Kurze Geschichte der Historischen Landeskommission für Steiermark
von Gernot Peter Obersteiner
Die Historische Landeskommission für Steiermark (HLK) wurde im Frühjahr 1892 vom Land Steiermark auf Anregung von Universitätsprofessor Hans Zwiedineck-Südenhorst, gegründet. Der damalige Direktor der Steiermärkischen Landesbibliothek hatte den an Archäologie, Geschichte und Kultur sehr interessierten Landeshauptmann Gundaker Graf Wurmbrand-Stuppach für die Idee gewonnen, aus den reichhaltigen Quellenbeständen des Landesarchives eine umfassende Geschichte der steirischen Verwaltung seit dem Mittelalter zu erarbeiten und mit diesem großen Projekt ein Gremium von Fachleuten zu betrauen. Vorbild waren hier drei Kommissionen im Deutschen Reich, nämlich die 1876 gegründete Historische Kommission für Sachsen, die Badische Kommission für Landesgeschichte (1883) sowie die Württembergische Kommission für Landesgeschichte, die 1891 ihre Aktivität aufgenommen hatte. Diese landesgeschichtlichen Kommissionen wollten dazu beitragen, „aus der Kenntnis eines räumlich begrenzten Quellenmaterials Schlüsse für die materielle Kultur in ihrer Gesamtheit“ zu ziehen (Karl Lamprecht). Übrigens sollte Zwiedineck 1897 auch noch zum Initiator der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs in Wien werden.
Die mit Statut vom 19. Mai 1892 bestätigte Kommission konstituierte sich wenige Wochen später unter dem Vorsitz des Landeshauptmannes – diese enge Verbindung zwischen dem seinerzeitigen Landesausschuss bzw. der späteren Landesregierung und der Kommission besteht bis heute und hat sich auch hinsichtlich der für die Kommissionsarbeit notwendigen finanziellen Dotation bewährt. Auch die Ernennung des Geschäftsführenden Sekretärs (erster Funktionsträger war bis zu seinem Tode 1906 Zwiedineck) sowie der Mitglieder der Kommission erfolgt durch die Landesregierung auf Vorschlag des Ständigen Ausschusses bzw. der Vollversammlung der HLK. Mit 30 auf Lebenszeit gewählten und um die Landesgeschichtsforschung und benachbarte wissenschaftliche Disziplinen verdienten Persönlichkeiten ist die Zusammensetzung des Gremiums zahlenmäßig beschränkt, wobei seit der jüngsten Änderung des HLK-Gesetzes aus 1994 im Jahre 2009 Mitglieder, die das 70. Lebensjahr erreicht haben, in diese Zahl nicht mehr eingerechnet werden.
Die HLK konnte bei Aufnahme ihrer Tätigkeit bereits auf wertvolle Vorarbeiten seitens des 1850 ins Leben gerufenen Historischen Vereines für Steiermark und des 1868 durch Zusammenlegung des Joanneumsarchives (gegr. 1811) mit der Altregistratur der vormals landständischen Verwaltung entstandenen Landesarchives aufbauen. So schritt die Kommission mit Energie an die Erfüllung ihres breit angelegten Arbeitsprogrammes, bereits innerhalb weniger Jahrzehnte eine „zusammenhängende Geschichte der Stände und der Landtage des Herzogtums Steiermark zu schaffen und in diese Darstellung auch die Geschichte des Verwaltungsorganismus, der Gesetzgebung und des Verordnungswesens einzubeziehen“ (Othmar Pickl). Weiters sollten Einzelstudien andere wichtige Themen wie die Geschichte von Religion, Sozialwesen, Wirtschaft und Landesverteidigung beleuchten.
Für die Erreichung dieses mehr als ambitionierten Zieles fehlte es allerdings – neben ausreichendem Personal – an grundlegenden Quellenforschungen und Editionen, so dass sich die Kommission zunächst der Verzeichnung und Erschließung großer Privatarchive, der historischen Registratur der steirischen Statthalterei (die schließlich 1906 in die Gründung des Statthaltereiarchives mündete) sowie dem Aufspüren von relevanten Quellenmaterialien mit Steiermark-Bezug in ausländischen Archiven widmen musste. Parallel dazu wandte sich auch der akademische Nachwuchs der Grazer Universität für seine Abschlussarbeiten vermehrt den Originalquellen zu, und zahlreiche später verdienstvolle Professoren und Dozenten verdienten sich ihre ersten wissenschaftlichen Sporen im Dienste der HLK-Grundlagenforschung.
Obwohl das Arbeitsprogramm der HLK 1906 modifiziert und stärker auf die Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark hin ausgerichtet wurde, erschienen bis Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 neun Bände der „Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark“, 28 Bände der „Veröffentlichungen der Historischen Landeskommission“ mit Archivinventaren und Quellenregesten sowie ein Band der „Quellen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark“. Während des Krieges und aufgrund der schlechten Wirtschaftslage in der Zwischenkriegszeit konnte die Landesregierung die HLK überhaupt nicht oder nur in geringem Maße dotieren, so dass die Forschungs- und Publikationstätigkeit reduziert werden musste und bis zum Jahre 1941 nur zwei Bände der „Forschungen“, drei Bände der „Veröffentlichungen“ sowie ein Band der „Quellen“ im Druck erscheinen konnten. Immerhin legte der Landesarchivdirektor i. R. und Universitätsprofessor für Österreichische Geschichte Anton Mell, von 1906 bis 1935 Geschäftsführender Sekretär der HLK, 1929 seinen „Grundriss der Verfassungs- und Verwaltungs-Geschichte Steiermarks“ vor, der die gesamte bis dahin erschienene Literatur zusammenstellte und bis heute das maßgebliche Standardwerk geblieben ist. Die Zahl der Kommissionsmitglieder betrug nach Neubestellung der Kommission 1920 erstmals mehr als zwanzig. Geschäftsführender Sekretär war in der Nachfolge Mells von 1935 bis 1939 Universitätsdozent Burkhard Seuffert.
Landeshauptmann Karl Maria Stepan beabsichtigte seit 1936 die fundamentale Umgestaltung der HLK in eine „Landesgeschichtliche Forschungsstelle Steiermark“, die ein reichhaltigeres und vermehrt allgemeingeschichtlich-leserorientiertes Arbeitsprogramm forderte. Der Entwurf sah die Gliederung in eine „Abteilung für wissenschaftliche Sammlung und Verarbeitung“ mit 14 Fachgruppen und eine „Abteilung für Geschichtswirkung ins Volk“ vor, während die bisherige HLK lediglich zu einer Sektion für „Rechts-, Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte“ herabsinken sollte. Die Kultur- und Wissenschaftsabteilung des Landes war gemeinsam mit Landesschulrat und Universität zu Trägern dieser neuen Forschungsstelle ausersehen.
Die politischen Ereignisse des Jahres 1938 verhinderten aber die Umsetzung dieses ehrgeizigen, zeitgemäß „vaterländischen“ Projektes. Monate nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich erhielt die HLK 1939 im Landesarchivar Wolfgang Sittig einen neuen kommissarischen Leiter, die Statuten wurden außer Kraft gesetzt, die Kommission und ihre Mitglieder vorläufig nicht bestätigt; dennoch konnten die Forschungsarbeiten in eingeschränktem Maße fortgesetzt werden. Die HLK überdauerte „die NS-Zeit ... in einer Art Winterschlaf ..., ohne sich in den Dienst der NS-Ideologie gestellt zu haben“, resümierte Othmar Pickl im Jahre 1992 rückblickend.
Zum Neugründer der HLK nach Kriegsende 1945 wurde der damalige Kulturreferent der Steiermärkischen Landesregierung, Landesrat Udo Illig, der im März 1946 den Beschluss zur Wiederrichtung der Kommission und zur Neubestellung der Mitglieder herbeiführte. Neuer Geschäftsführender Sekretär wurde Oberstudienrat Professor Otto Lamprecht. Die Herausgabe der (älteren) Landtagsakten sowie die Fortsetzung des von Archivdirektor Joseph von Zahn zwischen 1875 und 1903 herausgebrachten Steirischen Urkundenbuches über das Jahr 1260 hinaus waren die ersten beiden Schwerpunkte des neuen Arbeitsprogrammes der HLK, die im Jahrzehnt zwischen 1946 und 1956 ungeachtet steigender Druck- und Materialkosten vier Bände der „Forschungen“, drei Bände der „Veröffentlichungen“ und einen weiteren Band der „Quellen“ herausbrachte.
Den Vorsitz in der Kommission führten in den ersten Nachkriegsjahrzehnten die jeweiligen Kulturreferenten der Landesregierung, zunächst Illig, dann Landesrat Karl Brunner sowie ab 1957 Landesrat Univ.-Prof. Hanns Koren. Das neugefasste HLK-Statut des Jahres 1958 betonte einmal mehr den engen organisatorischen Zusammenhang zwischen der Kommission und der Landesregierung, die die Mittel für die Kommissionsarbeit zur Verfügung stellte, als „offizielle(s) Bekenntnis des Landes zu seiner Geschichte“ und „offizielle Verpflichtung des Landes zur Geschichtsforschung“, wie Hanns Koren im Jahre 1965 formulierte.
Der 1957 von der Vollversammlung gewählte neue Geschäftsführende Sekretär Othmar Pickl, später Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Grazer Universität, postulierte im künftigen Arbeitsprogramm der HLK die teilweise schon längere Zeit laufenden Forschungsvorhaben, nach wie vor besonders mit dem Ziel der Schaffung von Grundlagen durch Quellenausgaben und -bearbeitungen, ergänzt durch sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Studien. Das Programm umfasste schließlich nicht weniger als 16 (derzeit 13) große Forschungs- und Publikationsprojekte, geleitet jeweils von Professoren der Universität oder vom Direktor bzw. von leitenden Archivar(inn)en des Landesarchives, die in den gedruckten Fünfjahresberichten den Fortgang der Arbeiten schilderten und dies bis heute tun. Pickl gelang es, „die Historische Landeskommission zu einem organisatorischen Mittelpunkt der historischen Forschung in der ganzen Steiermark zu machen“. Er gewann „nicht nur die wissenschaftlichen historischen Abteilungen des Landes, sondern auch alle einschlägigen Institute der Universität zu freier Mitarbeit ...; und dieser freien, ehrenamtlichen, größtenteils unentgeltlichen Mitarbeit und Zusammenarbeit sind die schönen Erfolge zu danken, die die Historische Landeskommission hervorgebracht hat“ (Hermann Wiesflecker, 1982). Im Band „100 Jahre Historische Landeskommission für Steiermark 1892–1992“ konnte die HLK eine beeindruckende Bilanz über die durch ein Jahrhundert allen organisatorischen und wirtschaftlichen Fährnissen zum Trotz geleisteten wissenschaftlichen Projekte und Arbeiten legen. Von der geplanten monumentalen „Neuen Steirischen Landesgeschichte“ in zehn Bänden ist bisher der chronologisch jüngste Band erschienen, Band 9 steht kurz vor der Drucklegung.
Seit 1963 (zuletzt 1998/2000) vergab die HLK alle zwei bis vier Jahre einen „Förderungspreis für landesgeschichtliche und landeskundliche Dissertationen“, in den Jahren 1965, 1970 und 1975 zudem den „Landeskunde-Forschungspreis“, beides von Landeskulturreferent Koren bei der Landesregierung initiierte Auszeichnungen für hervorragende wissenschaftliche Leistungen. Der Sammlung, Sicherung und Erhaltung der historischen Denkmäler, seien sie schriftlicher oder baulicher Art, widmen sich seit 1966 jeweils ca. 50 Persönlichkeiten im Lande als Korrespondentinnen und Korrespondenten der HLK in allen Regionen der Steiermark, die ihre wertvolle Arbeit in dem seit 1988 erscheinenden „Mitteilungsblatt“ dokumentiert und gewürdigt finden.
Durch nahezu ein halbes Jahrhundert, von 1957 bis 2006, leitete Othmar Pickl als Geschäftsführender Sekretär die Geschicke der HLK. In seine Ära fiel 1994 auch die gesetzliche Fundierung von Aufgaben und Organisation der HLK durch den Steiermärkischen Landtag (HLK-Gesetz). 2007 zum Ehrenmitglied der Kommission gewählt, verstarb Pickl bereits im Jahr darauf. Die Vollversammlung der Historischen Landeskommission hatte schon im Dezember 2006 Alfred Ableitinger, vormals Extraordinarius für Allgemeine Geschichte der Neuzeit an der Universität Graz, zum neuen Geschäftsführenden Sekretär gewählt und gleichzeitig auch vier Mitglieder einer jüngeren Generation in den achtköpfigen Ständigen Ausschuss entsandt. Diesen beiden Organen obliegt es in der laufenden Geschäftsperiode 2012–2016, die traditionsreiche Historische Landeskommission und ihre zahlreichen landesgeschichtlichen Forschungsprojekte mit Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein in eine hoffentlich gute und ersprießliche Zukunft zu führen.
Weiterführende Literatur (Auswahl):
Othmar Pickl, Die Historische Landeskommission für Steiermark (1892–1967). 75 Jahre im Dienste der steirischen Geschichtsforschung. In: Othmar Pickl (Hg.), XVIII. Bericht der Historischen Landeskommission für Steiermark. Festschrift 75 Jahre Historische Landeskommission für Steiermark (1892–1967) (Graz 1967), 9–39, 45–57. Details
Othmar Pickl, 20 Jahre Korrespondenten der Historischen Landeskommission für Steiermark. In: Othmar Pickl (Hg.), Robert F. Hausmann (Red.), XXII. Bericht der Historischen Landeskommission für Steiermark über die 16. Geschäftsperiode 1982–1986 (Graz 1988), 48–51. Details
Othmar Pickl, 100 Jahre Historische Landeskommission für Steiermark (1892–1992). In: Othmar Pickl (Hg.), Robert F. Hausmann (Red.), 100 Jahre Historische Landeskommission für Steiermark 1892–1992. Bausteine zur Historiographie der Steiermark (= Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 36, Graz 1992), 17–70. Details
Othmar Pickl, Die Gründung der Historischen Landeskommission für Steiermark im Jahre 1892 und ihr wissenschaftliches Wirken im Rahmen einer bürgerlichen Welt bis 1914. In: Internationales Kulturgeschichtliches Symposion Mogersdorf 1992 (= Internationales Kulturhistorisches Symposion Mogersdorf 23, Maribor 1993), 207–235.
Robert F. Hausmann (Hg.), Mitteilungsblatt der Korrespondenten der Historischen Landeskommission für Steiermark 7. 35 Jahre Korrespondenten-Institution der Historischen Landeskommission (Graz 2001). Details
Othmar Pickl, 50 Jahre Mitglied und Geschäftsführender Sekretär der HLK (Juli 1956 bis Dezember 2006). Ein Bericht. In: Othmar Pickl (Hg.), Meinhard Brunner (Red.), XXVII. Bericht der Historischen Landeskommission für Steiermark über die 21. Geschäftsperiode (2005–2006) mit einem Rückblick von Othmar Pickl auf seine 50-jährige Tätigkeit als Geschäftsführender Sekretär (Graz 2007), 11–60. Details