflexionen zur Archäologie in Österreich in der Ersten und Zweiten Republik (= Oriental and European Archaeology 28, Wien 2023), 189–231.
[3] Bernhard Hebert/Ulla Steinklauber, „Ikonische" Fundplätze, ForscherInnen und Öffentlichkeit in hundert Jahren „südösterreichischer" Archäologie. In: Michaela Zavadil (Hg.), Archäologie und Republik. Reflexionen zur Archäologie in Österreich in der Ersten und Zweiten Republik (= Oriental and European Archaeology 28, Wien 2023), 179–187 [in Folge: Hebert/Steinklauber, „Ikonische Fundplätze"].
[4] Z. B. XX. HLK-Bericht (1977), 47; XXIII. HLK-Bericht (1993), 45; XXIV. HLK-Bericht (1995), 24.
[5] XIX. HLK-Bericht (1972), 73.
[6] XIX. HLK-Bericht (1972), 26.
[7] Ekkehard Weber, Die römerzeitlichen Inschriften der Steiermark (= Veröffentlichungen der Historischen Landeskommission für Steiermark 35, Graz 1969).
[8] XIX. HLK-Bericht (1972), 26; XX. HLK-Bericht (1977), 49f.; XXI. HLK-Bericht (1982), 59; XXII. HLK-Bericht (1988), 66; XXIII. HLK-Bericht (1993), 50.
[9] Zuletzt Wolfgang Breibert, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Krungl, Marktgemeinde Bad Mitterndorf, Bezirk Liezen, Steiermark. Studien zum Frühmittelalter im Ostalpenraum (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 97, Graz 2022).
[10] Hebert war Mitglied dieses Ausschusses.
[11] XXVI. HLK-Bericht (2005), 18.
[12] Aus der Ausschreibung 2017: „Der Erna-Diez-Preis wird in Erinnerung an Frau o. Univ.-Prof. Dr. Erna Diez (1913–2001) für herausragende Leistungen in jenen Bereichen der Archäologie vergeben, die im Mittelpunkt des wissenschaftlich-forscherischen Interesses der langjährigen Ordinaria an der Karl-Franzens-Universität Graz und des langjährigen Mitglieds des Historischen Landeskommission für Steiermark (HLK) standen. Es waren dies die provinzialrömische Archäologie der Steiermark und der Provinzen Noricum und Pannonien sowie in zweiter Linie die antike Kunstgeschichte. Darüber hinaus sind ebenso Leistungen im Bereich der urgeschichtlichen, mittelalterlichen und neuzeitlichen Archäologie der Steiermark sowie aller zugehörigen archäologischen Hilfswissenschaften preiswürdig." Vgl. zusammenfassend XXVIII. HLK-Bericht (2019), 77f.
[13] Das Interview ist unter https://austriaca.at/9316-6inhalt/Interview abrufbar. Die HLK verweist darauf zusätzlich am Ende ihrer auswahlhaften Sammlung von „Literatur für/über Erna Diez": https://www.hlk.steiermark.at/cms/beitrag/11828634/97168304/.
[14] Die sehr umfangreiche Separata-Sammlung von Erna Diez hat Gabriele Erath-Koiner inventarisiert; der Bestand wird derzeit vom Institut für Antike der Universitätsbibliothek Graz übergeben. Die vor allem für die Römerstein-Forschung nach wie vor wichtige Foto-Sammlung wird am Bundesdenkmalamt in Graz aufbewahrt und von Fachkolleg·innen immer wieder genutzt.
HR Univ.-Doz. Dr. Bernhard Hebert, Studium der Klassischen Archäologie und Klassische Philologie in Graz und Wien. Promotion zum Doktor der Philosophie 1984 sub auspiciis praesidentis. 1992 Habilitation für Klassische Archäologie in Graz. Seit 2011 Leiter der Abteilung für Archäologie des Bundesdenkmalamts. Ab 1988 Korrespondent, seit 1999 Mitglied der Historischen Landeskommission für Steiermark (HLK), von 2007 bis 2019 Mitglied im Ständigen Ausschuss der HLK.
Univ.-Doz. Dr. Ulla Steinklauber, Studium der Klassischen Archäologie sowie der Alten Geschichte und Altertumskunde in Graz. 2002 Habilitation für Provinzialrömische Archäologie in Innsbruck. Von 2005 bis 2008 Leiterin der Abteilung für Archäologie des Universalmuseums Joanneum. Landwirtin und Archäologin.
Forschungsschwerpunkte: Römerzeit und Spätantike im Südostalpen- und Donauraum.
Mag. Dr. Meinhard Brunner, Studium der Geschichte und Volkskunde in Graz. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Landeskommission für Steiermark.
Forschungsschwerpunkte: Sammlung und Edition der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften der Steiermark; Britische Militärgerichtsbarkeit in Österreich 1945–1955.