Die Aubert-Glocke (gegossen 1615) in der Annakapelle in Pöllauberg – Vergessenes aus steirischen Glockenstuben (Teil 1)
Meinhard Brunner
Einleitung
Zu den Forschungsvorhaben der Historischen Landeskommission für Steiermark zählt die Sammlung und Edition der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften der Steiermark.[1] Als untere Zeitgrenze für die Aufnahme wurde das Jahr 1650 festgelegt.[2] Blickt man auf die Häufigkeit der Inschriftentypen im Bearbeitungsraum, stellen Grab- und Bauinschriften sowie Bauzahlen wenig überraschend den Löwenanteil. An vierter Stelle folgen aber bereits die Inschriften auf Glocken.
Nun gehört es zu den Aufgaben des Inschriftenbearbeiters, alle erhaltenen Texte selbst in Augenschein zu nehmen und zu dokumentieren. Folglich ist er auch angehalten, möglichst in jede Glockenstube ‚vorzustoßen‘. Dort angekommen bedarf es mitunter noch der Bereitschaft, den Glockenstuhl als Kletterareal aufzufassen, wenn man brauchbare Arbeitsfotos der Glockeninschriften bekommen will. Dass sich zudem eine gewisse Duldsamkeit gegenüber den (oft reichlich vorhandenen) ‚Rückständen‘ gefiederter Turmbewohner empfiehlt, sei hier nur am Rande erwähnt.
Bei diesen ‚Höhenexkursionen‘ traf der Verfasser in den letzten Jahren mehrfach auf Glocken, deren schwere Erreichbarkeit und/oder abgelegener Standort dazu beigetragen haben, dass sie sowohl in der lokalgeschichtlichen Literatur als auch in glockenkundlichen Werken nur kursorisch beschrieben wurden oder überhaupt unbeachtet geblieben sind. Beginnend mit diesem Beitrag soll daher im HLK-Blog (in loser Folge) auf einige sozusagen vergessene steirische Glocken hingewiesen werden.
Die Aubert-Glocke in Pöllauberg
Die Erhebungen zum Inschriftenbestand im Gebiet der Gemeinde Pöllauberg bis 1650 ließen neben einer Bauzahl (1532) und einer Bildbeischrift (1644) an/in der Annakapelle bzw. einer weiteren Bauzahl (1642) in der Pfarrkirche (Abb. 1) lediglich eine Jahreszahl auf der sogenannten Zügen- oder Sterbeglocke erwarten. Quellen- und Literaturbelege zu dieser Glocke sind im Grunde reichlich vorhanden. Sie nennen allerdings unisono nur das (vermeintliche) Gussjahr „1650“, ohne eine weitergehende Beschreibung zu bieten.[3]
Die besagte kleine Glocke hing ursprünglich in der Laterne der Pfarrkirche[4] und war erst in jüngerer Vergangenheit in das Türmchen der Annakapelle transferiert worden.[5] Als der Verfasser 2018 ebendort Nachschau hielt, stellte sich im Angesicht der Glocke heraus,[6] dass sie über eine am Hals umlaufende Meisterinschrift verfügt, die außerdem eine andere Jahreszahl enthält (Abb. 2):
+ CLAVDIVS · AVBERT · IN GRATZ · GOS · MICH · ANNO · 1615
Somit kann hier ein bislang nicht dokumentiertes Werk des Grazer Gießers Claudius Aubert (gest. 1638) festgemacht werden! Der Glockendurchmesser beläuft sich auf 40 cm. Das Gewicht wird mit 38 kg angenommen.[7] An ihrer Flanke weist sie ein Reliefbrustbild der stillenden Maria mit Jesuskind (Maria lactans) auf. Die Glocke wurde sowohl während des Ersten als auch während des Zweiten Weltkrieges wegen ihres geschichtlichen bzw. künstlerischen Wertes von der Ablieferungspflicht für Kriegszwecke ausgenommen.[8]
Claudius Aubert
Claudius Aubert war ab 1602 in Graz tätig. Er arbeitete in der Nachfolge von Marx Wening, der 1600 wegen seines protestantischen Glaubens ausgewiesen worden war, als kaiserlicher Stückgießer im Gießhaus am Sacktor. Später besaß er auch einen Hammer samt Schmelzhütte in Andritz. Die Hauptaufgabe seiner Werkstatt bestand in der Herstellung von Geschützen aller Art (Mörser, Feldschlangen, Böller etc.).[9] Darüber hinaus produzierte er Glocken mit hoher Guss- und überschaubarer Klangqualität.[10]
In der Steiermark existieren – mit der Pöllauberger – noch insgesamt fünf Aubert-Glocken: Pfarrkirche Graz-Mariahilf (1617)[11], Kalvarienbergkirche St. Peter am Ottersbach (1620) (Abb. 3)[12], Pfarrkirche Graz-Andritz (ursprünglich im Jesuitenkollegium, 1624)[13] und Filialkirche Hl. Laurentius in Birkfeld (1635)[14]. Ein weiteres Exemplar, vormals ebenfalls in Graz-Andritz,[15] befindet sich heute in der Sammlung Pfundner in Wien (1624)[16]. – Die von Claudius Aubert 1603 geschaffene Glocke für die Pfarrkirche Thal wurde 1881 in Laibach/Ljubljana (Fa. Albert Samassa) umgegossen.[17] Die Glocke der Pfarrkirche Söchau (1618) bekam 1825 einen Sprung und wurde in Graz (Fa. Johann Feltl) umgegossen.[18] Jene der Pfarrkirche Spielfeld (1623) hatte 1923 ausgedient, als sie an die Innsbrucker Gießerei Grassmayr verkauft wurde.[19] Weitere bekannte Aubert-Glocken befanden sich in Graz (Admonterhof, 1603[20]; Schloss St. Martin, 1604[21]; Landhauskapelle, 1630[22]) sowie in Bruck an der Mur (1620)[23] und in Jahring/Jarenina in Slowenien (1604)[24]. Somit können derzeit 14 Glocken dieses Gießers nachgewiesen werden.
Claudius Aubert verstarb am 17. September 1638 in Graz.[25] Seine Bestattung erfolgte zwei Tage später ebendort.[26]
Anmerkungen
[1] Meinhard Brunner/Helfried Valentinitsch † (Bearb.), Die Inschriften der Politischen Bezirke Hartberg-Fürstenfeld und Weiz, herausgegeben von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Historischen Landeskommission für Steiermark (= Die Deutschen Inschriften, Wiener Reihe 6. Band: Steiermark, Teil 1) [in Vorbereitung].
[2] Vgl. Walter Koch, Bearbeitungs- und Editionsgrundsätze für die „Wiener Reihe“ des deutschen Inschriftenwerks, Österreichische Akademie der Wissenschaften (Wien 1991), 3f.; Meinhard Brunner, Die Sammlung und Edition mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Inschriften der Oststeiermark in den Jahren 2002 bis 2007. In: Robert F. Hausmann (Hg.), Mitteilungsblatt der Korrespondenten der Historischen Landeskommission für Steiermark 9 (Graz 2007), 237–240, hier 238.
[3] Pfarramt Pöllauberg, Pfarrchronik Pöllauberg Bd. 1, p. 13; Diözesanarchiv Graz-Seckau [in Folge: DAGS], Glockensachen 1916, 1917; DAGS, D-Glocken 1940; DAGS, Pfarrchronik Pöllauberg Bd. 2, p. 111; Bundesdenkmalamt [in Folge: BDA] Wien, Archiv, Glocken, K. 6, Fasz. 1; Gottfried Allmer, Pöllauberg in Geschichte und Gegenwart (Pöllauberg 2004), 234; Meinhard Brunner/Helfried Valentinitsch †, Mittelalterliche und frühneuzeitliche Glockeninschriften am Beispiel der Bezirke Hartberg und Weiz. In: Meinhard Brunner/Gerhard Pferschy u. a. (Red.), Rutengänge. Studien zur geschichtlichen Landeskunde. Festgabe für Walter Brunner zum 70. Geburtstag (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 54, = ZHVSt, Sonderbd. 26, Graz 2010), 124–152 [in Folge: Brunner/Valentinitsch, Glockeninschriften], hier 126; Jörg Wernisch, Glockenverzeichnis von Österreich (Lienz [2011]) [in Folge: Wernisch, Glockenverzeichnis], 187, 251; Gottfried Allmer, Naturparkgemeinde Pöllauberg in Geschichte und Gegenwart (Pöllauberg 2023), 246.
[4] Pfarramt Pöllauberg, Pfarrchronik Pöllauberg Bd. 1, p. 13; Wernisch, Glockenverzeichnis 187.
[5] Das genaue Datum dieser Übertragung konnte bisher nicht eruiert werden. Sie dürfte in den 1980er-Jahren unter der Ägide von Pfarrer August Fink erfolgt sein. – Für einschlägige Hinweise dankt der Verfasser folgenden Herren: Peter Heil, Gottfried Allmer, Dr. Norbert Allmer sowie Pfarrer Mag. Roger Ibounigg.
[6] Für die Mithilfe beim (diesfalls halsbrecherischen) Fotografieren der Glocke sei Herrn Peter Heil herzlich gedankt!
[7] Gewichtsangabe nach DAGS, Glockensachen 1917.
[8] Vgl. BDA Wien, Archiv, Glocken, K. 6, Fasz. 1; BDA Wien, Archiv, Glocken, K. 9; BDA Wien, Archiv, Glocken, K. 10, Fasz. 1940 und Fasz. 1941; DAGS, Glockensachen 1945–1952; Verzeichnis der Bronzeglocken im Reich, deren dauernde Erhaltung wegen ihres hohen geschichtlichen oder künstlerischen Wertes befürwortet wird (Gruppe D) ([o. O.] [ca. 1942]), 116.
[9] Joseph Wastler, Die kaiserliche Erzgießhütte und die Rothgießer in Grätz. In: MZK, N. F. 15 (1889), 1–11, 97–102, 181–185, 234–237, 265f. [in Folge: Wastler, Erzgießhütte], hier 97f.; Josef Wastler, Der Bronzeguss und dessen Meister in Steiermark. In: Culturbilder aus Steiermark (Graz 1890), 207–227 [in Folge: Wastler, Bronzeguss], hier 217; Andreas Weißenbäck/Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument und die historischen Glocken in Österreich (Graz–Köln 1961) [in Folge: Weißenbäck/Pfundner, Tönendes Erz], 158.
[10] Weißenbäck/Pfundner, Tönendes Erz 474, 482f.; Jörg Wernisch, Glockenkunde von Österreich (Lienz 2006) [in Folge: Wernisch, Glockenkunde], 165.
[11] Petru Farcaş/Emilia Moshammer u. a. (Hgg.), Lob der Schöpfung. Die Glocken von Graz-Mariahilf. Festschrift zur Glockenweihe des Vollausbaues des Mariahilfer Glockenspiels am 29. 9. 2019 (Graz 2019), 16.
[12] Wernisch, Glockenverzeichnis 188, 296; Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs: Steiermark (ohne Graz), bearb. von Kurt Woisetschläger und Peter Krenn (Wien 32013) [in Folge: Dehio Steiermark], 481.
[13] Rupert Helmetsberger, Die Pfarrkirche Graz-Andritz. In: 750 Jahre Pfarre St. Veit. Festschrift (Graz 1976), 78–80, hier 80; Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs: Graz, bearb. von Horst Schweigert (Wien 1979), 228; Bernhard A. Reismann/Franz Mittermüller, Stadtlexikon (= Geschichte der Stadt Graz, Bd. 4, Graz 2003), 194; Heimo Widtmann, Fünfzig Jahre Pfarrkirche zur Heiligen Familie in Graz-Andritz. Ein Architekturdenkmal der klassischen Nachkriegs-Moderne. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz 38/39 (2009), 393–412, hier 410.
[14] Weißenbäck/Pfundner, Tönendes Erz 158, 474; Karl Klamminger, Pfarre, Kirche und Schulwesen. In: 700 Jahre Markt Birkfeld (Graz 1965), 121–146, hier 139; Rudolf List, Das sakrale Kleinod am Autersberg. In: Sonntagsblatt (20. 7. 1975), 7; Ursula Horvath, Die Kunstwerke des Oberen Feistritztales. In: Robert F. Hausmann (Hg.), Land um Birkfeld. Zur Geschichte des Oberen Feistritztales (Birkfeld 1993), 43–68, hier 63; Peter Krenn, Die Oststeiermark. Ihre Kunstwerke, historischen Lebens- und Siedlungsformen (Graz 1997), 256; Wernisch, Glockenkunde 166 (mit Abb.); Brunner/Valentinitsch, Glockeninschriften 139; Wernisch, Glockenverzeichnis 187, 251; Dehio Steiermark, 454.
[15] Vgl. Weißenbäck/Pfundner, Tönendes Erz 158, 483.
[16] Josef Pfundner, Katalog der Glockensammlung Pfundner (Wien 21980), 9, Nr. 19, 11 (Abb.); Wernisch, Glockenkunde 166; Wernisch, Glockenverzeichnis 234.
[17] Walter Brunner, Thal. Der Lebensraum und seine Bewohner (Hausmannstätten–Graz 1994), 230. – Vgl. Ulrich Greiner, Ein Beitrag zur Geschichte der Glockengießerei in Gratz. Eine Sammlung von circa 80 Glockeninschriften, aufgenommen im Umkreis des Stiftes Rein (1864), p. 33 [StLA, Hs. 1039]; Wastler, Erzgießhütte 98; Wastler, Bronzeguss 217.
[18] DAGS, Pfarrchronik Söchau, p. 54f. (149f.); StLA, A. Söchau Pfarre, K. 1, H. 2.
[19] Eduard Staudinger/Otto Zettl u. a., Festschrift zum Pfarrjubiläum in Spielfeld (Spielfeld [1986]), 38, 43. – Vgl. StLA, A. Göth, K. 48/H. 1104 (Spielfeld); DAGS, Glockensachen 1915.
[20] Jakob Wichner, Kloster Admont in Steiermark und seine Beziehungen zur Kunst. Aus archivalischen Quellen (Wien 1888) [in Folge: Wichner, Kloster Admont], 152; Wastler, Erzgießhütte 98.
[21] Wichner, Kloster Admont 152; Wastler, Erzgießhütte 98; Wastler, Bronzeguss 217; Horst Schweigert, Schlosskirche St. Martin in Graz (= Christliche Kunststätten Österreichs 551, Salzburg 2013), 4; Katharina Bergmann-Pfleger/Barbara Stelzl-Marx u. a., Bildungshaus Schloss St. Martin. 100 Jahre begegnen – begeistern – bilden (= Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Graz – Wien – Raabs, Sonderband 22, = Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 84, Graz–Wien 2019), 29f.
[22] Wastler, Erzgießhütte 98; Josef Wastler, Das Landhaus in Graz (Wien 1890), 25.
[23] Wastler, Erzgießhütte 98; Wastler, Bronzeguss 217.
[24] Wichner, Kloster Admont 152; Wastler, Erzgießhütte 98; Wastler, Bronzeguss 217.
[25] Wastler, Erzgießhütte 98; Wastler, Bronzeguss 217; Wernisch, Glockenkunde 165.
[26] DAGS, Pfarre Graz-Hl. Blut, Sterbebuch II 1635–1641, p. 151 [URL: https://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/graz-seckau/graz-hl-blut/232/?pg=78 (5. 9. 2024)].
Mag. Dr. Meinhard Brunner, geb. 1971 in Judenburg, Studium der Geschichte und Volkskunde an der Karl-Franzens-Universität Graz. Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Historischen Landeskommission für Steiermark.
Forschungsschwerpunkte: Sammlung und Edition der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften der Steiermark; Britische Militärgerichtsbarkeit in Österreich 1945–1955.